Es ist kein Novum, dass Mario Barwuah Balotelli die Schlagzeilen der italienischen Gazetten beherrscht. Allerdings sind es üblicherweise ausschließlich Eskapaden aus seinem Privatleben, die das Enfant Terrible in den Mittelpunkt des Interesses rücken, und nicht eine anhaltende Formkrise.
Der 22. September war der Knackpunkt in der aktuellen Saison des Mario Balotelli. Als der AC Milan in der vierten Runde der Serie A den SSC Neapel zum Topspiel im San Siro empfing, sollten sich auch für die Spitzenklubs die Weichen stellen. Die Gäste aus Süditalien lagen bereits mit 0:2 in Führung, als Balotelli in der Nachspielzeit den sehenswerten Anschlusstreffer erzielte. Es war nur Ergebniskosmetik und außerdem ein schwacher Trost, verschoss er doch zuvor beim 22. Antritt den ersten Elfmeter seiner Profikarriere. Nach dem Abpfiff gingen dann die Wogen hoch – Balotelli äußerte beim Schiedsrichterteam lautstark und aggressiv seinen Unmut über die Leistung der Unparteiischen, wurde dafür noch mit der gelb-roten Karte bestraft und im weiteren Verlauf vom italienischen Sportgericht für drei Spiele gesperrt.
Mailänder Chaos
In der Zwischenzeit ist viel passiert. Balotelli fiel vor allem durch Undiszipliniertheiten abseits des Platzes auf, und verpasste aufgrund einer Oberschenkelverletzung und einer weiteren Gelbsperre insgesamt vier Spiele. Der Starstürmer erfüllte die vor der Saison in ihn gesetzten Erwartungen nicht und fügte seinen drei Meisterschaftstoren bis dato keines mehr hinzu. Beim Mailänder Traditionsverein war kein Spieler in der Lage, die Rolle ihrer außer Form befindlichen Nummer 45 zu übernehmen, sodass der AC Milan nach zwölf Runden auf den zehnten Tabellenplatz abgerutscht ist, wobei der Klub nur vier Punkte vor einem Nichtabstiegsplatz liegt.
Es wäre zu einfach, Mario Balotelli als Hauptverantwortlichen für die Krise in der Modestadt ausfindig zu machen, denn die Talfahrt hat viele Gründe. Die Abgänge von Leistungsträgern und Teamleadern in den letzten Jahren wie etwa Kevin-Prince Boateng, Massimo Ambrosini oder sogar noch Zlatan Ibrahimovic konnten auf Dauer nicht mehr kompensiert werden, und der hochkarätigste Neuzugang und Heimkehrer Kaká, ablösefrei von Real Madrid, verletzte sich zwei Wochen nach seiner Ankunft. Trainer Massimiliano Allegri, seit 2010 im Amt, befindet sich im Kreuzfeuer der Kritiker. Noch dazu schaltet sich Vize-Präsident Adriano Galliani regelmäßig mit der Forderung nach Ergebnissen ein, der wiederum von Barbara Berlusconi, Tochter des mächtigen Klubbesitzers Silvio Berlusconi, unter Druck gesetzt wird.
Vermeintlicher Sinneswandel
Währenddessen hat der Skandalstürmer seine eigenen Kämpfe auszufechten. Im Vorfeld des letzten WM-Qualifikationsspiels Italien gegen Armenien rastete er am Flughafen aus. Bei der Ankunft des Teams in Neapel riss er im Mediengedränge einem Mann die Kamera aus der Hand und versuchte sie zu Boden zu werfen, dabei zerstörte er das Mikrofon. Die Polizei griff ein und Balotelli musste sich in den Mannschaftsbus zurückziehen.
Kurze Zeit später ließ er erneut von sich hören, als bekannt wurde dass er in einen Autounfall verwickelt war. Am Heimweg konnte er seinen Audi nicht rechtzeitig bremsen, und rammte das vor ihm fahrende Fahrzeug. Zwar wurde keiner verletzt, allerdings passt es in das unglückliche Gesamtbild dieser Saison.
Noch überflüssiger erscheint dieser Vorfall, wenn man bedenkt dass Balotelli wenige Tage davor Besserung seines Verhaltens versprochen hat. Dafür traf er sich mit Milans Vize-Präsident Adriano Galliani sowie seinem Berater Mino Raiola, um die genauen Details seiner vermeintlichen Verwandlung abzuklären. Es wurde neben Gesprächen über sein Verhalten auf dem Platz auch vereinbart, dass sich der Exzentriker seinen Irokesen abrasieren sowie seinen schwarzen Ferrari verkaufen wird, um auch optisch für weniger Aufmerksamkeit zu sorgen.
Das Genie
Soviel sich kontrovers über die „Marke“ Balotelli diskutieren lässt, ist sein fußballerisches Können doch unbestritten. Und obwohl er derzeit so heftig wie selten zuvor in der Kritik steht, scheint man ihm in Erfolgsphasen umso mehr zu verzeihen. Der Champions-League-Sieger von 2010 vereint neben seinem Talent die Eigenschaften Physis, Technik und Spielwitz wie nur sehr wenige Stürmer auf dem Globus. Er besitzt die oft zitierte Fähigkeit, ein Spiel durch einen Geniestreich alleine entscheiden zu können. Egal ob durch Distanzschüsse, einen überraschenden Pass der die Abwehr aushebelt oder einfach nur durch seine mittlerweile wuchtige Präsenz in Kopfballduellen – der gebürtige Ghanaer hat ein vielseitiges Repertoire.
In der Vergangenheit reichten dem 1,90m Hünen oft wenige gelungene Aktionen um das Spiel in die richtige Bahn zu lenken, oder sogar an sich zu reißen. Es ist interessant, dass er auch in Phasen seiner Karriere, in denen ihm mangelnder Einsatz und ein turbulentes Privatleben vorgeworfen wurde, dennoch immer wieder seine Antwort auf dem Platz gegeben hat. Beim AC Milan schlug der EM-Finalist von 2012 ein wie eine Bombe. In seinen ersten 13 Spielen im Frühjahr 2013 war er zwölf Mal als Torschütze erfolgreich und wurde den Vorschusslorbeeren mehr als gerecht. Die italienischen Medien überschlugen sich mit Lobeshymnen für das heimgekehrte Wunderkind und feierten ihren „Super-Mario“. Die Verbindung mit dem 18-fachen italienischen Meister schien zu passen.
Nun wundert die Ladehemmung umso mehr. Man darf aber nicht vergessen, dass Balotelli erst 23 Jahre alt ist. Für einen Spieler in diesem Alter ist es normal, hin und wieder unter Formschwankungen zu leiden und nicht konstant das Gewicht eines Traditionsvereins auf seinen Schultern stemmen zu können. Allerdings würde man es sich zu einfach machen, ihn als normalen 23-jährigen Berufsfußballer einzuordnen. Denn Balotelli spielt seit seinem ersten Einsatz für Inter Mailand vor 6 Jahren auf dem allerhöchsten, europäischen Niveau, und absolvierte bis dato 231 Profispiele, in denen er 89 Tore erzielte.
Das Ausnahmetalent wurde als Leistungsträger zum AC Milan gelotst, der der Mannschaft außerdem wieder ein prägendes, italienisches Gesicht geben sollte. Die Rossoneri wussten genau, dass sie die 20 Mio. Euro Ablösesumme zwar in ein Enfant Terrible investierten, das aber mit Toren und seiner Präsenz auf dem Platz für eine rosige Zukunft in Mailand stehen sollte. Es liegt auf der Hand, dass Balotellis Eskapaden für einen Profifußballer nicht akzeptabel sind, allerdings muss man aufpassen, ihn nicht in eine Schablone zu zwängen. Denn seine Präsenz auf dem Platz wird zu einem großen Teil von Selbstbewusstsein und Unbekümmertheit ausgemacht.
Der berüchtigte Berater
Den Kennern der europäischen Transferszene ist Mino Raiola bereits ein Begriff. Der Süditaliener ist einer der gefürchtetsten Spielerberater im Geschäft, und schreckt auch vor Methoden nicht zurück, die sich am Rande der Legalität bewegen. Unter seinen Fittichen befinden sich Spieler wie Zlatan Ibrahimovic, Henrikh Mkhitaryan, Paul Pogba, Romelu Lukaku und eben Mario Balotelli. Die Profitgier des 46-jährigen überstrahlt seit jeher seine berufliche Kompetenz, und so lassen sich seine Absichten auf zwei wesentliche Dinge reduzieren: Transfers und Gehaltserhöhungen.
Es ist ein offenes Geheimnis, dass sich Raiolas Vorgehensweise auch immer wieder auf seine Klienten auswirkt. Der in Monaco lebende Berater liebt es, die Medien für sich arbeiten zu lassen, um Druck auf die jeweiligen Vereine aufzubauen und sich so die bestmögliche Verhandlungsposition zu sichern – diese Aufmerksamkeit in der Öffentlichkeit fällt natürlich auch immer wieder auf die Spieler zurück. Schenkt man dem italienischen Boulevard Glauben, dann soll Raiola seinen Schützling für die Wintertransferzeit bereits beim FC Chelsea angeboten haben, nur ein Jahr nach seiner Ankunft in Mailand. Zuletzt äußerte er jedenfalls öffentlich, sich einen Wechsel von Balotelli zurück in Premier League gut vorstellen zu können. Barbara Berlusconi, Tochter von Klubbesitzer Silvio und aufstrebende Macht hinter den Kulissen, will sich angeblich ab 30 Mio. Euro gesprächsbereit zeigen.
Wohlfühloase Nationalteam
Trotz zuletzt mäßiger Leistungen, sowie einer Nation mit einer derart hohen Dichte an Weltklassestürmern wie Italien, ist Balotelli unter Cesare Prandelli gesetzt. Seit seinem Amtsantritt 2010 baut der Nationaltrainer seinen Starstürmer behutsam auf, und bricht dafür sogar seine eigens entworfenen Regeln. Prandelli stellte einen Ethik-Kodex auf, der es verbot, Spieler die aufgrund unsportlichen Verhaltens wie Tätlichkeiten oder Beschimpfungen mit Sperren belegt worden sind einzuberufen. Nicht nur einmal setzte er sich für Balotelli über diesen Kodex hinweg.
Bei der Squadra Azzura fühlt sich Balotelli wohl. In 27 Spielen konnte er zwölf Tore erzielen, darunter sein Doppelpack im EM-Halbfinale 2012 gegen Deutschland. Mit den entscheidenden Treffern beim 2:1 Erfolg sicherte er den Einzug ins Finale, wo man sich den überlegenen Spaniern geschlagen geben musste.
Freitagabend hat Balotelli die Möglichkeit, sein Formtief zumindest vorübergehend vergessen zu machen. Dann testet Italien wieder gegen Deutschland, und alles deutet auf einen Einsatz in der Startelf hin. Gemeinsam mit Giuseppe Rossi vom AC Florenz, mit elf Treffern bester Torschütze der Serie A, sollte er die Doppelspitze bilden. Aber da der 26-Jährige noch an einer Grippe laboriert wird wohl Pablo Osvaldo vom FC Southampton seine Chance bekommen.
Bei Italiens Lieblingsgegner, seit 18 Jahren wartet die DFB-Auswahl auf einen Sieg, soll sich Mario Balotelli sein Selbstbewusstsein zurückholen. Ein Spieler mit solchen Qualitäten auf dem Platz kann jederzeit wieder zurück in die Spur finden und einen Lauf starten, den man auch beim AC Milan so dringend benötigen würde. Auf Balotelli werden gegen Deutschland die Augen einer ganzen Fußballnation ruhen, doch gerade ein Spieler von seinem Format braucht die ganz große Bühne um sich wohl zu fühlen. Es wäre nicht verwunderlich, würde sich der deutsche EM-Schreck eindrucksvoll zurück melden.
Niki Riss, www.abseits.at
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Niki Riss
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