Die Serie A hatte insbesondere in der Vergangenheit den Ruf, dass die Defensive bei den Teams im Vordergrund steht und es sich um eine... Rückblick: Das Torfestival zwischen Lazio und Milan (4:4, 1999)

Die Serie A hatte insbesondere in der Vergangenheit den Ruf, dass die Defensive bei den Teams im Vordergrund steht und es sich um eine Liga handelt, in der vergleichsweise wenige Tore fallen. Wir wollen heute einen Rückblick auf eine Partie machen, in der dies aber ganz und gar nicht der Fall war. Am 3. Oktober 1999 empfing Lazio Rom den AC Milan und die Fans auf den Rängen wurden Zeugen eines packenden Thrillers, in dem acht Treffer fallen sollten.

Als die Serie A den Rest Europas nach Belieben dominierte

Gerade in der fußballfreien Zeit während der Corona-Krise lohnt sich ein Blick auf vergangene Spiele und bei so manchen Aufstellungen werden Nostalgiker ins Schwärmen geraten. Wenn man auf die 80er- und 90er-Jahre zurückblickt findet man speziell in der italienischen Liga zahlreiche Mannschaften, die ganz große Fußballer in ihren Reihen hatten.  Allein wenn man sich die Erfolge der Teams zwischen 1988 und 1999 ansieht, wird die Dominanz der Serie A überdeutlich. Die italienischen Vereine gewannen vier Mal den Europapokal der Landesmeister- bzw. die Champions League (3x Milan, 1x Juventus), acht Mal den UEFA Cup (3x Inter, 2x Juventus, 2x Parma, 1x Napoli) und drei Mal den Europapokal der Pokalsieger (1x Lazio, 1x Sampdoria, 1x Parma)!

In diesen elf Jahren wurden 33 Europacup-Finalspiele ausgetragen, womit es demnach 66 Finalteilnehmer gab. 28 davon kamen aus der Serie A, wobei es unglaubliche elf verschiedene italienische Vereine in ein Finale schafften. Daran sieht man, dass nicht nur die absoluten Top-Klubs in Europa eine große Rolle spielten, sondern auch ein Großteil der Liga eine riesige Qualität besaß. Bei Milan, Juventus, Inter und den beiden Vereinen aus Rom tummelte sich natürlich die absolute Weltspitze, aber auch Klubs wie Fiorentina hatten bekannte Namen in ihren Reihen, wie etwa den großen Gabriel Batistuta. Nach der Saison 1992/93 stieg Brescia in die Serie B ab, obwohl sie mit Gheorghe Hagi einen der besten Spieler seiner Zeit im Kader hatten, der nach dem Weideraufstieg im darauffolgenden Jahr zum FC Barcelona wechselte. Haben wir schon erwähnt, dass Diego Maradona zwischen 1984 und 1991 beim SSC Neapel unter Vertrag stand? Es ist wohl nicht übertrieben wenn man behauptet, dass es keine andere europäische Liga gibt, die eine so dominante Ära hatte wie die Serie A in diesem Zeitraum.

Man darf ins Schwärmen geraten

Kommen wir zurück zum 4:4-Unentschieden zwischen Lazio Rom und dem AC Milan. Als die beiden Teams am 5. Spieltag der Saison 1999/2000 aufeinandertrafen waren beide Mannschaften in der Liga noch ohne Niederlage. Bei einem Blick auf die Startaufstellung darf man schon ins Schwärmen geraten, insbesondere wenn man sich die Sturmreihen der beiden Mannschaften ansieht. Lazio-Trainer Sven-Göran Eriksson schickte ein 4-4-2 ins Rennen mit dem Kroaten Alen Bokšić und dem Chilenen Marcelo Salas an der Spitze, während Milan-Coach Alberto Zaccheroni auf ein 3-4-1-2 setzte und im Sturm auf den Ukrainer Andriy Shevchenko und den Liberianer George Weah zurückgriff. Hinter den Spitzen spielten im Lazio-Mittelfeld Veron, Almeyda, Simeone und Conceicao, während Milan auf Serginho, Ambrosini, Albertini und Guli setzte – Freistoß-Spezialist Federico Giunti agierte zudem hinter den Spitzen im offensiven Mittelfeld. Die Abwehrreihen waren ebenfalls spektakulär besetzt – in der Lazio Viererkette standen neben den Außenverteidigern Favalli und Negro der spätere Milan-Abwehrchef Alessandro Nesta und Siniša Mihajlović im Abwehrzentrum, Milans-Dreierkette bestand aus Costacurta, Ayala und Maldini.

Der Spielverlauf

Zu Beginn setzte Lazio ganz nach Eriksson-Manier auf weite Bälle auf die beiden Sturmspitzen, was aber von der Dreierkette der Gäste gut verteidigt wurde, zumal die zentralen Mittelfeldspieler Ambrosini und Albertini gut nach hinten arbeiteten und den Raum recht eng machten, sodass auch viele zweite Bälle gewonnen wurden. Lazio hatte mehr Erfolge wenn die Angriffe über den linken Flügel in den Rücken von Costacurta vorgetragen wurden, wobei sich Bokšić hervorragend in den Zwischenräumen bewegte und seine Stärken auch im Eins-gegen-Eins ausspielen konnte, wie etwa bei der Entstehung des Führungstreffers in der 18. Minute. Zwischen der 34. Minute und dem Halbzeitpfiff wurde es dann richtig turbulent. Milan gelang der Ausgleich, wobei Innenverteidiger Mihajlović den verunglückten Abschluss Weahs unglücklich ins eigene Tor bugsierte. Lazio antwortete mit einem Doppelschlag: Zunächst gelang nach einem Eckball der 2:1-Fürhungstreffer, anschließend stellte der Chilene Salas seine Kopfballstärke eindrucksvoll unter Beweis, als er einen schön herausgespielten Angriff vom Elfmeterpunkt per Kopf zum 3:1 abschloss. Stürmer-Star  Shevchenko verkürzte in der Nachspielzeit der zweiten Hälfte auf 2:3, wobei sich sein Abschluss ebenfalls sehen lassen kann. Der Ukrainier hämmerte den Ball ganz knapp unter die Latte, nachdem er bereits Torhüter Marchegiani überspielte.

In der zweiten Halbzeit gingen die Gäste sogar in Führung. Zunächst holte Weah einen Elfmeter heraus, den sein ukrainischer Sturmpartner verwandelte. Rund zehn Minuten später erzielte Shevchenko seinen dritten Treffer, als er von Weah schön freigespielt wurde und eiskalt den Ball am Goalie vorbeischob. In diesem Spiel ließ der ukrainische Stürmer keinen Zweifel, dass er damals zu den allerbesten Angreifern der Welt zählt. Lazio-Trainer Eriksson stellte um und brachte Roberto Mancini für Alen Bokšić sowie Simone Inzaghi für Diego Simeone, der fortan neben Marceloa Salas im Sturm agierte. Mancini wich auf den linken Flügel aus, damit Veron in der Zentrale seine Kreativität besser ausspielen konnte. Dies sollte sich schnell bezahlt machen, denn Veron sorgte in der 72. Minute für den entscheidenden Assist und legte den Ball für Salas auf, der mit seinem zweiten Treffer zum 4:4-Unentschieden den Schlusspunkt dieser spektakulären Partie setzte.

Während zu Spielbeginn die Abwehrreihen der gegnerischen Offensive kaum Platz ließen, verloren beide Mannschaften im Laufe des Spiels komplett ihre Organisation in der Defensive. Bezeichnend ist auch, dass Spieler wie Shevchenko und Salas die kleinsten Fehler und Unachtsamkeiten eiskalt ausnutzten, wodurch die Abwehrspieler, die ebenfalls zu den besten der damaligen Zeit gehörten, oftmals schlecht aussahen.

Die Serie A stellte aufgrund der Corona-Krise dieses Spiel den Fußballfans zur Verfügung und wir können euch nur empfehlen dieses Stück Fußballgeschichte in voller Länge zu genießen:

Highlights:
19:55 1-0 Juan Veron
37:11 1-1 Sinisa Mihajlovic (Eigentor)
39:04 2-1 Christian Abbiati (Eigentor)
41:00 3-1 Marcelo Salas
45:55 3-2 Andriy Shevchenko
1:04:25 3-3 Andriy Shevchenko (Elfmeter)
1:15:45 3-4 Andriy Shevchenko
1:19:18 4-4 Marcelo Salas

Stefan Karger