Wie schon in der vergangenen Winterpausen gehen wir in dieser Rubrik auf einzelne fixe Transfers zumeist größerer Vereine ein, wo die Hintergründe und Motive beleuchtet werden. Wieso holt eine Mannschaft diesen Spieler? Wer ist dieser Spieler überhaupt? Was erwartet sich sein neuer Verein von ihm? Kann er die Erwartungen in seinem neuen Verein erfüllen?
Diese Fragen sollen hauptsächlich beantwortet werden. Auch die taktische Perspektive soll nicht zu kurz kommen, immerhin ermöglicht ein neuer Spieler oftmals eine Vielzahl neuer Kombinationen und Synergien, die ebenfalls kurz erläutert werden sollen.
Nachdem wir gestern den Transfer von Fernando Llorente beleuchteten, widmen wir uns nun ganz Carlos Tevez, dem zweiten prominenten Neuzugang im Angriff der alten Dame.
In diesem zweiteiligen Beitrag werden nicht nur die beiden Spieler vorgestellt, sondern auch genauer jene Optionen und Vorteile betrachtet, die sie den Turinern auf taktischem Niveau bieten.
Ein argentinisches Problemkind als potenzieller Weltklassestürmer?
Ein fast gegensätzlicher Stürmer zu Fernando Llorente ist Carlos Tevez. Der Argentinier ist klein, wuselig und erhält Pässe lieber am Boden, als in der Luft. Weiters dürfte Tevez wohl auch individuell dem baskischen Auswahlspieler überlegen sein; er gehört von seinem Potenzial her zu den absoluten Weltklassespielern, auch wenn er seine Stärken in den letzten Jahren nicht konstant abrufen konnte.
Immer wieder machte Tevez negative Schlagzeilen, mit Äußerungen über ein mögliches baldiges Karriereende, generelle Unzufriedenheit mit seinem Verein oder auch mit der Stadt Manchester. Dazu sorgte er für einen Skandal, als er bei der Meisterfeier von Manchester City seinen ehemaligen Trainer Sir Alex Ferguson provozierte, und wurde in der Meistersaison der Citizens als Kapitän für lange Zeit suspendiert, weil er sich im Spiel gegen Bayern München geweigert hatte, sich einwechseln zu lassen.
Solche Geschichten und auch Gerüchte über unerlaubte Kurz- und Golfurlaube sorgen dafür, dass der Fußballer Tevez sich oft unter Wert verkaufte und seine Leistungen auf dem Platz negativer eingeschätzt werden. In Topform gehört er aber zu den besten Stürmern seiner Generation. Er ist nicht nur enorm torgefährlich, abschlussstark und technisch hervorragend, sondern besticht durch eine starke Arbeit in der Defensive und einem herausragenden Instinkt für das Spiel.
An seinen besseren Tagen kann Tevez als Mittelstürmer oder hängender Stürmer das gesamte letzte Spielfelddrittel beackern und sich auch situativ ins zweite Spielfelddrittel zurückfallen lassen. Er hat ein Gespür für offene Räume, bewegt sich gruppentaktisch intelligent und kann mit seiner starken Technik auch schwierige Anspiele in engen Räumen verarbeiten, um sie dann sauber weiterzuleiten und dadurch Raumgewinn zu erzielen. Hätte er eine konstantere Entscheidungsfindung, wäre er zumindest in diesem Attribut wohl annährend so stark wie der Beste seiner Zunft: Lionel Messi.
Gleichzeitig ist Tevez durch seine Robustheit, seine Dynamik und Dribbelstärke ein Akteur, der sich auch gegen zwei bis drei Gegenspieler durchsetzen kann. Er ist ein Wühler und Beißer wie ein klassischer Sechser früherer Tage, dank seiner Technik und Ausdauer aber mit deutlich mehr spielerischem Mehrwert und größerem Aktionsradius, weswegen er zu Recht im Angriff eingesetzt wird. Im Verbund mit Llorente und dem aktuellen Kader von Juventus ermöglicht er der „alten Dame“ vier große taktische Optionen.
a) Der Stürmer für prallen-gelassene Bälle
Im vorherigen Artikel zu Llorente wurde erklärt, wie der Baske als Referenzpunkt für lange Bälle dienen kann, der dann auf seine Mitspieler ablegt und Konter organisiert. Hierfür ist Tevez in der Theorie ein optimaler Partner. Er kann Kopfballverlängerungen mit seiner Dynamik erreichen, kann sich mit seiner Dribbelstärke gegen mehrere Gegner nach den Ballannahmen der Pässe Llorentes durchsetzen und mit seiner technischen Stärke dürfte er auch ordentliche Pässe auf die nachrückenden Mittelfeldspieler oder die aufrückenden Flügelverteidiger spielen.
Weil er auch gerne auf die Flügel oder nach hinten ausweicht, öffnet er außerdem Raum, in den seine Mitspieler ebenfalls stoßen können. Bei einer mannorienterten Spielweise des Gegners, wie es die Bayern gegen Juventus sehr effektiv machten, könnte dies viel wert sein. Eine weitere Option gibt es auch im klassischen Spiel der Turiner, dem 3-5-2, ohne unbedingt auf Konter aus zu sein.
b) Wechselspiel mit den beiden zentralen Mittelfeldspielern
Tevez lässt sich wie erwähnt gerne fallen – und die beiden Achter von Juventus rücken vertikal auf. Dies könnte Juventus nutzen, um in der nächsten Saison in der Offensive fluider zu werden. Aus der 3-1-4-2-Ordnung in der Offensive heraus könnte sich der vordere der beiden Mittelstürmer – einer aus Vucinic, Matri oder Llorente – immer wieder ausweichend bewegen und einen der Innenverteidiger binden.
Tevez würde sich dann nach hinten fallen lassen und könnte dank seiner Technik die Rolle eines der Achter übernehmen, während dieser dann in die offenen Räume in der Spitze stößt und situativ zum Mittelstürmer wird. Auch die Flügelverteidiger könnten sich situativ tororientiert verhalten und diagonal in diese Räume stoßen, Tevez würde dann mit Marchisio und Vidal den Ballbesitz im Mittelfeld durch die numerische Überzahl kontrollieren und die Außenspieler absichern.
Schon dieses Jahr rückten die Turiner Achter enorm gefährlich in die Spitze; mit Tevez als spielintelligentem und technisch starkem Akteur könnte dies verstärkt werden. Giovinco übte sich in dieser Rolle bereits, ihm fehlte aber öfters die körperliche Durchsetzungskraft in den engen Mittelfeldräumen.
c) 4-3-3-Option in unterschiedlichen Ausführungen
Möglich wäre auch eine formative Umstellung beim italienischen Rekordmeister, die in dieser Saison in ihrem 3-5-2 auf höchstem Niveau die Grenzen aufgezeigt bekamen. Durch die drei Innenverteidiger fehlt ein Akteur im Mittelfeld, weiters ist ein 4-2-1-3-Pressing, wie es die Bayern praktizierten, extrem effektiv. Dem Spiel fehlt es außerdem an doppelter Breite auf den Flügeln, um dort effektiv überladen zu können, was den Spielaufbau erschwert.
Darum könnte Juventus auf ein 4-3-3 umstellen, wodurch sie wiederum selbst in der italienischen Liga in den Genuss dieser taktischen Vorteile kommen könnte. Mit Tevez hätten sie einen Akteur für den zentralen Sturm oder auch die Außenstürmerpositionen, der im Pressing versiert ist und aus jeder Position heraus Torgefahr versprühen kann. Möglich wäre auch eine asymmetrische Aufstellung mit einem sehr offensiven Rechtsverteidiger wie Lichtsteiner hinter Tevez, der situativ in die Mitte rückt, während die linke Seite mit einem Pärchen à la Chiellini und Asamoah klassischer agieren könnte.
d) Spielstarker Sturm
Die letzte Alternative wäre eine generelle Erhöhung des Mitspielens der beiden Stürmer im 3-5-2 oder gar eine Variation im 3-4-2-1, die in der Champions League schon genutzt wurde. Bei Ersterem könnte Tevez mit Giovinco oder Vucinic als „doppelte falsche Neun“ agieren, in denen sich beide zurückfallen lassen oder ausweichen (oder situativ nur einer), um den beiden Achtern Räume zu öffnen.
Ähnliches gäbe es im 3-4-2-1, wo Vidal und Marchisio durch die enorm spielstarke Absicherung aus Pirlo und Pogba hervorragend eingebunden wären, Tevez könnte vorne Räume öffnen, auf die Seite ausweichen, wäre ein Referenzpunkt für scharfe und anspruchsvolle flache Pässe, könnte sich auch situativ nach hinten fallen lassen.
Fazit
Die Möglichkeiten sind mit Tevez und auch Llorente enorm groß geworden. Letzterer gibt dem Spiel eine Komponente für Konter und lange Bälle, für Flanken, generelle Strafraumpräsenz und erhöhte Gefahr bei Standards. Tevez sorgt für mehr Spielstärke an vorderster Front, viele unterschiedliche gruppen- wie mannschaftstaktische Optionen und könnte auch im Pressing sowie im Gegenpressing zu einem Schlüsselspieler werden.
Dennoch sind beide Spieler Risikotransfers. Llorente könnte es an Qualität, Fitness und Spielpraxis mangeln, in seinem Alter kann sich dies schon rächen. Auch bei Tevez gibt es Fragezeichen: Wie passt er sich dem Team und der Kultur an? Ist er topfit? Wie wird er sich disziplinär verhalten? Nicht umsonst kostete ein Stürmer von diesem Format nur um die zehn Millionen. Es könnte also eine hochinteressante Saison in Turin werden.
René Maric, www.abseits.at
Rene Maric
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