Jeden Sonntag wollen wir in dieser Serie Spieler beleuchten, die ungewöhnliche Wege eingeschlagen haben. Wir möchten Geschichten von Sportlern erzählen, deren Karriere entweder im... Men to (re)watch (33) –  Martin Ødegaard (KW 33)

Jeden Sonntag wollen wir in dieser Serie Spieler beleuchten, die ungewöhnliche Wege eingeschlagen haben. Wir möchten Geschichten von Sportlern erzählen, deren Karriere entweder im Konjunktiv stecken blieb, die sich zu einem gegebenen Zeitpunkt radikal verändert haben oder sonst außergewöhnlich waren und sind: Sei es, dass sie sich nach dem Fußball für ein völlig anderes Leben entschieden haben, schon während ihre Profizeit nicht dem gängigen Kickerklischee entsprachen oder aus unterschiedlichen Gründen ihr Potenzial nicht ausschöpften. Auf jeden Fall wollen wir über (Ex)-Fußballer reden, die es sich lohnt auf dem Radar zu haben oder diese (wieder) in den Fokus rücken. Wir analysieren die Umstände, stellen Fragen und regen zum Nachdenken an. Nachdem wir in Ausgabe 32 schon einen Kicker aus Norwegen im Fokus hatten, stammt auch unser heutiger Protagonist aus diesem skandinavischen Land…

Wenn man einen Durchschnittsfußballkonsumenten fragt, ob er einen norwegischen Nationalspieler kennt, dann fällt aktuell wohl schnell ein Name: Erling Braut Haaland. Der in Leeds geborene Blondschopf wechselte erst vor wenigen Wochen zu Manchester City und gehört seit seinem Höhenflug mit Salzburg in die erste Reihe der Fußballstars. Im Nationalteam spielt Erling mit einem jungen Mann zusammen, der einst genauso umschwärmt war wie er jetzt, doch während Haaland 2015 seine ersten Gehversuche in der zweiten Mannschaft von Bryne FK machte, hatte jener Kreativspieler damals schon bei Real Madrid unterschrieben. Ein Vertragsabschluss, der nach Karrierehöhepunkt klingt. Der Name dieses Spielers: Martin Ødegaard.

Mittlerweile kickt der 23-jährige jedoch beim FC Arsenal, wo er vor einem Jahr ein Arbeitspapier mit langer Laufzeit unterschrieb. Die Gunners sind in einer Neufindungsphase, auch wenn man unter Mikel Arteta teilweise wieder feinen Fußball zeigte und die letzte PL-Saison auf Platz 5 abschloss. Im Londoner Norden steht Martin nicht so im Fokus, wie in jener Zeit als er bei Real Fuß zu fassen versuchte. Nachdem sich ein Leihgeschäft an das nächste reihte, der Durchbruch ausblieb, wurde der norwegische Nationalspieler schon als Teenager wie die Sau durchs Dorf getrieben und als gescheitert abgestempelt. Dabei wird der Spielmacher im Dezember erst seinen 24. Geburtstag feiern. Er hat schon viel erlebt.

Wer ist der Beste im ganzen Land?

Geboren wurde Martin Ødegaard 1998 in Drammen, einer Kleinstadt, die dreißig Minuten von Oslo entfernt liegt. Seine ersten Fußballschuhe schnürte er unter der Aufsicht seines Vaters, des ehemaligen Profis Hans Erik, beim örtlichen Verein Drammen Strong. Bereits als Knirps zeigte sich sein außergewöhnliches Talent; er trainierte und spielte stets ein bis zwei Altersklassen höher. Die Trainer priesen sein Ballgefühl und seine Fußballintelligenz. Da Ødegaard bei sämtlichen Nachwuchsturnieren überzeugen konnte, war man sich schnell einig, dass es wohl kein größeres norwegisches Fußballtalent als ihn gebe. „Er war drei oder vier Jahre jünger als die anderen. Es war unmöglich nicht zu bemerken, dass wir Zeugen von etwas Außergewöhnlichem waren.“, erinnert sich ein Trainer an den Auftritt des jungen Martin bei einem U 16-Turnier im Jahr 2011.

Im Alter von 15 Jahren kam der offensive Mittelfeldspieler bei Strømsgodset zu seinem Debüt in der norwegischen Liga und war bereits in der Nationalmannschaft ein Thema. In seiner ersten Profisaison schoss er fünf Tore und lieferte sieben Assists in dreiundzwanzig Spielen. Ganz Europa war dem Wunderkind daraufhin auf den Fersen. Während die norwegische Liga Winterpause machte, trainierte Ødegaard bei Liverpool, Bayern und Arsenal mit, hielt aber schließlich an der Seite von Florentino Pérez im Ringelstreifenpullover das königlich-weiße Dress von Madrid in die Kameras.

Wunderbubi im Fokus

Das war eine Sensation! Plötzlich kannte Ødegaard jeder. Bevor er seinen Führerschein machen durfte, galt er als zukünftiger Weltfußballer. „In ein paar Jahren werde ich nicht mehr so viele Tore erzielen, dann musst du übernehmen!“, soll Cristiano Ronaldo zu dem Teenager gesagt haben. Die Trauben hingen hoch.

Sportlich schien man Ødegaard zu vertrauen, so stattete man ihn mit einem Fünf-Jahres-Vertrag aus. Er sollte bei den Profis trainieren und regelmäßig bei Real Castilla, der zweiten Mannschaft, spielen. Ein Konzept, das wenig erfolgsversprechend klang. So war es dann auch und Ødegaard konnte sich bei den kleinen Galaktischen nicht zum Spielmacher mausern. Wie auch, wenn er sich im Training mit Ronaldo, Modric und Kroos maß und nur selten werktags bei Castilla mitkickte.

Sein Debüt für die Kampfmannschaft, als er am 23. Mai 2015 für Ronaldo gegen Getafe eingewechselt wurde, machte ihn zwar zum jüngsten Real-Spieler, blieb aber sein einziger Meilenstein in Madrid. Man munkelte, dass der Topverdiener mit einem kolportierten Salär von 100.000 € pro Monat von seinen Kollegen gemobbt wurde. Andere behaupten, dass Ødegaard selbst nur wenige Mühen in den Versuch einer Integration steckte.

Im Jänner 2017 wechselte der Spieler auf Leihbasis zum SC Heerenveen, später zu SBV Vitesse in die Eredivisie. Nachdem er bei seiner ersten niederländischen Station zwei Fußverletzungen erlitten hatte, wurde er von der Öffentlichkeit bereits als gescheitert abgeschrieben. Pervers, wenn man bedenkt, dass der Mittelfeldspieler damals erst 17 Jahre alt war. Trotzdem wurde er medial vielfach als jemand, der seine hoffnungsvolle Karriere in den Sand gesetzt hatte, gebrandmarkt. Außerdem warf man ihm Gier und Größenwahn vor; Vater Hans Erik musste sich anhören lassen, seinen Buben verkauft zu haben.

Bei Vitesse konnte Martin jedoch zeigen, welcher Fußballer in ihm steckt. Er entwickelte sich in der Saison 2018/19 zum Stammspieler. Im Eins-gegen-Eins sah man, warum ihn einst sämtliche Topklubs verpflichten wollten: Ødegaard spielte bei seiner zweiten niederländischen Station seine Dribbelstärke und Dynamik aus. Er hatte das perfekte Timing für den tödlichen Pass und deshalb am Ende der Saison 23 Torbeteiligungen zu Buche stehen. Die Madrilenen verliehen ihn daraufhin zum Konkurrenten Real Sociedad, um ihn an die heimische Liga zu gewöhnen. Dort machte der Kreativspieler weiterhin gute Figur. Das Magazin 11 Freunde schrieb, Ødegaard sei zu einem erwachsenen Spielmacher gereift, als dieser noch keine 21 Lenze zählte.

Tatsächlich schien er – was bei einem sehr jungen Mann im Erwachsenenfußball natürlich immer wichtig ist – körperlich zugelegt zu haben und konnte sich vermehrt auch in Bedrängnis behaupten und den Ballverteiler geben. Die Kurve zeigte nach oben und der Norweger kickte mit den Basken sogar seinen Stammklub aus der Copa del Rey 2020. Diesen 4:3-Sieg bezeichnet er heute noch als sein wichtigstes Profispiel. Die Weiß-Blauen erreichten sogar das Finale des Cup-Wettbewerbs, das allerdings aufgrund der COVID-19-Pandemie erst ein Jahr später ausgetragen wurde. Ødegaard hatte da schon mit der spanischen Liga abgeschlossen. Vorerst.

Arsenals Kapitän

Nach der erfolgreichen Zeit im Baskenland war eigentlich alles dafür angerichtet, dass sich Ødegaard bei den Königlichen neu präsentieren konnte. Doch nachdem er es bis zum Winter 2021 nicht geschafft hatte sich durchzusetzen, wurde er erstmals nach London verliehen. Bei Arsenal kam der Offensivspieler auf vierzehn Einsätze und brach im Sommer 2021 seine Zelte in Spanien endgültig ab. Unter deutlich weniger Presserummel wechselte er zu den Gunners.

„Ich bin zu viel gewechselt. Ich will mich endlich wo niederlassen und Stabilität finden.“, sagte Ødegaard im Fan-TV der Engländer. Derzeit haben sie viel Freude mit ihm; Cheftrainer Arteta ernannte ihn im Juli zum Kapitän des Kultklubs. Trotz seines aufregenden Fußballerlebens wirkt der Mittelfeldspieler ruhig und besonnen. Den vielen Trubel habe er während er in Madrid unter Vertrag stand, nicht an sich rangelassen: „Ich fand das schon verrückt. Es ist sehr schwierig, dort zu spielen. Es ist die beste Mannschaft der Welt. Ich war erst 16. Auch jetzt habe ich die Zukunft noch vor mir.“, sagte er vor vier Jahren.

Rückblickend muss man sagen, dass Ødegaard sicher keines jener Wunderkinder ist, die sich letztendlich – ob aus physischen, psychischen oder sonstigen Gründen – im Erwachsenenfußball doch nicht durchzusetzen vermögen. Der 43-fache Nationalspieler ist ein Kicker mit fantastischen Anlagen und konnte bei all seinen Leihstationen seine Klasse zeigen. Der Transfer zu Real Madrid war so gesehen kein Fehler.

Im Nachhinein wurden vielfach Stimmen laut, dass mit dem Norweger beim 14‑fachen CL-Gewinner sowieso nie ernsthaft geplant worden sei. Real-Präsident Pérez habe den Burschen einst nur nach Spanien geholt, um zu demonstrieren, dass los blancos die wirtschaftlich-sportliche Nummer Eins der Fußballwelt sind und um den Konkurrenten mit dem Kauf eines Sechzehnjährigen den Mittelfinger zu zeigen. Ein Mensch als Marketinggag. Das sportliche Programm, das man mit dem Offensivspieler angeblich vorhatte – ihn durch Hin-und-Her zwischen erster und zweiter Mannschaft als Modric-Nachfolger aufzubauen – war jedenfalls unREAL.

Ødegaards Kumpel aus dem Nationalteam machte es besser: Haaland erteilte Juve und Manchester United Absagen um sich beim (vergleichsweise) beschaulichen BVB durchzusetzen und kletterte jetzt mit seinem Engagement bei den Skyblues auf die nächste Karrierestufe. Ødegaard, der seit einem Jahr auch Kapitän der Nationalmannschaft ist, wird sich freuen seinen Freund im täglichen Ligabetrieb zu sehen.

Marie Samstag, abseits.at

Marie Samstag

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