Jeden Sonntag wollen wir in dieser Serie Spieler beleuchten, die ungewöhnliche Wege eingeschlagen haben. Wir möchten Geschichten von Sportlern erzählen, deren Karriere entweder im... Men to (re)watch (47) –  Shon Weissman (KW 47)

Jeden Sonntag wollen wir in dieser Serie Spieler beleuchten, die ungewöhnliche Wege eingeschlagen haben. Wir möchten Geschichten von Sportlern erzählen, deren Karriere entweder im Konjunktiv stecken blieb, die sich zu einem gegebenen Zeitpunkt radikal verändert haben oder sonst außergewöhnlich waren und sind: Sei es, dass sie sich nach dem Fußball für ein völlig anderes Leben entschieden haben, schon während ihre Profizeit nicht dem gängigen Kickerklischee entsprachen oder aus unterschiedlichen Gründen ihr Potenzial nicht ausschöpften. Auf jeden Fall wollen wir über (Ex)-Fußballer reden, die es sich lohnt auf dem Radar zu haben oder diese (wieder) in den Fokus rücken. Wir analysieren die Umstände, stellen Fragen und regen zum Nachdenken an: Erstmals wird heute ein jüdischer Profifußballer im Mittelpunkt dieser Porträtserie stehen…

„Er sagt: ‚Der da oben hat einen Plan.‘ Er nimmt die Dinge locker, in der Gewissheit, dass alles gut wird.“, sagt Aden Markovich über ihren Mann. Sie selbst ist nicht religiös aufgewachsen, erst durch Shon begann der jüdische Glaube in ihrem Leben eine Rolle zu spielen. Aden und Shon Weissman leben heute in Spanien, weil Shon derzeit in La Liga kickt. Für den 26-jährigen Stürmer sind Profifußball und Glaube nicht nur vereinbar, sondern bedingen einander: Erst als er begann sich seinem vorherbestimmten Schicksal zu ergeben, habe er sich voll dem Sport verschreiben können, meint er. „Durch seinen Glauben stärkt er sich.“, konnte auch Weissmans damaliger WAC-Trainer Gerhard Struber berichten.

Profi mit Kippa

Schalke, Galatasaray und Celtic Glasgow verloren im Spätsommer 2020 das Rennen um den israelischen Nationalspieler: Shon Weissman wechselte als österreichischer Torschützenkönig zu Real Valladolid um – wie er selbst in seinen Abschiedsworten zu Protokoll gab – den nächsten Schritt in seiner Karriere zu machen. Eine Karriere, die für Shon auch einen sozialen Aufstieg bedeutet.

Geboren wurde der spätere Profikicker am Valentinstag 1996 in Haifa, im nördlichen Israel. Als er 13 Jahre alt war, erfuhr seine Kindheit durch die Scheidung seiner Eltern eine radikale Wende: Shons Mutter arbeitete fortan in zwei Jobs, um ihre beiden Söhne durchzubringen. Die Drei bewohnten eine Einzimmerwohnung am Stadtrand. Shon spielte bei Hapoel Haifa Fußball und wechselte als 15-jähriger in die Akademie von Maccabi. Dort debütierte er in der höchsten israelischen Spielklasse, wo ihm aber vorerst der Durchbruch versagt blieb. Es folgten drei Leihgeschäfte, die Weissman unter anderem in die zweite Liga seines Heimatlandes führten. Schließlich lief sein Vertrag bei Maccabi aus und niemand wollte ihn. Der Stürmer wusste: Jetzt oder nie! Er änderte sein Leben, die Religion wurde sein Anker. Shon heiratete seine langjährige Freundin Aden, die er noch aus Schultagen kannte, und wechselte auf Andi Herzogs Vermittlung nach Österreich.

Der Kulturschock war enorm: Im beschaulichen Wolfsberg spielte Weissman nun vor durchschnittlich knapp 3.000 Zuschauern, die hitzige Mentalität des israelischen Publikums war Vergangenheit. Als „Begrüßungsgeschenk“ hatte man den ablösefreien Neuzugang auch am Wolfsberger Bahnhof vergessen, doch Shon nahm es mit Humor. Er fühlte sich gleich wohl, als Gerhard Struber ihn umarmte und via Laptop erklärte, welche Aufgabe er als Stürmer im Lavanttal haben werde.

Und diese Aufgaben erfüllte Weissman besser als erwartet. Der junge Angreifer explodierte im familiären Umfeld des von Dietmar Riegler geleiteten Klubs und mauserte sich mit seinen Toren zum Erfolgsgaranten. Bereits in seinem ersten Liga-Match schenkte Weissman der Admira zweimal ein, im August traf er viermal gegen Mattersburg und war wenig später einer der Torschützen beim EL‑Überraschungssieg über Borussia Mönchengladbach. „Er tut uns gut.“, sagte Struber und sprach damit aus, was alle bereits wussten. Nur wenige Monate nach seinem Engagement in Österreich, debütierte Shon für die israelische Nationalmannschaft. Er blieb bescheiden: „Als ich nach Wolfsberg kam, wusste ich, dass einige Spieler mehr Talent haben als ich. Aber ich wusste auch, dass niemand härter arbeiten würde als ich.“

Erfolgshunger in kosher

Sportlich ging es rasant bergauf, privat führten Shon und Aden ein ruhiges Leben, das sie so weit wie möglich nach den Lehren der Tora gestalteten. „Meine Lebensweise ist nicht einmal in Israel einfach umzusetzen. Es gibt so viele Regeln, die man einhalten muss. Es ist nicht leicht Jude zu sein, aber ich bin stolz darauf. Ich finde, es ist ein Geschenk.“, erzählte Weissman in einem TV-Interview.

Am Schabbat ist es gläubigen Juden verboten Feuer machen; transformiert auf die heutige Zeit darf man daher weder Auto fahren noch ein Handy benutzen. Zum samstäglichen Match oder Training ging Shon daher einfach zu Fuß, weshalb es ihm wichtig war eine Wohnung nahe des Wolfsberger Stadions zu beziehen. An hohen Feiertagen – wie Jom Kippur, dem jüdischen Versöhnungsfest – zieht Weissman seine Fußballschuhe erst gar nicht an.

Einmal pro Woche düsten die Weissmans gemeinsam nach Wien, um in koscheren Supermärkten einzukaufen und den Stadttempel in der Seitenstettengasse zu besuchen. Emotional und körperlich gestärkt kehrte das Paar dann nach Kärnten zurück. „Man fühlt sich zuhause. Es wird hebräisch gesprochen und es gibt alles, was ich aus Israel kenne.“, sagte Shon. Bereits vor seinem Wechsel hatte er Kontakt mit der jüdischen Gemeinde in Österreich aufgenommen, um sich zu erkundigen, wie er seinen Glauben hier leben könnte. Die Alpenrepublik sei für ihn „ein ganz normales europäisches Land.“ Weissmans Großmutter ist eine Überlebende der Shoa, dem Fußballer ist es wichtig, ein Bewusstsein für die Geschichte zu haben, denn „ohne Vergangenheit gibt es keine Zukunft.“ Die Wurzeln des Stürmers sind – wie bei vielen seiner Landsleute – sowohl aschkenasischer (osteuropäische Juden) als auch sephardischer (Nachfahren jener jüdischen Bevölkerung, die bis zu ihrer Vertreibung 1492 und 1513 auf der Iberischen Halbinsel lebten) Natur. Wegen seiner südeuropäischen Vorfahren besitzt er zusätzlich einen portugiesischen Pass.

Für den erfolgreichen Profi sind jene Zeiten, in denen er gemeinsam mit seinem Bruder auf einer Matratze im Wohnzimmer schlafen musste oder seiner Mutter beim Putzen großer Wohnblöcke half, nun vergangen. Jetzt ist Shon ein hochbezahlter Wanderarbeiter, der jederzeit in der jüdischen Community seines aktuellen Wohnortes andocken kann und so auf der ganzen Welt ein Stück Heimat findet. Dankbar betet er nach jedem Tor und reckt seine Finger in den Himmel.

In der Saison 2019/20 führten Weissmans Ballbehauptung, Kopfballstärke und Abschlussqualitäten die Wolfsberger letztendlich auf Platz 3 der Liga. Der Angreifer traf und traf. Als das Ende der Saison immer näher rückte, flüsterte man im Lavanttal nur mehr: „Weissman Shon wohin er wechselt?“ Mit 37 Tore in 40 Einsätzen für die Kärntner verabschiedete sich der Offensivmann schließlich nach Spanien. Sein Engagement beim WAC war letztendlich nur ein kurzes Intermezzo, aber eine Win‑Win‑Situation für beide Parteien.

Mit einer kolportierten Ablösesumme von 4 Millionen Euro wurde der gläubige Profi zum teuersten Transfer Real Valladolids, konnte aber in der Folge den Abstieg aus La Liga nicht verhindern. Obwohl es Gerüchte um einen Transfer nach Deutschland gab, blieb Shon in Kastilien und mauserte sich in der Spielzeit 2020/21 zum Spieler der Saison seines Vereins. Mit 20 Treffern war er maßgeblich am Wiederaufstieg der Violetten beteiligt. Man baut bei Valladolid auf den 25-fachen israelischen Nationalstürmer, der kurz nach seinem Wechsel Vater einer Tochter wurde.

Egal, wohin sein Weg führt, Shon hat Vertrauen in Gott und in seine Frau. Noch als WAC-Spieler sagte er: „Ich bin ihr dankbar, denn bisher ist sie immer richtig gelegen. Sie ist meine Nummer 1 und ohne sie bin ich nichts. Das ist kein Witz, ich empfinde es wirklich so.“ So viel Rückhalt – himmlischen und irdischen. Man kann Shon Weissman nur beglückwünschen.

Marie Samstag, abseits.at

Marie Samstag