Alavés – Das fast perfekte Fußballmärchen
Spanien 29.Juni.2011 Daniel Mandl 0
Der 16. Mai 2001. Schon 117 Minuten sind im flutlichtgetränkten Westfalenstadion verstrichen, acht Tore sind gefallen und zwei rote Karten vergeben, ehe sich Delfí Geli, baskischer Routinier und Außenverteidiger im Dienste Deportivo Aláves, zum Kopfball hochschraubt und mit dem letzten Golden Goal der UEFA-Cup Geschichte dem Treiben am Platz ein Ende bereitet.
Doch anstatt frenetischen Jubels und Menschentrauben ist er in diesen Sekunden der einsamste Mensch der Welt, hat er den Ball doch über die eigene Torlinie befördert und dem wohl spannendsten Finale der Geschichte des Bewerbs seinen tragischen Höhepunkt verpasst. Der Traum war geplatzt, der große Abstieg begann. Nahezu auf den Tag genau 10 Jahre später treten die „El Glorioso“ (Die Glorreichen) genannten Basken wieder in Play-off Spielen an, diesmal jedoch nicht im Kampf um einen von Europas geschichtsträchtigsten Titeln, sondern um ihren Aufstieg zu fixieren – in Spaniens zweite Liga. Die Geschichte des kometenhaften Aufstiegs und Falls von Deportivo Alavés.
DIE UNBEKANNTE STADT
Kaum jemand kennt Vitoria-Gasteiz (spanisch Vitoria, baskisch Gasteiz, offiziell mit Doppelnamen versehen). Die Stadt, ähnlich ihrem Fußballverein, spielt im Euskadi, der autonomen baskischen Region in Spanien, trotz ihrer Hauptstadtrolle nur die zweite Geige. Wirtschaftlich und bevölkerungstechnisch hinkt sie der nur knapp 60 km entfernten Schwermetallindustrie Metropole Bilbao hinterher und auch mit den malerischen Stränden des am Golf von Biskaya gelegenen San Sebastian kann sich die 200.000-Einwohner-Stadt nicht messen. Der ewige Underdog, eine Rolle die die Babazorros (Bohnenfresser) genannten Vitorianer nur zu gut kennen. Einzig die Erfolge des lokalen Basketballteams Saski Baskonia bringen den Glamour und Flair der großen weiten Welt ins verschlafene Städtchen. Doch dem war nicht immer so. Nach dem Aufstieg von Deportivo Alavés 1998 und dem 6. Platz in der darauf folgenden Saison, der zur Teilnahme am UEFA Cup berechtigte, wurde Trainer José Manuel Esnal, genannt Mané, ein legendärer Schnauzbart und bekannter Trainer der „kleinen“ Klubs mit der Aufgabe betraut eine schlagkräftige Truppe zu formen. Die Weichen für ein legendäres Jahr wurden gestellt.
DER AUFSTIEG UND DER GROSSE NAME CRUYFF
Mané hatte seit seinem Amtsantritt 1997 gute Arbeit geleistet. Im Gegensatz zu den ausschließlich auf lokale Talente setzenden Nachbarn formte er aus vielen internationalen Neuzugängen eine schlagfertige Truppe mit bekannten Namen wie Cosmin Contra und Javi Moreno (beide später AC Milan und Atlético Madrid) sowie den vom AS Rom kommenden Ivan Tomić und dem 21-jährigen Talent aus Uruguay Iván Alonso. Doch etwas fehlte dem Perfektionisten aus Balmaseda und fündig wurde er ausgerechnet bei Europas Vorzeigeklub Manchester United.
In seiner Jugend als Wunderkind verschrien und verfolgt vom Ruf seines legendären Vaters Johan kämpfte sich Jordi Cruyff mehr schlecht als recht durch die Großen des internationalen Fußballs. Ajax Amsterdam, FC Barcelona, Manchester United – ein beeindruckender Lebenslauf für einen Mittzwanziger – doch der große Wurf gelang dem Holländer nicht, die Reservebank war lange sein Revier. Als sein Vertrag mit dem englischen Traditionsklub zu Ende ging zögerte Mané nicht lange. In persönlichen Gesprächen konnte er den trickreichen Angreifer, dessen technische Fähigkeiten auch einen Ryan Giggs verzückt haben sollen, von seinem Projekt in der baskischen Hauptstadt überzeugen. In einem Team von eisenharten Basken, mächtigen Osteuropäern und eher untypisch wilden Südamerikanern hatte man endlich einen Denker und Lenker gefunden. Das Puzzle ergab nun langsam ein vollständiges Bild.
DER WEHRHAFTE UNDERDOG
Wer fürchtet sich vor einer Mannschaft die ihre ersten Schritte auf internationalen Parkett macht, deren Spieler aufgrund des Fehlens einer einheitlichen Klubgarderobe in Jeans und Pullover auf Reise gehen und deren Stadt erstmals gewahr wird, dass es außer Basketball noch einen anderen Sport auf hohem Niveau bei ihnen zu sehen gibt? Auf keinen die Fall die Präsidenten und Abgesandten der den Basken zugelosten Gegner. Freude und lachende Gesichter bei den Auslosungen sollten ein ständiger Begleiter der Blaugelben sein. Als erster Klub sollte der türkische Vertreter Gaziantepspor im UEFA Cup – der damals noch nur in Barragespielen ausgetragen wurde – Bekanntschaft mit den hart spielenden Basken machen. Nach einem 0-0 im Mendizorroza, dem knapp 20.000 Zuseher fassenden Stadion der Glorioso in Vitoria, wurde der Aufstieg mit einem 4-3 auswärts besiegelt. Auch Lillestrom und Rosenborg Trondheim wurden in torreichen Partien bezwungen.
DIE SPASSVÖGEL AUS DER PROVINZ WERDEN ZUM SCHRECKEN EUROPAS
Wer jedoch der Vermutung erlag dass die ersten Erfolge rein auf harter Arbeit und dem eisernen Willen der Akteure beruhten irrte gewaltig. Nach den donnerstags stattfindenden Basketball-Begegnungen war die Mannschaft ein oft gesehener Gast in den Lokalen und Discos von Vitoria. Selbst Mané bestätigt die legendären Trainingseinheiten an Freitagen, die nur aus leichten Übungen bestanden um die letzen Tropfen Alkohol aus den Spielern zu bekommen. Veranlassung etwas zu ändern sah er jedoch nicht, befand sich seine Truppe doch auf einem nie geahnten Höhenflug und mit Inter Mailand als nächstem Gegner würde das Fußballmärchen wohl sowieso schon bald ein jähes Ende nehmen.
Nach einem, dem bisherigen Muster folgenden, 3:3 Unentschieden zuhause wurde man schon bei der Ankunft in Mailand mit der Geringschätzung der Italiener bekanntgemacht, kannten doch selbst die zuständigen Sportjournalisten nahezu keinen Spieler der Basken. Diese nutzten die unerwartete Anonymität und verhalfen einigen Fans zu wenigen Minuten Ruhm indem sie diese ihre Interviews geben ließen. Auch die Mannschaft von Inter Mailand konnte diese Überheblichkeit nicht ablegen und verlor sang und klanglos mit 0:2. Nach Siegen über Rayo Vallecano und der stargespickten Truppe des 1. FC Kaiserslautern, die klingende Namen wie Djorkaeff, Basler, Klose, Bjelica und Lokvenc beinhaltete und mit einem Gesamtscore von 9-2 aus dem Bewerb gekickt wurde, hatte man auf wundersame Weise in der ersten Saison auf internationalem Parkett der 80-jährigen Vereinsgeschichte das Finale von Europas zweitwichtigstem Mannschaftsbewerb erreicht. Die Unsterblichkeit schien nahe.
DAS DRAMA VON DORTMUND
Gerard Houlliers Liverpool, das in dieser Saison bereits League und FA Cup gewonnen hatte, sollte der Gegner im ausverkauften Westfalenstadion sein. Die Engländer, penibel darauf bedacht den um lächerliche acht Millionen Euro zusammengekauften „Riesentöter“ nicht zu unterschätzen, wurden vom Franzosen penibel auf den kleinen baskischen Verein, den die meisten Spieler wohl anfangs nicht einmal auf der Karte gefunden hätten, eingestellt. Und die harte Arbeit sollte auch schnell belohnt werden. Schon nach etwas mehr als 15 Minuten führte der klare Favorit durch Tore von Markus Babbel und Steven Gerrard mit 2:0, ehe Alonso und McAllister den 3:1 Pausenstadt fixierten.
Doch die Basken gaben sich nicht geschlagen. Nur wenige Minuten in der zweiten Halbzeit waren gespielt bis Moreno mit einem Doppelpack den völlig überraschenden Ausgleich erzielte. Es entwickelte sich ein offener Schlagabtausch mit Chancen auf beiden Seiten. Doch wieder übernahm der damalige englische Rekordmeister durch Fowler die Führung und konnte in Folge die sturmlaufenden Basken lange in Schach halten. Doch zwei Minuten vor dem Ende gelang just jenem Jordi Cruyff, der bis dahin eine Karriere im Schatten Anderer verfolgt hatte, der erlösende Ausgleich. Das Herzschlagfinale bekamt was es verdiente: Verlängerung.
Doch Fortuna ist bekanntermaßen eine launische Diva. Nach einem nicht gegebenen Elfmeter und einem aberkannten Tor musste Alavés nun den Preis für ihr körperbetontes Spiel bezahlen und verlor zwei Spieler durch Ausschlüsse. Es kam was kommen musste, und mit nur 3 Minuten zum rettenden Elfmeterschießen zu spielen, wurde Delfi Gelí zum tragischen Helden als er den Ball zum 5:4-Endstand in die eigenen Maschen befördert und den Traum jäh zerplatzen ließ.
DER WEG IN DIE BEDEUTUNGSLOSIGKEIT
Zehn Jahre nach jenem denkwürdigen Auftritt sieht der Alltag in Vitoria gänzlich anders aus. Nach einer durchwachsenen Saison in Spaniens dritter Liga verliert man erwartungsgemäß im ersten direkten Duell um den Aufstieg in die höhere Etage. Von internationalem Flair, weltweiten Übertragungen und Superstars ist im Mendizorroza nichts mehr übrig. Dem kometenhaften Aufstieg folgte der rasche Fall der eng mit einem einzigen Namen verbunden ist und ein Lehrbeispiel der Gefahren von Ahnungslosigkeit auf Funktionärsebene darstellt: Dmitry Piterman.
Der egozentrische, ukrainisch-amerikanische Millionär und selbsternannte Fußballfachmann und Trainer fiel schon bei Racing Santander nicht unbedingt positiv auf. Da er über keine gültige Lizenz verfügte installierte er hörige Mittelsmänner als Trainer die er nach Belieben dirigierte. Um während der Spiele überhaupt in die Nähe der Bank zu kommen benutze er selbst verliehene Presseausweise, die ihm den Aufenthalt am Spielfeld genehmigten. Es kam was kommen musste und Piterman wurde nach katastrophalen Ergebnissen vom Klub entfernt. Das hinderte den umtriebigen Ex-Olympioniken jedoch nicht den mit dem Versprechen um baldigen Aufstieg geköderten Neo-Zweitligisten Aláves zwei Jahre nach deren UEFA Cup Finalteilnahme zu übernehmen. Der finanziell für spanische Verhältnisse gut aufgestellte Verein wurde mit teuren Starspielern gespickt, die Piterman, nun als Sportdirektor eingesetzt, seinen ständig wechselnden Trainern zur Verfügung stellte. Nach zwischenzeitiger Erstklassigkeit kam es jedoch auch hier zum Eklat: Als nach dem erneuten Abstieg Trainer, Spieler und Fans mit dem Alpha-Tier endgültig brachen und dieser den Verein verließ belief sich der Schuldenstand auf 23 Millionen Euro. Strenge Sparmaßnahmen und der Fall in die regionale Segunda B folgten.
Mit der Übernahme des Besitzers von Saski Baskonia, Josean Querejeta, ist wieder so etwas wie Normalität in Vitoria eingekehrt. Aber auch wenn der Aufstieg in Spaniens Oberhaus derzeit wie ein ferner Traum wirkt: An Wunder glaubt man in Vitoria schon länger, seit ziemlich genau zehn Jahren.
MG, abseits.at
Daniel Mandl Chefredakteur
Gründer von abseits.at und austriansoccerboard.at | Geboren 1984 in Wien | Liebt Fußball seit dem Kindesalter, lernte schon als "Gschropp" sämtliche Kicker und ihre Statistiken auswendig | Steht auf ausgefallene Reisen und lernt in seiner Freizeit neue Sprachen
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