Denn euch ist heute der Messias geboren– Lionel Messi ist 30 Jahre alt (1/2)
Spanien 24.Juni.2017 Marie Samstag 0
Kennen Sie den? Was war Jesus von Beruf? Student natürlich: Er wohnte mit 30 Jahren noch bei den Eltern, hatte lange Haare und wenn er etwas tat, dann war es ein Wunder. Ein Witz, der ungefähr so alt wie Jesus selbst ist. Dreißig ist für einen Fußballer eine pikante Zahl: Selbst wenn ein Spieler noch so gut in Form ist, sich sogar auf dem Höhepunkt seiner Schaffenskraft – wie der 32-jährige Cristiano Ronaldo – befindet, das Ende seiner Laufbahn ist nun näher definitiv näher als der Anfang. Messi – der Fußballmessias – wird am 24. Juni 30 Jahre alt. Der Floh mit den Rekorden, der für viele der beste Kicker aller Zeiten ist, hat bis zu diesem Geburtstag wahrscheinlich doppelt so viel erlebt wie andere Menschen in ihrem ganzen Leben. Begonnen hat seine Reise am westlichen Ufer des Paraná in Rosario, Argentinien.
Straßenkicker
Gerard und Cesc nehmen nicht weiter Notiz von dem Kleinen, der sich in der Ecke der Kabine umzieht. Wieder einmal gibt es einen Neuen beim Probetraining. Der 13-jährige mit der Statur eines Volksschülers hat kinnlange Haare und spricht mit argentinischem Akzent – wenn er denn überhaupt den Mund aufmacht. Als sich die Buben auf dem Feld mit dem Ball aufwärmen, merkt man jedoch sofort, dass etwas anders ist: Die Kugel klebt am Fuß des Knirpses. Gaberln, tricksen – das scheint ihn zu langweilen, das kann er im Schlaf. Als das Match beginnt, trauen die Anwesenden ihren Augen nicht: Der Zwerg führt die Jugendspieler des FCB geradezu vor. „Normalerweise konnte ich jedem den Ball abnehmen – mit Leichtigkeit. Aber jetzt stand ich dumm da.“, erinnert sich Cesc, der mit Nachnamen übrigens Fàbregas heißt. Papa Jorge hatte seinem Sohn vorher den Rat gegeben: „Schnapp dir den Ball und mach dein Tor.“ So wie er es schon als Fünfjähriger gemacht hat. Der kleine Leo soll seine Stärken demonstrieren: Dribbeln und den unbändigen Willen den Ball über die Linie zu drücken. Noch entzückt seine Kunst nur die Jugendtrainer und Zuschauer. Die endgültige Entscheidung ob der FC Barcelona einen Halbwüchsigen aus Argentinien ausbilden soll, muss Cheftrainer Charly Rexach fällen. Dieser weilt aber gerade im Ausland. Der Rohdiamant muss also warten.
Die Grundlagen seines Spieles hat sich Messi als Kind selbst beigebracht. Sonntags kickt er mit seinen älteren Brüdern Rodrigo und Matías und den Cousins Maxi und Emanuel vor dem Haus der Großmutter. Im Park und auf dem Schulhof, wo man in zunächst „El Piqui“- den Kleinen – und später „Maestro“ nennt, ist er eine kleine Sensation. Es ist wohl kein Zufall, dass aus Messi ein genialer Spieler wird: 300 km von Buenos Aires entfernt leben die fußballverrückten Rosarinos. Wenn man auf den staubigen Straßen mit dem Motorrad – typisch südamerikanisch: ohne Helm – fährt, sieht man an allen Ecken und Enden Jungs und – mittlerweile auch immer mehr Mädchen – kicken. An den Wandmalereien in gelb-blau für Rosario Central oder rot-schwarz für Newell’s Old Boys kann man die Sympathien der Bevölkerung für einen der beiden Stadtvereine ablesen. Neben Mario Kempes hat Rosario aktuelle Nationalspieler wie Mascherano, di María oder Lavezzi hervorgebracht. Sie alle haben italienische, serbische und spanische Vorfahren. Messi ist es egal, woher seine Familie einst kam. Für ihn beginnt und endet alles in Rosario, dort möchte er auch nach seiner Karriere leben. Es gibt für ihn kein davor oder danach. In Bajada, einem Vorort, steht das kleine Häuschen, das Jorge gemeinsam mit seinem Vater Stein für Stein erbaut hat. Die Türen dieser Nachbarschaft sind nie verschlossen. Die Kinder spielen auf den Straßen, weil es kaum Verkehrt gibt. Heute ist Messis Elternhaus, das einzige, mit Zaun und Sicherheitskamera. Der Star ist zu sentimental um es zu verkaufen.
Leo Messi wurde in eine Gegend geboren, wo die Herzen so warm sind, wie der aufgeheizte Asphalt. Bajada ist kein Armenviertel wie es manchmal kolportiert wird, sondern eine Durchschnittssiedlung. Einen Steinwurf von der Casa Messi entfernt, leben Onkeln, Tanten und die Großmutter. Der Zusammenhalt der Familie ist bis heute ungebrochen. Celia und Jorge haben sich schon als halbe Kinder ineinander verliebt. Beide arbeiten in Chemiefabriken um den Unterhalt für ihre vier Sprösslinge zu verdienen. Jorge schafft es sich in der Firma zum Manager hochzudienen. Sie leben nicht in Luxus, aber kommen über die Runden. Am 24. Juni 1987 wird ihr dritter Sohn geboren, der eigentlich „Leonel“ heißen soll. Jorge entscheidet sich beim Amt jedoch für das englische „Lionel“ um zu verhindern, dass sein Sohn einfach „Leo“ gerufen wird. Es kommt anders: Von Kindesbeinen an wird der Floh so genannt. Die Argentinier sind überzeugt, dass es kein Zufall ist, dass Messi in Rosario zur Welt gekommen ist. Mit der Muttermilch sog er jene Art Fußballzuspielen auf, die Di Stéfano und Maradona prägten. Mit neun Monaten fängt er an zu laufen, mit vier Jahren bekommt er seinen ersten Ball geschenkt. Er spielt nur mit Älteren und beherrscht die Kugel, die ihm bis zum Knie reicht. Seine Mutter beschreibt ihn als ungezogen und quengelig: Leo kann einfach nicht verlieren. Die Großmutter sorgt dafür, dass der Hochbegabte bei Grandoli FC – einem lokalen Verein – anfängt. „Ihre ermunternden Rufe vom Spielfeldrand werde ich nie vergessen.“, erinnert sich Leo an seine Oma, die seinen Erfolg leider nicht miterleben sollte. Schon bei seinem ersten Verein trägt er die Nummer 10. Seine Lehrerin in Barcelona wird ihn als desinteressiert bezeichnen, eine Entwicklung, die schon ab dem ersten Schultag in Argentinien abzusehen war. Ein Nachbarsmädchen dolmetscht für den Kleinen, den man kaum verstehen kann. Sie ist es auch, die ihn beschützt und Schummelzettel für ihn vorbereitet. Als Leo U-20-Weltmeister wird, liegen sich beide auf den Straßen Rosarios um 5 Uhr morgens in den Armen.
Der Stoff aus dem Träume sind
Mit sechseinhalb wird Leo Mitglied bei Newell’s Old Boys. „Das letzte Mal, dass ich wirklich unter Druck stand, war bei Newell’s, als ich acht Jahre alt war. Danach habe ich nur mehr aus purer Freude gespielt.“, erklärt ein damals 23-jähriger Superstar. Sein Talent und sein Wille sich stetig zu verbessern machen die Familie und Trainer glücklich, Sorge bereit ihnen nur, dass der Bub partout nicht wachsen will. Nach mehreren Untersuchungen stellt sich heraus, dass sein Körper ein gewisses Wachstumshormon nicht herstellen kann. Messi wird regelmäßig bei einem Arzt behandelt. Doch dann bricht die Wirtschaftskrise über Argentinien herein und die Eltern können für die Kosten nicht mehr aufkommen. Newell‘s verspricht zwar einzuspringen, lässt seinen Worten aber keine Taten folgen. Celia und Jorge überlegen fieberhaft: Leo braucht seine Spritzen, muss gefördert werden. Sie beschließen schließlich ihr Glück in Spanien zu versuchen, obwohl allen der Abschied vom geliebten Rosario schwerfällt.
„Ein Marsmensch erkennt, dass er etwas Besonderes ist“, flucht Rexach. Vierzehn Tage lang hat man Messi in Barcelona im Unklaren gelassen und dann doch nachhause geschickt. Die Legende, dass der Verein so gierig auf den 13-jährigen war, dass man überstürzt einen Vertrag auf eine Papierserviette kritzelte, kann als unwahr zu den Akten gelegt werden. In Wirklichkeit scheuen sich die Katalanen einen jungen Spieler aus dem Ausland zu verpflichten. Anno 2000 war es noch nicht üblich Teenager nach Europa zu locken. Messi ist überhaupt ein Sonderfall: Die Kosten, die man für seine Verpflichtung aufbringen müsste, würden das Budget für die Jugendspieler sprengen. Erst im Dezember kann sich der Vorstand zu einer positiven Entscheidung durchringen und Rexach schreibt nach einem privaten Tennismatch in der Vereinskantine spontan einen Vorvertrag auf eine Serviette, den sie der Familie nach Argentinien schickt. Es wird teuer: Die Messis verlangen, dass Barça ihnen ein Haus und einen Job für Jorge organisiert. Außerdem soll Leo nicht im Internat von La Masia, sondern bei der Familie wohnen. Dazu kommen natürlich noch die Sonderausgaben zur Behandlung seiner Wachstumsschwäche. Newell’s kommentiert den Wechsel zynisch: „Messi kann gehen. Wir behalten ja den Besten hier: Gustavo Rodas.“ Jener Rodas debütiert mit 16 Jahren in der Kampfmannschaft und im U-17-Nationalteam. Anschließend spielt er bei wenig renommierten Amateurteams in Argentinien und Peru. Was er heute macht, ist nicht bekannt. Doch nicht nur Newell’s hält wenig von Messis Wechsel nach Katalonien, auch einer der FCB-Sportdirektoren verweigert demonstrativ seine Zustimmung zum Transfer. Legende Nummer 2, die in der Messi stets immer und überall als künftiger Weltstar gehandelt wurde, kann hiermit ebenfalls widerlegt werden.
Die Voraussetzungen sind also nicht optimal und tatsächlich hat der Jugendliche anfangs Eingewöhnungsprobleme: Er versteht kein Katalanisch und spricht nur ein südamerikanisch akzentuiertes Spanisch. Sportlich kann er sich zunächst behaupten und feiert am 21. April 2001 in der B-Jugend sein Debüt, bei welchem er gleich ein Tor erzielt. Ein Bruch des linken Wadenbeins stoppt den ehrgeizigen Floh vorerst. Als er sich über den Sommer in seiner Heimat erholt, weiß er gar nicht so recht, ob er zurück nach Spanien gehen soll. Auch der FC Barcelona hat seine Zugeständnisse an die Messis nicht voll eingehalten. Die Brüder sind quasi erwachsen, vermissen ihren Freundeskreis und können in Spanien aufgrund der herrschenden Statuten nicht mehr auf Vereinsebene Fußball spielen. Die kleine Schwester, Maria Sol, ist gerade erst sechs Jahre alt geworden und wird heimwehkrank. Schweren Herzens beschließt die Familie sich aufzuteilen: Celia geht mit den Kindern zurück nachhause, Jorge und Leo bleiben alleine in der großen Wohnung in der Gran Via Carles III. Jahrelang wird der Offensivspieler bei jedem Videotelefonat mit seiner Mutter weinen. Der Verein unterstützt ihn so wenig, dass Jorge fast einen Vertrag bei Real Madrid unterschreibt. Die Königlichen telefonieren dem Argentinier hinterher, als sich herumgesprochen hat, welch ein Juwel da in La Masia geschliffen wird. Im letzten Moment bleibt Messi doch bei Barcelona. Zum Trost geht Jorge oft mit ihm ins Las Cuartetas, ein argentinisches Lokal, wo sich der Jungspund bei gegrilltem Fleisch und Pudding besser fühlt. Die Familie übersteht die Zeit der Trennung und so wird Leo Messis Geschichte zum Märchen. Was ist aber mit den anderen tausenden Buben deren Traum aus solchen Gründen zerplatzt?
„Willkommen Weltmeister“
Bis Messi offiziell ein La-Masia-Spieler ist, dauert es. Newell’s erhofft sich – trotz fehlender Registrierung des Flügelspielers – eine Ablösesumme für den Jungspund, die FIFA entscheidet aber zugunsten Barcelonas. Im Februar 2002 wird Messi offiziell als Spieler beim spanischen Verband angemeldet. Sein erster großer Förderer ist der mittlerweile verstorbene Tito Vilanova, der ihn erstmals als falschen 9er einsetzt. „Ich habe noch nie einen Jungen gesehen, der so hohe Anforderungen an sich selbst gestellt hat wie Leo.“, sagt Tito, der damals gerade seine Profikarriere beendet hat. Er ist schnell, zäh und auf jedem Fußballfeld der Welt wie ein Fisch im Wasser. Abseits des Platzes dauert die Integration jedoch. Messi lebt nicht im Internat und ist introvertiert. Erst eine A-Jugend-Fahrt nach Italien lässt das Eis brechen und Cesc und Gerard werden gute Freunde. In der Saison 2002/03 spielt er in jedem Match und ist nie verletzt. Arsenal beobachtet nicht nur ihren späteren Transfer Fàbregas sondern auch Gerard Piqué und den argentinischen Floh. Tatsächlich ist Messi einem Transfer nicht abgeneigt, er denkt, dass kein Weg vorbei an Xavi und Iniesta in die Kampfmannschaft führt. Seine Trainer raten ihm jedoch Geduld zu haben. Er bleibt und erzielt als 16-jähriger achtzehn Tore in elf Spielen für die U-17-Mannschaft. Als er auf stolze 1,69 Meter herangewachsen ist, lassen ihn die Trainer an seinem Muskelaufbau arbeiten, damit er auch gegen 30-jährige Brocken bestehen kann. Damals spielt Leo spiegelverkehrt, was Ronaldinho im A-Team macht. Trainer Rijkaard beordert ihn schließlich persönlich in die B-Mannschaft, wo er am 16. November 2003 bei einem Freundschaftsspiel sein Debüt feiert. Er läuft mit Cruyffs 14er auf und spielt im Jahr 2003 für vier verschiedene Barça-Teams. Letztendlich macht er über 50 Tore. „Er hat viel Talent und eine sehr vielversprechende Zukunft.“, lobt Rijkaard.
Messis erster großer Auftritt auf internationaler Ebene ist die U-20-WM in den Niederlanden. Sergio Agüero wird in dieser Mannschaft zu seinem besten Kumpel. Er versteht es den Angreifer aufzulockern: „Leo lachte und lachte und konnte sich gar nicht beruhigen über das, was die anderen so trieben, besonders was Kun ausheckte.“ Heute ist er Taufpate von Agüeros Sohn, den dieser mit Maradonas Tochter Giannina bekommen hat. Vor dem Halbfinale gegen Brasilien unterschreibt Messi seinen ersten Profivertrag bei Barça. Festgeschriebene Ablösesumme: 150 Millionen Euro. Anschließend erzielt er das erste Tor gegen die Seleçao und bereitet den Siegtreffer vor. Nervosität? „Keine Sorge.“, hat er noch vor der Partie gemeint. Es ist einer der ersten Abende, wo Messi die Last der Verantwortung trägt. Das Team setzte all seine Hoffnung auf den Superstar ante portas und der scheint das zu genießen. Vor dem Endspiel gegen Nigeria bekommen die Junior-Gauchos einen Anruf von Maradona persönlich: „Bringt uns den Pokal nachhause!“, spornt er sie an. Im Finale versenkt Messi ohne mit der Wimper zu zucken zwei Strafstöße: „Er verwandelt die zwei Elfmeter, als wäre er bei sich zu Hause im Garten. Und beide in verschiedene Ecken.“ Lionel Messi wird nicht nur U-20-Weltmeister, sondern auch Torschützenkönig und zum besten Spieler des Turniers gewählt. In Bajada bereitet man ihm einen gebührenden Empfang: Das ganze Viertel ist in den frühen Morgenstunden auf den Beinen und feiert den gerade Angekommenen. Ein Jahr später gibt er bei der WM in Deutschland sein Debüt für das A-Team. Das Ausscheiden im Achtelfinale gegen den Gastgeber verursacht einen Heulkrampf. Er selbst wurde aufgrund einer Verletzung des Tormannes aber nicht einmal eingetauscht. Das nächste Highlight im blau-weißen Trikot ist für den rising star das olympische Fußballturnier in Beijing 2008. Eine Umarmung mit seinem Freund Ronaldinho ist wohl der zweitschönste Moment dieser Reise: Argentinien gewinnt das Halbfinale gegen die Samba-Kicker mit 3:0 und besiegt im Finale – wie schon bei der Junioren-WM – Nigeria mit 1:0. Wer kann diesen Messi aufhalten?
Im Kürze folgt der zweite Teil unseres großen Messi-Porträts!
Marie Samstag, abseits.at
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