Dieser Artikel ist eine Aktualisierung und Anpassung an einen bereits veröffentlichten Artikel vom 04.03.2013, der bei Spox in Blogform und auf Doppelpacker veröffentlich wurde.
So mancher Barcelona-Fan mag sich gefragt haben, was eigentlich mit seiner Mannschaft los ist. Die Defensive ist eine der schlechtesten der letzten Jahre, die Offensive enorm von Messi abhängig. Das Spiel steht und fällt mit der Form des Argentiniers. Gleichzeitig hat das intensive Pressing arg nachgelassen, seit Vilanova trainiert
1. Die Abwehr
Die Abwehr stellt im Moment das größte Problem der Katalanen. Nach 36 Spieltagen hat Barcelona bereits 39 Gegentore kassiert, letzte Saison waren es noch 29 nach allen 38 Spielen. Das entspricht 1,0 Gegentoren pro Spiel im Vergleich zu 0,7. In der Champions-League waren es gar 17 Gegentore in 12 Partien und damit ein Schnitt von 1,4 Gegentoren pro Spiel.
Im Schnitt kommen etwa 9 Schüsse pro Spiel auf das Tor von Valdés, nur 2 werden geblockt. Geht man davon aus, dass Barcelona einen Ballbesitz von 70% hat, was einem durchaus realen Wert entspricht, brauchte der Gegner nur 27 Minuten für 9 Schüsse, feuerte also alle 3 Minuten auf das Tor der Katalanen. Dabei spielen sich etwa 80% des Geschehens in den letzten zwei Dritteln ab. Barcelona ist also anfällig bei Kontern, das war schon immer so.
Nun allerdings werden diese Konter immer öfters in Tore umgesetzt, was nicht unbedingt an der besseren Chancenverwertung der Gegner liegt. Aber woran dann?
Erstens rückt die Viererkette, die bisweilen nur mehr eine Zweierkette ist, sehr weit nach vorne. Standard bei Mannschaften, die mit viel Ballbesitz spielen. Nun ergeben sich aber durch die vielen Umstellungen, Barcelona testete über 30 verschiedene Abwehrformationen, Abstimmungsprobleme und ungewohnte Lücken im Rückwärtsgang. Noch dazu kommt die teils zu hohe oder zu enge Positionierung der Außenverteidiger. Dani Alves rückte auf der rechten Seite oft zu oft mit ein und konnte so keinen Druck auf den Flankengeber ausüben, mehr als gefährlich bei Barcelonas Kopfballschwäche. Des Weiteren sind weder Puyol noch Mascherano schnelle Spieler, was gegen schnelle Konterspieler, wie sie beispielsweise Madrid mit di Maria und Ronaldo aufbot, extrem gefährlich wurde, da nur Piqué mithalten konnte.
Grafik 1: Die Gegentore in der Champions League sprechen eine klare Sprache: Barcelona ist anfällig bei Kontern und Standards, wenn es hektisch wird, kommt es auch zu Fehler bzw. Eigentoren.
2. Das Ballbesitzspiel im letzten Drittel
Man hatte des Öfteren das Gefühl, Barcelona wolle ihren Gegner alleine durch Ballbesitz erdrücken. Guardiola setzte in engen Spielen oder bei Rückstand nicht etwa auf lange Bälle, wie es „normale“ Mannschaften tun, sondern versuchte den Gegner unter riesigen Druck zu stellen und ihn damit zu Fehlern zu verleiten. Beste Beispiele dafür waren die beiden Champions-League-Halbfinal Partien gegen Inter Mailand und Chelsea, als Barcelona beide Male einem Rückstand aus dem Hinspiel hinterherlief und den Gegner im Camp Nou in den eigenen Strafraum spielte.
Zwar setzte Vilanova diese Taktik bisweilen auch ein, wie beispielsweise gegen Celtic Glasgow, als man über 80% Ballbesitz verbuchte, jedoch war die Grundidee eine andere: Das Spiel sollte schneller werden, der Ball nicht mehr so lange bei einem Spieler sein. Man hatte in der Hinrunde das Gefühl, Barcelona spiele direkter und mit mehr Risiko, die Statistiken sprechen allerdings eine andere Sprache. Die durchschnittliche Passerfolgsquote stieg, während die Anzahl der Pässe an sich gleich blieb. Somit lief der Ball zwar schneller durch die eigenen Reihen, es wurden aber riskante Pässe unterlassen und lieber quer gespielt.
Grafik 2: Diese Grafik zeigt die durchschnittlichen „Lochpässe“ pro Spiel von der Saison 10/11 bis 12/13. Bei allen Spielern, abgesehen von Iniesta, ist eine klare Tendenz nach unten zu erkennen. Besonders Messi und Xavi brachen regelrecht ein.
Das Resultat daraus ist schnell bemerkt: Barcelonas Spiel wirkt langweiliger, langsamer, und weniger risikoreich. Viele hatten das Gefühl, Barcelona würde den Ball halten, um ihn nicht zu verlieren. Damit kontrollierte man zwar das Spiel, die Gegner hatten es aber auch bedeutend einfacher, ihr Tor zu verteidigen. Es blieb immer genug Zeit, um sich neu zu formieren und den nächsten Pass abzuwarten. Ein Beispiel: Barcelona spielte beim 2:1 Sieg gegen Valladolid 915 Pässe, davon waren nur 6 Lochpässe, also waren nur etwa 0,6% aller Pässe ein gefährlicher Ball in den Strafraum. Dagegen spielte Valladolid 373 Pässe und kam ebenso auf 6 Lochpässe.
Logische Konsequenz: Barcelona schoss kein einziges Mal innerhalb des 5-Meter-Raums auf das Tor von Jaime, sondern probierten es vor allem mit Schüssen aus dem Strafraum oder außerhalb des Strafraums, weshalb 7 Schüsse neben das Tor gingen und 5 geblockt werden konnten. Von 16 Schussversuchen kam letztendlich nur ein Viertel auf das Tor.
3. Braucht Barcelona einen echten Neuner?
Betrachtet man die Torschützenliste des FC Barcelona zur Zeit, als Messi noch nicht verletzt war, sondern regelmäßig auf dem Platz stand, zeigt sich nahezu selbstverständlich eine klare Tendenz: Der Argentinier ist mit Abstand der beste Torschütze seiner Mannschaft, dicht gefolgt von niemandem. Erst mit über 20 Toren Abstand folgt der nächste Torjäger Barcelonas.
Grafik 3: Wer hat wie viele Tore in der Liga erzielt? (Stand: 08.03.2013) Messi erzielte zu diesem Zeitpunkt fast die Hälfte aller Tore der Katalanen. Erst mit der Verletzung und der anschließenden Rotation im Sturm, verteilte sich das Toreschießen auf mehrere Schultern, dennoch ist Messi immer noch unangefochten Torjäger Nummer 1.
Diese Tatsache mag nur natürlich sein, Messi ist einer der besten Fußballer dieses Planeten und es scheint nur logisch, dass er die meisten Tore seiner Mannschaft erzielt hat. Doch dies ist auf verschiedene Tatsachen zurückzuführen. Natürlich ist Messi ein toller Stürmer, doch es scheint auch von Vilanova geplant zu sein, Messi zum Torjäger seiner Mannschaft zu machen. Betrachtet man die Zahlen des Zweit –und Drittstürmers, fällt schnell auf, warum Messi die größte Gefahr ausstrahlt. Pedro spielte zwar 36 Spiele, kommt aber nur 7 Tore, gleiches Spiel auf der anderen Seite: Alexis Sanchez machte ebenfalls 36 Partien, getroffen hat er lediglich 8 Mal. 7 dieser 15 Tore fielen erst in der Zeit, als Messi angeschlagen bzw. verletzt war.
Dies ist darauf zurückzuführen, dass unter Vilanova nicht mehr das Toreschießen Ziel Nummer 1 der Flügelstürmer ist, sondern es geht darum, für Messi zu arbeiten. Pedro und Co. Sollen dem Argentinier zuarbeiten, auf die Gefahr hin, selbst keine Gefahr mehr auszustrahlen, eventuell ein Grund dafür, weshalb Villa sich, trotz sehr guter Form, immer öfter auf der Bank wiederfand. Die Außenstürmer sollen die Abwehr des Gegner auseinanderziehen oder durch Läufe den Weg für Messi frei machen. Ein Beispiel:
Grafik 4: Messi gegen Getafe. Barcelona erobert in dieser Szene den Ball und sofort setzen sich alle Offensivspieler in Bewegung. Der blau markierte Messi geht dabei als einziger in den linken Halbraum, alle anderen tendieren nach rechts und verleiten so die Gegner dazu, ihnen zu folgen. Messi erhält den Ball wenig später, allerdings verspringt er leicht bei der Annahme und es kommt nur zu einem ungefährlichen Versuch.
So gut die oben genannte Methode auch funktionieren will, ein Problem bleibt bestehen: Durch das Laufen nach rechts ballt sich die Mehrheit der Spieler auf einer kleinen Fläche und die Angreifer Barcelonas müssen sich erst erneut freilaufen, um wieder gefährlich eingreifen zu können.
Ein anderes Beispiel mit Messi am Ball:
Grafik 5: Messi bekommt gegen Bilbao nach einem kurzen Solo von Dani Alves den Ball zugespielt. Eigentlich stehen die Basken sehr gut und haben alles im Griff, jedoch bewegen sich plötzlich alle Barcelonaspieler von Messi weg. So nutzt Messi den von Fabregas freigemachten Raum, zieht ein wenig nach rechts und dann plötzlich nach links. Ein Traumtor, das ohne seine Teamkameraden allerdings nicht möglich gewesen wäre.
Doch auch hier ergibt sich das gleiche Problem: Die anderen Spieler begeben sich in ungefährliche Räume und ziehen die Deckung auf sich. Damit bleiben nur noch 2 Möglichkeiten: a) ein Abschluss von Messi oder b) ein Neuaufbau/Ballverlust.
Doch dieses Verhalten scheint nur normal zu sein. Jede Mannschaft versucht ihre besten und gefährlichsten Spieler freizuspielen oder sie in Szene zu setzen. Ein Grund, warum gegnerische Trainer versuchen Messi mit besonderen Mitteln auszuschalten. Davon waren bereits verschiedene Varianten zu sehen, wie die klassische Manndeckung, ein Abwehrdreieck um Messi, eine doppelte Bewachung. Geschieht dies, steht der Gegner zwar deutlich defensiver, andererseits aber auch sicher gegen Versuch des Argentiniers. Begünstigt wurde diese Tatsache noch durch die anhaltende Formschwäche von Pedro und Sanchez oder dem Hang Barcelonas zum „Ins-Tor-Tragen“ des Balles. Barcelona wurde offensiv neutralisiert und verlor sich in Ballbesitz, wie zum Beispiel im Giuseppe Meazza gegen den AC Mailand geschehen.
Dies wirft eine Frage auf, die sich viele Fans stellen: Braucht Barcelona für die nächste Saison einen echten Neuner, wie beispielsweise Lewandowski, den Messi „umspielen“ kann, ähnlich einer 4-2-3-1 Formation, in der vor Messi noch ein echter Mittelstürmer agiert. Dieser würde eine klar Messi-orientierte Verteidigung alleine durch seine Präsenz verhindern oder würde das Freilassen von Flügelstürmern bedeutend gefährlicher machen, da mindestens 2 Spieler im Strafraum als Abnehmer einer Flanke in Frage kämen.
Ben Pedro, abseits.at
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