Österreichs größtes Fußballtalent jagte seinen Traum – und jetzt jagt er ihm nach nur einem halben Jahr hinterher. Yusuf Demir wurde im Zuge seiner... Kommentar: Warum Yusuf Demir zu Rapid zurückkehren sollte

Österreichs größtes Fußballtalent jagte seinen Traum – und jetzt jagt er ihm nach nur einem halben Jahr hinterher. Yusuf Demir wurde im Zuge seiner Leihe mit dem FC Barcelona zu einem politisch-taktischen Spielball und musste feststellen, dass der große Name nicht so romantisch ist, wie er sich anhört.

Für Rapid war und ist das Thema Yusuf Demir eines von hoher Priorität. Der 18-Jährige soll zum Rekordtransfer der Hütteldorfer gemacht werden, allerdings lief man aufgrund der Wechselwilligkeit des Youngsters und den finanziellen und planerischen Schwierigkeiten, die die COVID-19-Pandemie mit sich brachte Gefahr, den Offensivkünstler ablösefrei zu verlieren.

Sportvorstand Zoran Barisic holte das Maximum aus der Situation heraus, verlängerte Demirs Vertrag bis 2023, verlieh ihn postwendend an dessen Wunschklub Barcelona. Nach zehn Einsätzen bei den Katalanen würde eine Vertragsklausel aktiviert werden, die Demir fix zum Barcelona-Spieler macht und zehn Millionen Euro in Rapids Kassa spült.

Überraschung: Seit diesem Agreement bestritt Demir genau neun Spiele für den Weltklub. Knapp 300 Minuten hatte Demir Zeit sich zu beweisen. Netto also ein bisschen mehr als drei Partien. In der Startelf stand der vierfache ÖFB-Teamspieler zweimal. In Ansätzen ließ er sein Potential aufblitzen, der Konkurrenzkampf ist dennoch groß und wird durch die aktuelle Form- und Strukturschwäche bei Messis Ex-Klub nicht unbedingt vereinfacht.

Zudem ist Barca pleite. Satte 1,35 Milliarden Euro sollen die Katalanen in der Kreide stehen. Im vergangenen Sommer ordnete man alles einem neuen Vertrag für Lionel Messi unter, scheiterte aber an Vorgaben durch die Liga und verlor die Ikone an Paris Saint-Germain. Bisher keine Erfolgsgeschichte, für keinen der Beteiligten. Bei Barca erklärte man, kleinere Brötchen backen zu müssen und das auch zu wollen. Es sollte wieder ein junger Weg eingeschlagen werden, die Fans begrüßten diesen Sattelpunkt in der Gesamtentwicklung des Klubs. Man wolle sich auf „back to the roots“ besinnen und auch die starke Nachwuchsakademie „La Masia“ nutzen, um einen Neuaufbau anzugehen.

Da passte Demir eigentlich perfekt ins Bild. Früh in der Saison wurde klar, dass man in Barcelona an ihn glaubte und alles sah danach aus, als könnte sich Demir langsam und stetig ins Team spielen. Alles schien so, als würde man ihm in Camp Nou die Entwicklungszeit geben, die er braucht. Aber die schlechteste Saison seit knapp 20 Jahren machte Demir einen Strich durch die Rechnung.

Denn der Tabellensechste – derzeit mit einem indiskutablen Punktschnitt von 1,63 ausgestattet – wurde nervös. Trainer Koeman musste gehen und wurde, allen Insiderberichten zufolge, um über ein halbes Jahr früher als allgemein geplant, von Xavi ersetzt. Der schaffte nun einen Mini-Turnaround, ist immerhin seit fünf Pflichtspielen ungeschlagen, aber von Souveränität ist die Blaugrana dennoch meilenweit entfernt.

Obwohl Xavi aktuell zehn Ausfälle zu beklagen hat, sind ihm bezüglich Demir die Hände gebunden. Ein zehnter Einsatz würde die mehr oder weniger teure Vertragsklausel in Kraft setzen. Demir feierte sein Trainingscomeback vergangene Woche auf Instagram, freue sich „wieder dabei zu sein“ – beim 2:1-Auswärtssieg in der Copa del Rey bei Drittligist Linares saß er trotzdem nicht mal auf der Bank.

Die akuten Probleme und die Ungeduld beim FC Barcelona führen gleichzeitig zu in Relation nur schwer nachvollziehbaren Handlungen. Ferran Torres wurde von Manchester City verpflichtet – Kostenpunkt 55 Millionen, bezahlt trotz der horrenden Schulden. Selbst eine mögliche Abwerbung von Erling Braut Haaland geistert in den Medien umher. Nochmal zur Erinnerung: Über eine Milliarde Euro Schulden. Zehn Millionen auf Verdacht für diesen Wiener Jungen zu bezahlen, ist bei Barca 2022 offenbar nicht drin.

In der ganz großen Fußballwelt ist Yusuf Demir nur eine Nummer. Ein Spieler von vielen, ein Talent unter hunderten. Womöglich ein größeres als viele Jungs, die aus La Masia in die Kampfmannschaft der Katalanen aufrücken, aber doch kein absolutes „Must“ für den spanischen Großklub. Man kann „Ähnliches“ auch einfacher haben. Erfolg und Misserfolg sind auf diesem Level oft nur um Zentimeter getrennt. Wer weiß, ob die aktuelle Posse nötig wäre, hätte Demir in der Champions League gegen Benfica Lissabon nach einer messiesken Aktion nicht nur die Querlatte getroffen, sondern das Siegtor für Barcelona erzielt? Womöglich wäre diese eine Aktion, mit anderem Ausgang, ein Grund gewesen, um dem 18-Jährigen den „rettenden“ zehnten Einsatz zu bescheren.

Vielleicht wäre dieser zehnte Einsatz aber auch gar keine so große Rettung für Yusuf Demir. Klar, von einem Prestigestandpunkt aus betrachtet wäre er das, aber auch die nächsten Jahre werden in Barcelona nicht rosig aussehen. Diese Mannschaft wird noch einige Jahre nichts mit dem Gewinn der UEFA Champions League zu tun haben. Personell und planerisch steht der fünffache Gewinner der Königsklasse vor einer Zäsur.

Nun begann also das große Hickhack um Demirs Vertragsdetails. Rapid solle die „Zehn-Spiele-Klausel“ aus dem Leihvertrag streichen, damit der ÖFB-Teamspieler wieder bedenkenlos eingesetzt werden kann. Barcelona will den Rechtsaußen wohl wieder zurückschicken und die Sache schlichtweg neu bewerten bzw. Demir wieder von vorne beobachten. An Abnehmern soll es angeblich nicht mangeln. Leverkusen, Frankfurt, Dortmund und Leipzig sollen an einer Leihe des Rapidlers interessiert sein.

Nur wie sinnvoll wäre das nun genau? Dortmund etwa befand Demir schon vor einem Jahr für „zu langsam“ und damit nicht in die Spielphilosophie passend. Leipzig wiederum steht nach dem Nagelsmann-Abgang als Zehnter der deutschen Bundesliga ebenfalls vor einem Scherbenhaufen. In Leverkusen bekäme es Demir auf seinen beiden Stammpositionen mit Konkurrenten wie Wirtz, Demirbay, Adli oder auch noch Routinier Bellarabi zu tun. Frankfurt im 3-4-1-2 könnte systematische Vorteile für Demir bringen, aber auch hier müsste er an Spielern wie Lindström, Kamada oder Hauge vorbei.

Natürlich wäre es wünschenswert und zielführend, wenn sich Demir gegen derartige Kaliber durchsetzt und er hat auch praktisch das Potential dazu. Aber gäbe es nun ein neuerliches Halbjahresengagement steht der Youngster wieder gehörig unter Zeitdruck auf sehr hohem Level. Die Alternative wäre, das nächste halbe Jahr in Hütteldorf zu verbringen. Das wäre für den Rapid-Eigenbauspieler kein Beinbruch, sondern eine echte Chance, das zu bekommen, was ihm für die Top-Ligen noch fehlt: Spielpraxis – übrigens immerhin auch noch in der UEFA Europa Conference League – und vor allem einige nötige Basics.

Gerade zu einem Zeitpunkt, wo bei Rapid ein wenig Aufbruchsstimmung herrscht, wäre das eine gute Sache für den Jungen, der ab Sommer noch immer ein Jahr Zeit hat, den nächsten großen Schritt in seiner Karriere zu gehen. Der muss trotz seines festen, fast festgefahrenen Vorhabens nicht zwingend Barcelona heißen. Die Katalanen wird’s auch noch geben, wenn Demir 21, 22 oder 23 Jahre alt ist und bereits woanders auf sich aufmerksam machte und entsprechend reifte. Unter Ferdinand Feldhofer hätte Demir aber die Chance, gruppen- und mannschaftstaktische Dynamiken zu verfeinern und zu regelmäßigen, auch längeren Einsätzen zu kommen. Chancen, die er unter Kühbauer kaum hatte. Vom vertrauten Umfeld und vielen Freunden aus den A- und U21-Nationalteams ganz zu schweigen.

Es braucht einen Schritt zurück – und zwar einen vertrauten. Jetzt für ein halbes Jahr in die deutsche Bundesliga zu wechseln, würde zwar die Bühne den Ballzauberer vergrößern, doch die Gefahr Zeit zu verlieren bzw. vielleicht sogar zu einem unglücklichen Wandervogel zu werden, ist größer, als bei Rapid auf kleinerer Bühne aufzugeigen. Eine halbjährige Rückkehr nach Wien wäre eine Win-Win-Situation für die Grün-Weißen und den jungen Ziehsohn, der verständlicherweise hoch hinaus will und das auch noch wird. Der einzige Verlierer wird Barcelona sein. Und das zu Recht, wenn man beobachtet, wie der Klub mit der Karriere von Yusuf Demir umgeht. Wenn Demir sich daran hält, einfach nur Fußball zu spielen und Freude daran zu haben, egal welches Trikot er trägt, wird Barcelona früher oder später ohnehin nicht an ihm vorbeikommen. Dann wird’s für die kriselnden Katalanen aber vermutlich teurer, als es jetzt wäre…

Daniel Mandl Chefredakteur

Gründer von abseits.at und austriansoccerboard.at | Geboren 1984 in Wien | Liebt Fußball seit dem Kindesalter, lernte schon als "Gschropp" sämtliche Kicker und ihre Statistiken auswendig | Steht auf ausgefallene Reisen und lernt in seiner Freizeit neue Sprachen

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