Die Gerüchte um einen Wechsel von Luis Enrique auf die Trainerbank des FC Barcelona nehmen zu. Tata Martino hat auf Pressekonferenzen schon indirekt seinen Abgang angekündigt, während sich Sportdirektor Zubizarreta bereits mit Enrique getroffen hat. Dieser ist eigentlich nur die logische Folge, wenn man sich sein Profil ansieht: Erfahrung als Profitrainer, ehemaliger Trainer bei Barcelona B, früherer Star bei den Katalanen und eigentlich seit Guardiolas Abgang immer wieder im Gespräch als möglicher neuer Trainer. Aber welche Ideen und welche Geschichte stehen hinter diesem fast optimal wirkenden Profil?
In diesem zweiteiligen Porträt stellen wir Luis Enrique zuerst als Spieler und dann als Trainer vor.
Luis Enrique, der Fußballer
Der aus Gijon stammende Enrique begann ursprünglich bei seinem Heimatverein Sporting Gijon, wo er die Jugendmannschaften durchlief und auch sein Profidebüt machte. Doch schon mit 21 Jahren verließ er seine Heimat und mauserte sich in den folgenden Jahren zum Stammspieler bei Real Madrid, welche Anfang der 90er allerdings klar im Schatten der großen Barcelona-Mannschaft von Johan Cruijff und um Pep Guardiola standen.
Ein Jahr nachdem Superstar Michael Laudrup von Barcelona zu Real Madrid wechselte und einige Jahre bevor Luis Figo dasselbe tat, ging Luis Enrique den umgekehrten Weg. Dabei wurde wegen des Bosman-Urteils, welche in den 90ern für zahlreiche unerwartete Transfers sorgte, nicht einmal eine Ablöse bezahlt. Dennoch standen die katalanischen Fans dem Neuzugang überaus skeptisch gegenüber, obwohl er zu jener Zeit schon als einer der besten spanischen Fußballer galt.
In den nächsten Jahren sollte Enrique jedoch nicht nur Fan-Liebling im Camp Nou werden, sondern auch einer der Schlüsselspieler in einigen schwierigen Jahren mit zahlreichen Umbrüchen, dem Beginn der Galactico-Ära beim Erzrivalen und letztlich sogar Kapitän der ersten Mannschaft; bei Ankunft in Barcelona sicherlich undenkbar.
Ursache für diese enorme Veränderung und große Beliebtheit Enriques bei den Fans war seine Mischung aus Temperament, Ehrgeiz und Offenheit. Von Beginn an ging er sehr offen mit den kritischen Tönen der „Culés“ um, äußerte sich schon früh darüber, dass er sich eher als Barcelona-Fan sieht und – um dem ganzen noch einen populistischen Ton zu geben – „ihm weiß ohnehin nicht gestanden hätte“.
Wichtig war allerdings, dass er diese Aussagen und seine sehr kämpferische Art auf dem Platz auch mit den nötigen Leistungen untermauerte. Er traf in zahlreichen Clásicos gegen den Erzrivalen, bejubelte diese Treffer frenetisch und steckte nie auf. Eine Szene ist hierbei besonders aussagekräftig, nämlich seine Streiterei mit Zinedine Zidane:
Für zahlreiche Fans des FC Barcelona war diese Szene sinnbildlich. Luis Enrique war kein Riesentalent und kein Superstar, der Millionen verdiente oder international als Marketingmaschine galt. Dennoch gab er nie klein bei, konnte die Superstars der Königlichen einige Male ärgern und riss die gesamte Mannschaft mit seiner Art mit. Neben seinen läuferischen und kämpferischen Fähigkeiten brachte Luis Enrique auch eine fast einmalige Polyvalenz und ein überzeugendes Gesamtpaket mit.
Von rechts vorne bis links hinten
„Lucho“ ist einer jener wenigen Spieler gewesen, die den Namen Allrounder wirklich verdient haben. Ursprünglich war er eigentlich ein zentraler Akteur, doch im Laufe seiner langjährigen Karriere spielte er letztlich jede Position außer Torwart und Innenverteidiger. In vielen Partien agierte er als Achter bzw. als „Box-To-Box“-Spieler, der den gesamten Raum zwischen den beiden Strafräumen beackerte und für enorme Torgefahr sorgte. Allerdings konnte er im zentralen Mittelfeld nicht nur diese Rolle ausüben, sondern auch als Sechser abräumen oder auf der Zehn spielen.
Unter Louis Van Gaal wurde er sogar häufig als „Schattenstürmer“ im 2-3-2-3 eingesetzt; eine Position, die Jari Litmanen wenige Jahre zuvor bei Ajax Amsterdam inne hatte und die viele Jahre später Thomas Müller bei den Bayern ausüben sollte. Desweiteren spielte Luis Enrique unter Carles Rexach z.B. immer wieder als Außenstürmer, ob links oder rechts, und konnte auch als Außenverteidiger überzeugen. Letzteres hatte er in seiner Zeit bei Real Madrid öfters gespielt.
Diese Polyvalenz und Variabilität ermöglichten ihm seine vielfältigen Fähigkeiten. Enrique verfügte über gute Flanken, ein präzises und dynamisches Kurzpassspiel sowie eine sehr dynamische Bewegung im Kombinationsspiel. Dadurch konnte er auf dem Flügel durchbrechen oder im Zentrum auch unter Druck den Ball behalten und sich nach vorne tanken.
Dank seiner tollen Athletik war er nicht nur überaus laufstark, sondern auch schnell und konnte im Verbund mit seiner Technik auch zahlreiche Dribblings für sich entscheiden. In einigen Partien spielte er sogar als Mittelstürmer und überzeugte dort auch durch seine raumöffnenden Bewegungen, wo er für die Flügelstürmer mögliche Wege offen legte oder diese dann selbst wieder zulief, sich anbot und für Präsenz ganz vorne sorgte.
In diesem Video seiner Tore erkennt man auch die vielen unterschiedlichen Wege und Zonen, aus denen er diese Treffer erzielen konnte:
Dazu kamen eine große Durchsetzungsfähigkeit im Defensivzweikampf und ein hohes Engagement im Abdecken von Räumen, welche ihn zu einem unverzichtbaren Bestandteil des FC Barcelona als auch der spanischen Nationalmannschaft in den späten 90ern machte.
Der Asturier bestritt insgesamt 400 Spiele auf Profiniveau in Spanien, davon über 200 für den FC Barcelona, für die er 73 Tore erzielte. In der spanischen Nationalmannschaft waren es immerhin 12 Tore in 62 Partien und er nahm an drei Weltmeisterschaften und einer Europameisterschaft teil. Im Jahr 2004 beendete er seine 16-jährige Karriere, weil er nach eigener Aussage die eigenen Ansprüche nicht mehr erfüllen könne.
Für viele gilt er alleine wegen seiner Zeit als Spieler, seinem Dasein als Fan-Liebling und als absolute Führungspersönlichkeit als Idealbesetzung für die Arbeit als Trainer des FC Barcelona. Zahlreiche Culés sehen in ihm die perfekte Mischung aus einem kompetenten Trainer, einem passenden Psychologen und einer Persönlichkeit mit dem passenden Background, um dem Druck standzuhalten, schwierige Entscheidungen unter Druck treffen wie verantworten zu können und sowohl zwischen Fans, Spielern und Vorstand vermitteln zu können, ohne an Autorität einzubüßen.
Die größere Frage wird darum vermutlich eher sein, ob „Lucho“ wirklich die notwendige Kompetenz und das benötigte Know-How besitzt, um die Probleme des FC Barcelona dieser Saison in puncto Taktik zu lösen. Hier gibt es trotz viel Talent und der für Barcelona adäquaten Philosophie ein paar Fragezeichen.
René Maric, www.abseits.at
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