Real verliert gegen großartig kämpfende Sevillanos
Spanien 18.September.2012 Florian Eliadakis 1
Von der ersten Sekunde an war der bedingungslose Wille Sevillas zu sehen, in diesem Spiel endlich Revanche für die Blamagen der Vergangenheit zu nehmen. Alleine in den letzten drei Spielen hatte man gegen Real 15 Tore kassiert. Enorm aggressives Spiel vom Anpfiff weg sowie taktische Raffinessen bescherten Sevilla den verdienten Sieg.
Real wie erwartet, Sevilla mit Überraschungen
Mourinho schickte seine Mannschaft wie erwartet ins Spiel: 4-2-3-1 mit Xabi Alonso und Khedira im eher defensiven Mittelfeld, Özil auf der Zehn, Ronaldo und Di Maria auf den Flügeln, Higuain als Spitze.
Sein Gegenüber, José Miguel González, besser bekannt als Michel, hatte als Aktiver in den 80ern und 90ern über 400 Spiele für Real Madrid bestritten, und danach kurzzeitig Real Madrid Castilla, die Reservemannschaft der Königlichen, trainiert. Nach einer Zwischenstation beim FC Getafe übernahm er im Februar 2012 das Traineramt beim FC Sevilla. An diesem Abend sollte er seiner Mannschaft mit einer simplen, aber effektiven Strategie und klugen taktischen Maßnahmen während des Spiels zum Sieg verhelfen.
Sevillas Rezept: „How to beat Real Madrid“-Formel?
Um Real zu entwaffnen, muss man verstehen, welche Waffen es überhaupt hat. Natürlich, Ronaldo, Özil, Di Maria, Marcelo, das sind alles Weltklassespieler, die durch ihre individuellen Fähigkeiten immer für einen Geniestreich gut sind. Aber der wahre Taktgeber ist keiner dieser vier, es ist Xabi Alonso. Ähnlich wie bei der Ungarn-Mannschaft 1954: nicht Puskas war der wahre Spielmacher, es war Hidegkuti, der durch seine Spielintelligenz das Match in optimale Bahnen lenkte. Die Rahmenbedingungen sind heutzutage völlig andere, aber ohne einen Spielertyp wie Hidegkuti wären Puskas und Co nur halb so effektiv gewesen. Xabi Alonso ist derjenige, der dem Spiel der Madrilenen mit seinen Pässen Tempo oder Ruhe verordnet, der das Spiel des Gegners liest und seine Mitspieler auf dessen Schwachstellen lenkt. Er ist das wahre Gehirn dieser Mannschaft. Um das Spiel der Königlichen zu entschärfen, muss man Xabi Alonso so gut wie möglich ausschalten.
Mehr Zweikämpfe entgegensetzen
Eine weitere Waffe von Real ist das energische Angriffspressing und sofortige Gegenpressing bei Ballverlust. Eine Möglichkeit, um einem solchen Pressing auszuweichen, sind hohe Bälle in die Sturmreihe, die dort von kopfballstarken Spielern abgelegt werden, sodass dann entweder Angriffsaktionen aufgebaut oder die zweiten Bälle erobert werden können, oder hohe Bälle hinter die Abwehrreihe des Gegners zu den gleichzeitig startenden und üblicherweise schnellen Flügelspielern.
Als Stärke muss man auch das häufig körperbetonte Spiel Reals sehen. Obwohl in den Reihen der Madrilenen viele Techniker zu finden sind, gibt es durchaus robuste Zweikämpfer. Viele Mannschaften lassen sich von dieser Mischung aus Pressing, Schnelligkeit, und Kampfkraft rasch beeindrucken und verfallen in Hektik. Es war wohl eine Überlegung hinter der Aufstellung von Maduro und Medel als Doppel-Sechs, Real Madrid mehr Zweikampfstärke entgegenzusetzen. Auch die anderen Punkte hat Michel einkalkuliert. Und sein Plan ging auf.
Sevilla ohne Rücksicht auf Verluste
Unmittelbar nach dem Anpfiff war ersichtlich, dass Sevilla an diesem Abend laufen und kämpfen würde, als ginge es ums nackte Überleben. Das frühe 1:0 durch Trochowski nach einem Eckball gab der Motivation der Hausherren zusätzlichen Auftrieb, deutete aber auch gleichzeitig an, dass Sevilla Reals Schwäche bei Standards erkannt hat. Allein diese Saison wurden 4 der 5 erhaltenen Gegentreffer aus Standards erzielt. Im weiteren Verlauf des Spiels sollten einstudierte Eckball- und Freistoßvarianten immer wieder höchste Gefahr vor dem Tor von Iker Casillas erzeugen.
Tolles Pressing, entnervte Higuain und Di Maria als Sinnbild
In beeindruckender Manier gingen die Akteure des FC Sevilla in die Zweikämpfe. Bei jedem Pressball wurde mit voller Wucht durchgezogen, jeder Gegner in höchstem Tempo angelaufen, es wurde getackelt, geschoben, mit den Ellbögen gearbeitet, und häufig auch gefoult. Bereits in den Anfangsminuten war Higuain von der harten Gangart der Gastgeber derart entnervt, dass er sich zu einem Nachtreten gegen Navarro hinreißen ließ, das der Schiedsrichter zum Glück für ihn aber übersah. Ebenso beeindruckend war die Zusammenarbeit der Abwehr- und Mittelfeldreihen. Gelegentlich zogen die Sevillanos im Mittelfeld ein beinahe unglaubliches Pressing auf. Zu dritt oder gar zu viert wurde der ballführende Madrilene aus allen Richtungen mit vollster Vehemenz attackiert, was einen Kommentator zu der Bemerkung veranlasste, Sevilla jage den Ball wie ein Wolfsrudel. Auch Di Maria – er wurde nach einer grottenschlechten Leistung zur Halbzeit ausgetauscht – beging solcherart attackiert kurz vor der Pause eine rotwürdige Tätlichkeit gegen Rakitic.
Real wurde aus der Reserve gelockt
Eine solche Spielweise ist aber kraftraubend und nicht ein ganzes Spiel durchzuhalten. Deshalb gab es immer wieder Phasen von ein paar Minuten, in denen sich Sevilla zurückzog und Real das Spiel überließ. Häufig wurde dann mit hohen Bällen auf Negredo oder Jesus Navas gearbeitet. Manchmal hatte man auch den Eindruck, einige Abstöße wurden kurz gespielt, um Real zum Aufrücken und Pressing zu verleiten und so ein paar Spieler herauszulocken. Danach wurde der Ball zum Tormann zurückgespielt, der ihn dann nach vorne schlug, wo Negredo oder Navas nun etwas mehr Raum für Ableger oder Einzelaktionen hatten. Vor allem Navas war auf dem rechten Flügel immer wieder für gefährliche Situationen verantwortlich.
Manndeckung auf Xabi Alonso
Rakitic war es, der Xabi Alonso beinahe ununterbrochen auf Schritt und Tritt verfolgte und ihm den Abend gründlich verdarb. Alonso ist weder überaus schnell noch technisch sonderlich beschlagen. Um seine Qualitäten – Übersicht und Passgenauigkeit – auszuspielen, braucht er ein paar Sekunden Zeit. Die bekam er von Rakitic aber fast nie. Auch in den Phasen, in denen sich Sevilla zurückzog, war Rakitic immer in seiner Nähe.
Modric und Benzema schaffen Vorteile
Mourinho war bereits vor der Pause merklich verärgert über das Spiel seiner Mannschaft. Özil musste Modric weichen, Benzema kam für Di Maria. Rakitic hatte seine Pflicht bislang mehr als erfüllt und Real zur Umstellung gezwungen. Modric kommt besser aus der Tiefe als Özil und ist eindeutig schneller, dynamischer, und technisch stärker als Xabi Alonso. Er sollte diesen damit entlasten. Aus einem 4-2-3-1 wurde nun ein 4-1-2-3 mit Alonso vor der Abwehr, Khedira und Modric als Achter und Benzema als nominellen Rechtsaußen, der mit Higuain häufig ein Stürmer-Pärchen bildete. Und die Wechsel zahlten sich vorerst aus. Real begann Anfang der zweiten Halbzeit, das Spiel zu dominieren. Ein Pfostenschuss von Modric und eine Riesenchance für Sergio Ramos, der aus drei Metern an die Latte köpfelte, sprangen dabei heraus. Auf der Gegenseite konnte Sevilla immer wieder über Jesus Navas gefährliche Konter fahren.
Mourinho sieht die Lücke
Trochowski begann sich in dieser Phase immer mehr ins Zentrum zu orientieren, um dort seine Mannschaftskollegen zu unterstützen. Dort war seine Hilfe gern gesehen, aber sein Flügel verwaiste. Arbeloa ist offensiv nicht ganz so schlecht, wie man öfter hört, jedoch kann er keinen Flügel alleine beackern. Auch Mourinho war die Situation auf dieser Seite nicht entgangen. Er setzte schließlich alles auf eine Karte und brachte in der 65. Minute mit Callejon einen rechten Flügelstürmer für Arbeloa, Khedira musste nun nach rechts und die Löcher hinter ihm schließen.
Situation nach der Einwechslung von Modric: Trochowski lässt sich ins Zentrum ziehen, Arbeloa hätte freie Bahn, ihm fehlen jedoch die offensiven Qualitäten – Mourinho bringt Callejon für Arbeloa und opfert Khediras Platz im Zentrum, der nun hinter Callejon aufräumen und mit ihm und einem aus dem Angriffstrio Ronaldo-Higuain-Benzema gegen Sevillas linke Flanke anrennen soll. Michels Reaktion zerstört die Hoffnungen aber kurz darauf.
Michel reagiert – Real resigniert
Kurz darauf war auf Seiten Sevillas klar, wohin die Reise geht: Ergebnis halten. Negredo ging vom Platz, für ihn kam Luna, ein gelernter Linksverteidiger. Er kümmerte sich sofort um Callejon und hatte ihn über weite Strecken im Griff. Was nun hinzukam, war, dass Khediras Kampfkraft und box-to-box-Qualitäten auf der rechten Seite gebunden waren. Man hatte nicht mehr den Eindruck, dass Real das Ding noch drehen könnte, und die Spieler glaubten es wohl irgendwann auch selbst nicht mehr. Mit unkoordinierten Angriffen von Real und teils lächerlichen Schwalben im Strafraum trudelte das Spiel aus. Reals Fehlstart ist perfekt. Auf das Aufeinandertreffen mit Manchester City darf man jedenfalls gespannt sein.
Florian Eliadakis, abseits.at
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