Nachdem Spanien sang-und klanglos in der Vorrunde der WM scheiterte, erweist sich ein Umbruch als unvermeidbar. Die Spielergeneration um Xavi und Casillas, die dreimal... Spaniens Nationalteam – Die Erben der „Goldenen Generation“ (1)

Spanien - FlaggeNachdem Spanien sang-und klanglos in der Vorrunde der WM scheiterte, erweist sich ein Umbruch als unvermeidbar. Die Spielergeneration um Xavi und Casillas, die dreimal in großen Turnieren triumphierte, wird durch frisches Blut ersetzt werden. Wir beleuchten, wie die Zukunft des spanischen Nationalteams aussehen könnte.

Der Torhüter – Abgang einer Legende?

Im Tor vertrat mit Iker Casillas eine Institution des spanischen Fußballs die „Seleccion“. Er bestritt 17 WM-Spiele, was spanischer Rekord ist, und trug seinen Teil zu drei ruhmreichen Titelgewinnen bei. Unvergessen ist, wie er im WM-Finale 2010 gegen Arjen Robben seinem Team die Chance auf den Sieg bewahrte. Doch im jüngsten Turnier entpuppte er sich als Schwachstelle. Er verschuldete sowohl gegen die Niederlande als auch gegen Chile ein Gegentor, zudem hatte er zuvor seinen unumstrittenen Stammplatz in Madrid eingebüßt. Im Passspiel unterliegt Casillas seinen Konkurrenten Valdes und De Gea, auch in der Antizipation von langen Pässen sind sie besser. Für Spaniens Stil, der um Kurzpassspiel und eine hohe Abwehrkette aufgebaut ist, sind diese Fähigkeiten jedoch essentiell. Vermutlich wird der 23-jährige De Gea, der unter Louis van Gaal eine ähnlich dominante Spielauffassung kennenlernen wird, Casillas beerben.

Die Innenverteidigung – Alte Kräfte mit neuen Rivalen?

In Pique und Sergio Ramos verfügt die „Rote Furie“ weiterhin über zwei Innenverteidiger, die in Form auch 2016 noch höchstes Niveau darstellen werden. Allerdings rief insbesondere Pique seine Klasse bei der WM nicht ab, zumal seine Antrittsschwäche gelegentlich an seiner Eignung zweifeln lässt. Mit Javi Martinez, der bereits gegen Chile den Vorzug erhielt, erwächst Pique ein ebenbürtiger Konkurrent. Man wird sehen, wer sich durchsetzen kann, es wird aber wohl keine Freifahrtscheine geben. Ein neues Supertalent drängt sich in der Innenverteidigung nicht auf, wobei Inigo Martinez oder Marc Bartra talentierte Alternativen sind.

Außenverteidigung – Aufhebung der traditionellen Asymmetrie?

Dort setzten sowohl Aragonez als auch Vicente Del Bosque bisher auf eine Asymmetrie, bei der ein Außenverteidiger sich zurückhielt, während der andere die Offensive ankurbelte. 2008 und 2010 durfte Ramos vorstoßen, da Capdevila ihn absicherte, anschließend kehrte sich das System mit dem Linksverteidiger (Jordi Alba) als offensivem Part um, wofür der Rechtsverteidiger (Arbeloa, später Azpilicueta) defensiv agierte. Das dürfte sich nun ändern, schließlich wird sich Daniel Carvajal im Normalfall zum Stammspieler entwickeln. Er ist erst 22 und belebte nach seiner ausgezeichneten Saison bei Bayer Leverkusen auch Reals Flügel mit seinem Offensivdrang. Vereinzelt, beim 3:4 im Clasico zum Beispiel, zeigt er noch Mängel im Stellungsspiel, doch das sollte mit der Zeit abnehmen. Ein ähnlich mutiger, offensiver Außenverteidiger, der allerdings taktisch etwas weniger Reife an den Tag legt, wechselt mit Bernat zum FC Bayern, wo er sich mittelfristig einen Stammplatz erkämpfen könnte.

Zudem wird sich Alberto Moreno, ein bissiger, technisch guter Linksverteidiger vom FC Sevilla, wohl zu einem der Topspieler auf seiner Position entwickeln. Falls der FC Barcelona sich von Dani Alves trennt, könnte Martin Montoya die Chance erhalten, sich zu beweisen. Im Gegensatz zur Konkurrenz wäre er eher ein defensiv ausgerichteter Außenverteidiger.

Das Mittelfeldzentrum – Offensiver und mit Busquets als neuem Chef?

Das zentrale Mittelfeld ist das Herz einer Mannschaft, dort entscheidet sich der Charakter des „neuen Spaniens“. Del Bosque vertraute bei großen Turnieren stets auf ein ballsicheres, aber auch defensives Trio mit Xabi Alonso, Busquets und Xavi. Der Madrider wirkte dabei immer etwas deplatziert, da mit Busquets und Xavi eine ausreichende Absicherung gegeben schien. Des Weiteren war Alonso immer etwas unbeweglich und nicht so elegant wie seine Kollegen, weswegen er bei den Kurzpassstafetten in engen Räumen nicht so effektiv war. Seine größte Stärke, die punktgenauen langen Diagonalpässe, wurde nicht wirklich forciert.

Da aus Altersgründen Xavi (34) und Xabi Alonso (32) an der nächsten EM voraussichtlich nicht teilnehmen werden, öffnet sich Platz für neue Stars. Auch die Stammspieler David Silva (28) und Andres Iniesta (30) werden dann in den Dreißigern angekommen sein. Sergio Busquets wird womöglich zum neuen Anführer avancieren, schließlich überzeugt er konstant mit seinem exzellenten Ballgefühl und seiner überragenden Spielintelligenz. Sein Stellenwert wird schon alleine steigen, weil Alonso, sein Partner, wegbricht, mit dem er sich die Kompetenzen aufteilte. Er wird defensiv größere Räume abdecken und vermutlich offensiv als erste Anspielstation der Innenverteidiger gesucht werden, um den Spielaufbau einzuleiten. Er muss dabei ohne die Unterstützung des früher genialen, omnipräsenten Xavis auskommen.

Viele neue Talente

Vor ihm werden, getreu der spanischen Philosophie, weitere technisch versierte Spielgestalter auflaufen. Vielleicht wird Iniesta, sobald seine Dynamik abnimmt, eine tiefere Rolle einnehmen und in die Fußstapfen Xavis hineinwachsen. Er verfügt über die nötigen Eigenschaften, nämlich Übersicht, Intelligenz im Pressing, grandiose Ballbehandlung und vorausschauendes Agieren. Er könnte von Thiago Alcantara ergänzt werden, der trotz Verletzungspech bei seiner Einstandssaison beim FC Bayern überzeugte. Auch wenn er lernen muss, seine Risikopässe dosierter einzusetzen, ähnelt Thiago einer Mischung aus Xavi und Iniesta, inklusive der Virtuosität am Ball. Ein weiterer Kandidat ist Koke, der ob seiner Flexibilität in ganz verschiedenen taktischen Rollen auftrumpfen könnte. Er erfüllt ebenfalls das typische Profil eines spanischen Kurzpassspielers, glänzt darüberhinaus jedoch noch durch Bissigkeit im Zweikampf, gute Flanken, Laufstärke und Dynamik. Zudem besitzt er die Begabung, seine Risikobereitschaft im Passspiel genau der vorliegenden Situation anzupassen.

Doch das ist noch nicht alles, was der spanische Talentepool zu bieten hat. Ander Herrera führte Athletic Bilbao als beweglicher Akteur, der sich auch aus engen Räumen winden kann, in die Champions League. Rafinha Alcantara, der Bruder von Thiago, könnte unter seinem Förderer Luiz Enrique beim FC Barcelona durchstarten. Sein Spielstil erinnert an Thiago, allerdings bringt er mehr Zug zum Tor mit. Oliver Torres von Atletico Madrid, ausgeliehen an den FC Porto, gilt vom Spielertyp her als legitimer Nachfolger Xavis. Neben seiner, wie bei so vielen spanischen Mittelfeldspielern, ausgezeichneten Ballbehandlung verfügt er über das strategische Gespür, den richtigen Pass zur richtigen Zeit zu spielen. Er spielt ruhig und vorsichtig, um dann plötzlich das Tempo anzuziehen.

Im zweiten Teil wird es um die verbliebenen Positionen sowie ein abschließendes Fazit gehen

Leonard Dung, abseits.at

Leonard Dung

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