Taktische Analyse: Probleme im Aufbauspiel von Real Madrid
SpanienTaktik & Theorie 16.April.2016 Fabian Schaipp 1
„My job is to take you to the last third; your job is to finish it.” Dieses Arbeitsmotto von Pep Guardiola beschriebt sehr gut, welch große Rolle ein funktionierendes Aufbau- und Ballbesitzspiel für den Erfolg einer Mannschaft hat. Selbst die individuell besten Spieler können keine Torgefahr erzeugen, wenn sie den Ball nur unter Druck oder in ungefährlichen Positionen erhalten. Daher soll hier das Aufbauspiel von Real Madrid genauer unter die Lupe genommen werden.
Was ist für ein gutes Aufbauspiel notwendig?
Um ins letzte Drittel des Spielfeldes zu gelangen, und dort mit der gesamten Mannschaft Druck aufbauen zu können, müssen einige Aspekte bei der Ballzirkulation aber auch der Positionierung der Spieler beachtet werden:
Grundsätzlich ist es das Ziel, in einer tornahen Zone Ballbesitz zu haben. Daher sollte natürlich – immer wenn möglich – der vertikale, nach vorne gerichtete Pass gesucht werden. Allerdings reicht der Pass alleine nicht aus. Der Empfänger muss zudem Passoptionen oder Raum für ein Dribbling haben, da er sonst unter Gegnerdruck den Ball verlieren wird. Eine geeignete Positionsstruktur in den höheren Zonen ist daher notwendig, um den Ballbesitz in der jetzt erreichten Zone zu sichern. Wichtig ist es also, dass mehrere Mitspieler in der Zone direkt hinter der Pressinglinie des Gegners anspielbar sind und diese wiederum selbst geeignete Abstände zueinander oder zu Spielern in der vordersten Linie haben.
Ein guter Spielaufbau ist also eine teamtaktische Aufgabe. Wer nach vorne kommen will, muss auch nach vorne passen. Dafür müssen alle Spieler der Mannschaft gemeinsam auf- und nachrücken, und ständig den Raum des Feldes möglichst gut aufteilen. Eines der schwierigsten Punkte dabei ist es, eine Balance zu finden: einerseits muss die Breite genutzt werden, um Räume im Zentrum zu öffnen, andererseits dürfen die Abstände der Spieler (horizontal wie vertikal) nicht zu groß sein, um nicht durch den Gegner isoliert werden zu können.
Was läuft schief?
Schauen wir uns das Aufbauspiel von Real Madrid genauer an. Dafür haben wir einige Situationen aus dem Viertelfinal-Rückspiel gegen Wolfsburg ausgewählt.
Hier hat Ramos den Ball. Kroos und Marcelo sind die naheliegenden Passoptionen.
Was sofort auffällt, ist ein großes Loch hinter der Pressinglinie von Wolfsburg, wo kein einziger Real-Spieler positioniert ist. Dadurch bleiben Real nur zwei Optionen: ein riskanter langer Ball (riskant im Sinne von hohes Risiko des Ballverlustes) oder das Spiel über den linken Flügel. Allerdings ist auch dort die Aufteilung nicht optimal. Marcelo steht auf einer Linie mit Benzema, und somit kann Wolfsburg diese Situation relativ leicht verteidigen. Grundsätzlich ist es problematisch, den Flügel doppelt zu besetzen, da dann in den Halbräumen und im Zentrum der Gegner in Überzahl ist und somit die gefährlichen Zonen dominiert. Außerdem kann Wolfsburg hier den Flügel sehr gut unter Druck setzen, da die Passoptionen in den Halbraum hinein fehlen und somit kein großes Risiko besteht.
Anstatt die Lücke im Zentrum zu füllen (z.B durch ein Einrücken Benzemas und das Aufrücken Marcelos), bleiben die Spieler an ihrer Position, aber auch drei Sekunden später ist keine aussichtsreiche Anspielstation verfügbar:
Hier sieht man noch deutlicher, wie sinnlos ein Pass auf Marcelo wäre, der einfach zu tief steht. Der einzige Ausweg scheint hier ein langer Ball oder eine Verlagerung nach rechts.
Eine andere Situation:
Marcelo steht wieder viel zu tief. Durch sein Aufrücken wäre der Rechtsaußen von Wolfsburg gezwungen, sich etwas fallen zu lassen. Dies öffnet dann Räume für Kroos oder ein Dribbling für Ramos. Zudem ist ein erfolgreicher Pass auf Marcelo dann mit viel Raumgewinn verbunden.
Ein weiteres Problem: die vertikale Staffelung. Modric, Casemiro, Kroos und Marcelo stehen auf einer Linie. Zwischen ihnen sind also nur Querpässe möglich. Diese erzeugen aber weder Dynamik nach vorne, noch sind sie für Wolfsburg sonderlich schwer zu verteidigen, ein einfaches Verschieben und Herausrücken des Spielers beim Passempfänger genügt. Wiederum fällt auf, dass hinter der Wolfsburger Viererkette im Mittelfeld, also im Raum um Luiz Gustavo, kein Madrilene anspielbar ist. Hier könnte beispielsweise Carvajal ein wenig aufrücken, und Modric somit in diesen Raum hineinstoßen.
Die grundlegenden Probleme sind also folgende:
- Doppelte Besetzung der Flügel
- Kein oder zu spätes Aufrücken der Außenverteidiger (der jeweilige Außenstürmer könnte dann wegen Punkt 1 situativ einrücken)
- Schwache vertikale Staffelung, kaum Passoptionen hinter die Pressinglinie
- Seltene Dreiecksbildung
- Kroos und Modric lassen sich gerne fallen, da Casemiro als defensiver Spieler auch eher tief steht, ist das gesamte Mittelfeld zu tief positioniert à keine Verbindung zur Sturmreihe
Wie könnte man also das Aufbauspiel verbessern? Da Cristiano Ronaldo sowieso häufig einrückt und fast als zweiter Stürmer spielt, wäre ein frühes Aufrücken Marcelos eine große Verbesserung. Mit Kroos im linken Halbraum könnten über diese Seite gefährliche Situationen kreiert werden.
Eine weitere große Baustelle ist die Einbindung Casemiros. Durch das häufige Fallenlassen von Kroos und Modric, hat dieser bisher kaum Aufgaben im Aufbauspiel. Zieht man in Betracht, dass die langen Bälle, die Real (oft aus der Not heraus) spielt, durchaus Gefahr bringen (vor allem wegen der technischen und physischen Stärken der Sturmreihe und den Passfähigkeiten von Kroos und Modric). Interessant wäre daher, wenn Casemiro sich sehr hoch positioniert, um dann zweite Bälle direkt abfangen zu können.
Alternativ könnte man über Halbraum- und Flügelkombinationen und Dreiecksspiel (Kroos-Marcelo-Cristiano, Modric-Carvajal-Bale) Dynamik und somit Gefahr erzeugen. Rechts könnte Benzema dabei als Unterstützung dienen. Dadurch könnte man Casemiro eine passende Rolle zuteilen, und zudem die Stärken von Modric, Kroos aber auch Benzema im Passspiel nutzen. Fraglich ist dabei natürlich, ob die hohe Positionierung mit der eigentlich defensiven Rolle Casemiros kompatibel ist. Vorteilhaft für die Besetzung dieser Position als Bindeglied zwischen Abwehr/Mittelfeld und Angriff – aber zulasten der defensiven Stabilität – wäre es natürlich, anstatt Casemiro Isco oder James aufzustellen.
So könnte das eben beschriebene Grundschema bei eigenem Ballbesitz ausschauen.
Spielt man gegen Mannschaften, die selbst gerne das Spiel dominieren, kommen die eigenen Probleme im Aufbauspiel nicht übermäßig zum Tragen – wie beim Sieg gegen den FC Barcelona vor wenigen Wochen. Sollte es aber der Anspruch von Zidane sein, einen – ähnlich dem Juego de Posicion – ballbesitz- und dominanzorientierten Spielstil bei Real zu prägen, bleibt noch viel Arbeit für den Trainer der Königlichen.
Fabian Schaipp, abseits.at
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