Transfers erklärt: Die Rollen von Carvajal und Sokratis bei ihren neuen Klubs
DeutschlandSpanien 9.Juni.2013 Rene Maric 1
Wie schon in der vergangenen Winterpausen gehen wir in dieser Rubrik auf einzelne fixe Transfers zumeist größerer Vereine ein, wo die Hintergründe und Motive beleuchtet werden. Wieso holt eine Mannschaft diesen Spieler? Wer ist dieser Spieler überhaupt? Was erwartet sich sein neuer Verein von ihm? Kann er die Erwartungen in seinem neuen Verein erfüllen?
Diese Fragen sollen hauptsächlich beantwortet werden. Auch die taktische Perspektive soll nicht zu kurz kommen, immerhin ermöglicht ein neuer Spieler oftmals eine Vielzahl neuer Kombinationen und Synergien, die ebenfalls kurz erläutert werden sollen.
In dieser Ausgabe blicken wir auf zwei interessante Transfers von deutschen Bundesliga-Mannschaften.
Daniel Carvajal –ein künftiger Galactico?
In dieser Saison spielte sich Daniel Carvajal in die Herzen der Fans von Bayer 04 Leverkusen. Im Sommer kam er von Real Madrid und sollte sich als Rechtsverteidiger durchsetzen. Doch er füllte nicht nur eine Planstelle im Kader der Leverkusener, sondern etablierte sich auch ligaweit als einer der besten Rechtsverteidiger. Immer wieder schob er nach vorne, unterstützte den Rechtsaußen (Sam oder Bellarabi) mit durchgehendem Hinterlaufen und Support. Dabei bestach er nicht nur durch seine hohe Athletik, Schnelligkeit und Durchschlagskraft, sondern auch durch seine intelligenten Bewegungen und sein taktisches Geschick.
Wie Lukasz Piszczek und Philipp Lahm ist er nämlich kein klassischer Außenverteidiger, der nur entlang der Grundlinie brettert und dem Spiel die Breite gibt. Carvajal schiebt auch sehr oft diagonal nach innen und „vorderläuft“ seinen Vordermann. Dadurch hat sein Manndecker, meistens der gegnerische Flügelstürmer, einige Probleme – im Normalfall ist er auf dem Flügel gebunden und agiert in der Defensive sehr breit.
Beim diagonalen Lauf seines Gegenspielers versucht er dann oft, den durchbrechenden Außenverteidiger in die Mitte zu übergeben, was sich aber kommunikativ und insbesondere bei einem so dynamischen Spieler wie Carvajal schwierig gestalten kann. Carvajal kann dadurch viel Chaos in die gegnerische Abwehr bringen, auch weil viele Teams heutzutage mit isolierten Außenspielern im Kettenspiel agieren – oft schieben die Flügelstürmer auf die Seite, die zentralen Spieler schieben aber weniger intensiv nach und es entstehen dazwischen Lücken. Diese Lücken beackert Carvajal immer wieder mit seinen diagonalen Läufen. Ein Tor und beeindruckende acht Vorlagen in 32 Ligaspielen zeugen von der Effektivität dieser Spielweise.
Nun zog Real Madrid die Rückkaufoption und holte das Eigengewächs für 6,5 Millionen € zurück – dies bedeutete nur 1,5 Millionen € Verlust, nachdem sie ihn im Vorjahr für 5 Millionen verkauft hatten. Keine schlechte Leihgebühr, denn Carvajal scheint sich so gut entwickelt zu haben, dass er bei Real nächste Saison sogar Stammspieler werden könnte.
In dieser Saison spielten zumeist Alvaro Arbeloa oder Michael Essien auf dieser Position. Letzterer war allerdings nur von Chelsea ausgeliehen und wird seinem Lieblingstrainer José Mourinho wieder dorthin zurückfolgen. Arbeloa ist zwar ein sehr solider Akteur und beidseitig einsetzbar, dürfte aber wegen seiner Unterlegenheit in der Offensive und Dynamik das Nachsehen gegenüber Carvajal haben – zumindest auf dem Papier. Die anderen Alternativen heißen Fabinho, Callejon und Sergio Ramos; Ersterer dürfte wohl noch die eine oder andere Saison in der zweiten Mannschaft verbringen, gilt aber als dribbel- und offensivstarker Außenverteidiger. Callejon ist ein Flügelstürmer, der nur notgedrungen als Rechtsverteidiger eingesetzt wurde – Carvajal bringt die gleiche Offensivstärke bei besserem Positionsspiel mit. Einzig Sergio Ramos könnte Carvajals Erfolgslauf und Durchbruch bei seinem Heimatverein einen Strich durch die Rechnung machen.
Aktuell spielt Ramos zwar als Innenverteidiger, könnte aber in der nächsten Saison wieder auf die rechte Außenbahn rutschen. Mit Pepé und Supertalent Raphael Varane gäbe es ausreichend starke Innenverteidigerbesetzungen und vor der Ära Mourinho spielte Ramos ausschließlich als Rechtsverteidiger, gewann damit 2008 und 2010 auch mit der Nationalmannschaft zwei internationale Titel.
Ob der nächste Trainer, man munkelt Carlo Ancelotti sei der Topkandidat, auf Carvajal oder Ramos zurückgreifen wird, könnte also eine Schlüsselfrage für die Entwicklung Carvajals werden. Die Logik sagt zwar, dass Carvajal als Rechtsverteidiger mit Arbeloa als Ersatz und Ramos als Abwehrchef neben dem formstärkeren Mitspieler die wahrscheinlichste Wahl erscheint, doch Reals Eigengewächse haben immer einen schwierigen Stand in ihrem Heimatverein.
Sokratis Papastathopoulos – ist er die Streitereien wert?
Um den Transfer des Bremer Innenverteidigers gab es mediales Gezanke. Rudi Völler und Wolfgang Holzhäuser, Sportdirektor und Geschäftsführer bei Bayer Leverkusen, kritisierten den BVB für den Kauf von Sokratis sehr scharf. Kurz vor der Unterschrift bis 2017 bei Leverkusen hatte Borussia Dortmund den umworbenen Sokratis noch einen anderen Vertrag vorgelegt und sich seine Dienste gesichert.
Dabei hatte Sokratis schon eine mündliche Zusage an Leverkusen gegeben und wurde bereits über seine künftige Kadersituation aufgeklärt. Besonders kritisiert wurde dabei das Verhalten der Dortmunder, die Leverkusen nicht über ihr Transfergebahren informiert haben.
Davon kann man halten, was man will – die meisten Fans dürften sich um solche Streitereien kaum kümmern. Interessant ist aber, wie perfekt Sokratis bei beiden Teams die Anforderungen und Planstellen im Kader abdeckt. Als Leverkusen ihn kaufen wollte, wussten sie noch nicht sicher, ob Carvajal den Verein verlässt. Gleichzeitig waren sie auf der Suche nach einem Innenverteidiger, um die oft kritisierte Abwehrzentrale zu stabilisieren. Bei Dortmund gab es ähnliche Überlegungen.
Lukasz Piszczek wird im Sommer an der Hüfte operiert und dürfte mehrere Monate ausfallen. In der Innenverteidigung wurde Felipe Santana an Schalke abgegeben, wodurch ebenfalls eine Planstelle geöffnet wurde; desweiteren leidet auch Mats Hummels immer wieder an kleineren Verletzungen. Durch den Sokratis-Kauf kann der BVB gleich zwei Positionen füllen, obwohl Jakub Blaszczykowski und Kevin Großkreutz womöglich die systemtauglicheren Ersatzspieler für Lukasz Piszczek auf der Außenverteidiger-Position sein dürfen.
Sokratis dürfte also bei den Borussen eher mit einem Platz auf der Bank vorlieb nehmen. Er ist zwar defensiv gut, relativ stark im Pass- und Kombinationsspiel und dynamisch, aber in seinen Bewegungsmustern als Außenverteidigern benötigt er wohl noch eine gesonderte taktische Schulung, um die Aufgaben von Piszczek übernehmen zu können. Dafür ist er aber körperlich etwas stärker sein und könnte eine defensivstärkere Alternative sein.
Als Innenverteidiger scheint er ebenfalls kaum Chancen haben, um an Subotic und Hummels vorbeizukommen – er dürfte allerdings ein stabilerer Ersatz als Santana sein und bringt zusätzliche Kadertiefe in die verhältnismäßig kleinen Auswahlmöglichkeiten Jürgen Klopps. Alleine deswegen könnte Sokratis seine zweistellige Millionenablöse wert sein.
Rene Maric, abseits.at
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