Vor etwa 30 Jahren gewann Dinamo Minsk zum ersten und letzten Mal die sowjetische Meisterschaft. Der Mittelfeldspieler Alexander Prokopenko war nicht nur der Liebling... Alexander Prokopenko – Ein Genie zwischen Fußball und Alkohol

Vor etwa 30 Jahren gewann Dinamo Minsk zum ersten und letzten Mal die sowjetische Meisterschaft. Der Mittelfeldspieler Alexander Prokopenko war nicht nur der Liebling der Fans, sondern hatte auch den größten Anteil am historischen Meisterschaftsgewinn. Nur sieben Jahre später starb er an den Folgen seiner Alkoholsucht.

Der schüchterne Mittelfeldspieler Alexander Prokopenko wurde am 16. November 1953 in Babrujsk (heute Weißrussland) geboren, wo er sich seine ersten Sporen bei einem kleinen, lokalen Verein verdiente. Mit 19 Jahren wechselte der talentierte Spieler zu Dinamo Minsk und eroberte dank seiner Spielweise im Sturm die Herzen seiner Fans.

MISTER 100 PROZENT

Ältere Semester aus Weißrussland geraten heute noch ins Schwärmen, wenn sie über den genialen Techniker sprechen. Prokopenko war ein beidbeiniger, zentraler Mittelfeldspieler, der über eine außergewöhnliche Technik verfügte und eine riesige Einsatzfreude besaß. Er war ein Spieler, der durch seine Unberechenbarkeit den Unterschied ausmachen konnte und Partien im Alleingang für seine Mannschaft entschied. Er ließ seine Gegenspieler der Reihe nach aussteigen, hatte ein Auge für den tödlichen Pass und überraschte die Zuschauer immer wieder mit dem einen oder anderen technischen Leckerbissen. Dazu kam, dass er auch in kämpferischer Hinsicht immer bis an seine Schmerzgrenzen ging und trotz seiner Verfehlungen abseits des Spielfelds über eine außergewöhnlich gute Kondition verfügte. Prokopenko spulte innerhalb seiner Mannschaft die meisten Kilometer ab und war in Sachen Balleroberung eine Klasse für sich.

LIEBLING DER FANS

Die Fans liebten ihn jedoch nicht nur aufgrund seiner Spielweise, sondern auch weil sie sich mit ihm perfekt identifizieren konnten. Prokopenko war einer von ihnen. Der Regisseur hatte unheimliche Angst vor Interviews, da er an einem Sprachfehler litt und so jeglichen Medienrummel vermied. Stattdessen traf er sich lieber mit den Anhängern des Vereins und trank mit ihnen bis in die frühen Morgenstunden. Prokopenko fühlte sich nicht als Star, sondern genoss es auf einer Augenhöhe mit den Fans zu feiern, die ihn dafür liebten. Sie luden ihn bei jeder Gelegenheit ein und er schlug keinen Drink aus.

ZWEI GRUNDVERSCHIEDENE SYSTEME

Dinamo Minsk gewann 1982 völlig überraschend den Meistertitel, da der große Favorit Dynamo Kiew als fast unbesiegbar galt. Die Mannschaft des großen Trainers Walerij Lobanowskyj gewann in den beiden vorangegangenen Saisonen den Meistertitel und die Fußballfans in der Sowjetunion rechneten mit der abermaligen Titelverteidigung. Während bei Lobanowskyj sein System und eine eiserne Disziplin im Mittelpunkt standen, setzte Dinamo-Minsk-Trainer Eduard Malofejew auf die individuellen Stärken seiner einzelnen Spieler. Er ließ ihnen alle kreativen Freiheiten und ermunterte sie dazu, sich am Platz selbst zu verwirklichen. Lobanowskyj verachtete die Denkweise seines Kollegen und äußerte sich in Interviews stets negativ über die romantische Spielart der Minsker Mannschaft. Ein Spieler wie Prokopenko hätte trotz seiner Genialität nicht einmal auf Lobanowskyjs Ersatzbank einen Platz gefunden, da Lobanowskyj mangelnde Disziplin und Alkohol verachtete.

EIN PUNKT UNTERSCHIED

Aus diesen Gründen war es für Lobanowskyj umso bitterer, dass 1982 Trainer Malofejew und seine Mannschaft mit einem Punkt Vorsprung auf Dynamo Kiew die Meisterschaft gewann. In der letzten Runde benötigte Dinamo Minsk einen Sieg gegen den Drittplatzierten Spartak Moskau und entschied die Partie nach einem wahren Fußball-Krimi mit 4:3 für sich. Genau so entscheidend war einige Runden zuvor das Heimspiel gegen den großen Konkurrenten aus Kiew, das mit einem 1:1-Unentschieden endete. Der wichtige Ausgleich gelang Alexander Prokopenko, der mit einem Fersler Dynamo-Kiew-Tormann Wiktor Tschanow überlistete. Prokopenko, der in einem 4-4-2-System neben Yuri Pudischew im zentralen Mittelfeld agierte, erzielte in dieser Saison elf wichtige Treffer für seinen Klub.

DER ABSTURZ DES GENIES

In den Jahren darauf verschlimmerte sich der Zustand Prokopenkos, da sein Körper den Raubbau an ihm nicht mehr aushielt. Für die sowjetischen Funktionäre war Prokopenko ein Dorn im Auge, da er den sportlichen Idealen widersprach. Prokopenko wurde in eine staatliche Entzugsklinik eingewiesen, wo sich seine Gesundheit bald verbesserte, sodass er ein Comeback bei Dinamo Minsk feiern wollte. Die Kommunistische Partei der Sowjetunion (KPdSU) verbot dem Verein jedoch seine Anstellung, da sie weiterhin einen Imageschaden für den Sport befürchteten. Prokopenko durfte erst nach zahlreichen Interventionen wieder seinem Beruf nachgehen, allerdings nur in der zweiten sowjetischen Liga. Er vermisste seinen alten Verein, seine alte Stadt und besonders seine alten Fans und suchte wieder einmal Trost im Alkohol. Seine sportliche Karriere war nach einem kurzen Gastspiel bei Neftçi Baku im Jahr 1987 endgültig vorbei. Mit dem Fußball fiel nun auch noch die letzte Motivation weg, um sein Trinkverhalten einzuschränken. Nur zwei Jahre später brach Prokopenko im Hotel “Minsk“ zusammen und starb im Alter von 35 Jahren.

Stefan Karger, www.abseits.at

Stefan Karger

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