Ein kleiner Buchstabe macht oft die Welt aus. Einst erzählte eine Französin mit deutschem Vater der Autorin dieser Zeilen, sie hätte Probleme die Begriffe... Anekdote zum Sonntag (124) – Französisch für Anfänger

Ein kleiner Buchstabe macht oft die Welt aus. Einst erzählte eine Französin mit deutschem Vater der Autorin dieser Zeilen, sie hätte Probleme die Begriffe „Kirche“ und „Kirsche“ auseinanderzuhalten. Die Autorin musste im Gegenzug selbst erfahren, dass zwischen dem französischen „dernier(e)“ (letzte(r)) und „derrière“ (hinten) ein gravierender Unterschied besteht. Günter Kaltenbrunner wusste Genauigkeit seit seiner frühsten Jugend zu schätzen: Für ihn war es oft entscheidend, dass sein Vorname mitgenannt wurde. Nicht, dass man ihn mit dem NS-Kriegsverbrecher Ernst Kaltenbrunner oder mit seinem Bruder, der ebenfalls auf den Namen Ernst hörte, verwechselte.

Ernst, der Bruder und Kicker, war sechs Jahre älter als Günter und begann bei der Sportvereinigung Zellerndorf zu spielen. Über die Admira kam er zum Wiener AC, wo er seine erfolgreichste Zeit verlebte. Kaltenbrunner schoss 74 Tore, wurde 1959 Cupsieger und einmal ins Nationalteam einberufen. Bruder Günter startete seine Karriere 1960 beim WAC und ging dann gemeinsam mit Ernst zurück zur Admira. Mit 28 Jahren musste der ältere der Kaltenbrunner-Brüder seine hoffnungsvolle Laufbahn wegen schwerer Krankheit aufgeben. Ernst starb nur einen Monat nach seinem dreißigsten Geburtstag. Günter spielte nach der Admira für Schwarz-Weiß Bregenz, Rapid und den Sportclub ehe er nach Frankreich wechselte. Zwei Jahre lang war er für den OGC Nizza im Einsatz. In seiner Abschiedssaison besuchte ihn dort Peter Elstner.

Der ORF-Reporter drehte ein Legionärsporträt über den Stürmer und hatte ein Kamerateam im Schlepptau. Coach bei Nizza war damals Léon Rossi, ein local hero, der aus dem benachbarten Villefranche-sur-mer stammte.  Nach zwei Jahren im französischen Süden war Kaltenbrunner schon einigermaßen auf Zack, was die Sprache Molières anbelangt. Er übersetzte Rossis Ansprache an die Mannschaft vor dem Spiel gegen Nîmes für Elstner auf Deutsch: „Schauen Sie, wie soll ich Ihnen seine Eigenarten erklären.“, eröffnete Rossi die Einzelkritik der Gegner. Dann wandte er sich an Vorstopper Isnard: „Der Coucou spielt mit den Haaren und Sie, Isnard, haben auch Haare! Sie passen ganz hervorragend zu ihm.“  Elstner kam diese Übersetzung spanisch vor und auch Kaltenbrunner war verwirrt. Hatten Isnard und Coucou etwa die gleiche Frisur? Gab es im Französischen eine ähnliche Redewendung wie jene deutsche vom „in die Haare schmieren“? Des Rätsels Lösung fand sich nach einem Blick ins dictionnaire: Günter Kaltenbrunner hatte „cheveux“ (Haare) mit „chevaux“ (Pferde, Mehrzahl) bzw. „cheval“ (Pferd) verwechselt. Kleiner Fehler, große Wirkung. Rossi wollte Isnard einfach nur darauf aufmerksam machen, dass er genauso ein Pferd wie Coucou sei. Damit meinte er nicht nur dessen kraftvolle Spielweise, sondern auch das langgezogene Gesicht und den hengstähnlichen Körperbau. Isnard verstand jedenfalls, denn er ließ Coucou im Match nicht entkommen.

Nîmes siegte allerdings trotzdem mit 1:0. Die Saison wurde mit einem dritten Platz in der Tabelle abgeschlossen und Kaltenbrunner kehrte nach Österreich zurück. Bei der Admira verabschiedete sich der Angreifer langsam von der Fußballbühne und eliminierte mit seinem Tor im Europacup sensationell Inter Mailand. Ein Zwischenspiel als Trainer beim SC Eisenstadt folgte in den 80ern, bis Kaltenbrunner sich vollends seinem erlernten Brotberuf widmete. Der Bankkaufmann rettete 1994 mit Hilfe der Bank Austria den SK Rapid und fungierte später als dessen Präsident. Auch als oberster Grün-Weißer erlebte er Erfolge, wie Meistertitel, Cupsieg und Einzug ins Europacup-Finale. Nach vier Jahren zog er einen Schlussstrich: „Das Klima hatte sich deutlich verschlechtert, die Rahmenbedingungen haben nicht mehr gepasst, da habe ich eben diese persönliche Entscheidung getroffen.“ Nachdem es mit der Wahl zum ÖFB-Präsidenten 2009 nichts wurde, ist Kaltenbrunner heute im Verband Play Fair Code tätig. Der Ex-Angreifer ist 74 Jahre alt und lebt in Wien.

Marie Samstag, abseits.at

Marie Samstag

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