Anekdote zum Sonntag (202) – Interview am stillen Örtchen
Weitere Länder 24.Dezember.2023 Marie Samstag
Marco van Basten ist eine niederländische Fußballlegende und steht in einer Reihe mit Johan Cruyff, Dennis Bergkamp und Co. Van Basten, der als Teenager auch für Tischtennis Talent zeigte, galt Ende der 80er als bester Stürmer der Welt: Groß, athletisch, torhungrig. Schon bei seiner ersten Profistation, Ajax Amsterdam, wurde er dreimal Meister und einmal Europapokalsieger der Pokalsieger, beim AC Milan folgten ebenso viele nationale Meistertitel und zwei Siege im Finale des Europapokals der Landesmeister. Und auch in 58 Spielen für die Oranjes führte der Mittelstürmer sein Team zu so manchem Erfolg: Im EM-Endspiel 1988 fixierte der damals 23-jährige das Endresultat. Der Europameistertitel war für Marco damals der vorläufige Höhepunkt seiner noch jungen Karriere.
Noch vor Anpfiff dieses Finales spitzten sämtliche Reporter darauf den aufstrebenden Jungspund für ein Einzelinterview zu gewinnen. So auch ORF-Journalist Peter Elstner. Der erfahrene Reporter rechnete sich trotz des strengen Exklusiv-Interviewverbotes des niederländischen Verbandes gute Chancen aus mit van Basten ein tête-à-tête zu vereinbaren. Schließlich hatte ihm der Angreifer vor zweieinhalb Jahren nach einem Länderspiel gegen Österreich in den Katakomben des Praterstadions sein Trikot geschenkt. Dabei war es auch zu einem kurzen Gespräch zwischen Elstner und dem Italien-Legionär gekommen. Eingefädelt hatte dies kein Geringerer als Toni Polster, der van Basten nach dem Abpfiff seine eigene Dress überreicht hatte.
Nach dem Ende der Pressekonferenz vor dem EM-Finale in München, ging Elstner zum Podium und bewies Schlauheit, indem er dem gerade aufgestandenen van Basten schöne Grüße von Polster überbrachte. Van Basten lächelte und konnte sich tatsächlich an jenes Zusammentreffen in Wien erinnern. Die anschließende direkte Anfrage nach einem Interview musste der holländische Superstar aber mit Hinweis auf das ausgegebene Verbot ablehnen. Elstner ließ sich aber nicht entmutigen: Das spitzbübische Grinsen des Holländers verriet ihm, dass das letzte Wort in dieser Sache – im wahrsten Sinne des Wortes – noch nicht gesprochen war. Getreu dem bayerischen Motto „A bissl wos geht ollaweil!“ redete der Sportjournalist den ganzen Weg vom Medienraum zum Speisesaal des Hotels auf Marco ein: „Du bist der Star! Ich brauche ein Gespräch mit dir.“ Dieses Honig-ums-Maul-Schmieren sollte seine Wirkung nicht verfehlen.
Van Basten blickte sich schließlich verstohlen um und flüsterte dem ORF-Mann zu: „Ok, du hast fünf Minuten!“ Elstners Herz machte einen freudigen Hüpfer. Gottseidank, war sein Kameramann hinter ihm und bereit loszulegen. Doch hier im Vorraum des Hotels, wo ein ständiges Kommen und Gehen herrschte, konnte sie van Basten unmöglich interviewen. Weit und breit schien kein Raum verfügbar und Elstner fühlte, dass die Zeit drängte. Als er das Damen-WC – nur wenige Meter entfernt – erblickte, fasst er sich schließlich ein Herz und klopfte an die Türe. Keine Antwort. Mit einem Ruck öffnete der Journalist das stille Örtchen und vergewisserte sich, keine Frau bei der Verrichtung weltlicher Dinge zu stören. Als der Vorraum des Klos leer schien, schob Elstner van Basten entschlossen hinein und schloss leise die Türe.
Nun musste der langjährige TV-Moderator nur noch das Problem mit dem Hintergrund regeln: Er drehte den Adonis-Körper van Bastens und wies seinen Kameramann an, den niederländischen Nationalspieler so zu filmen, dass nur die kalkweiße Wand hinter ihm zu sehen war und keine verräterischen Fließen aufblitzten. Elstner atmete tief durch und fing mit den Fragen an. Zu seinem Erstaunen ließ sich der Sturmtank in dieser ungewohnten Atmosphäre zu Sagern abseits der – auch damals schon – üblichen Muster hinreißen und gab direkte Einblicke in seine Vorbereitung auf das große Finale gegen die Sowjetunion. Am Ende schmunzelte van Basten und meinte: „Das habe ich noch nie gemacht.“ Elstner bedankte sich höflich und ließ den Holländer ziehen, der seine Beine in die Hand nahm, um rechtzeitig zum Mittagessen zu kommen.
Der langgediente Sportreporter freute sich über sein doppeltes Glück: Nicht nur war er der Einzige, der van Basten exklusiv vor sein Mikrofon bekommen hatte, sondern sein Hort an spaßigen Geschichten abseits des Wettkampfgeschehens war wieder um eine weitere Anekdote gewachsen. Oder gibt es viele Journalisten, die einschlägige Superstars vor einer Klomuschel befragen durften?
Marie Samstag, abseits.at
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Marie Samstag
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