Belgischer Drittligist verpflichtet 14 Ägypter – KV Turnhout im Kreuzfeuer der Kritik
Weitere Länder 16.Februar.2013 Daniel Mandl 0
Seit 18 Spielen ist der belgische Drittligist KV Turnhout sieglos. Der jungen Mannschaft droht der Abstieg in die vierte belgische Spielklasse. Also ließen die ägyptischen Besitzer des Klubs ihre Kontakte spielen und holten 14 ägyptische Kicker in den Kader des abstiegsgefährdeten Antwerpener Provinzklubs.
Acht Ägypter wurden sofort in die Kampfmannschaft des KV Turnhout geholt, weitere sechs stehen auf Abruf bereit. Sämtliche Spieler kamen vom Wadi Degla FC oder wurden von Belgiens Erstligist Lierse ausgeliehen. Hinter dieser Tatsache stecken natürlich Seilschaften, die zu beleuchten sind.
Lierse und Turnhout in ägyptischer Hand
Die Wadi Degla Holding, eine in Ägypten operierende Firmengruppe, ist in verschiedenen Geschäftszweigen aktiv: Immobilien, Yachten, marine Sicherheit, Industrieprojekte. Und Fußball. Der Wadi Degla FC ist ein kaum bedeutender Klub in der ägyptischen Premier League, also schielte die Holding vorsichtig nach Europa und kaufte neben dem aktuellen Vierzehnten der belgischen Liga, Lierse, auch den KV Turnhout.
Maged Samy sanierte Lierse, bleibt jedoch kaum beliebt
Die ägyptische Prägung von Lierse ist unübersehbar. Der aktuelle Trainer des Teams ist der 43-jährige Hany Ramzy. Für den ehemaligen Kaiserslautern- und Werder-Legionär ist es die erste Trainerstation. Mit Mahmoud, Said, El-Takki, Farag, Shebeita und El-Gabas spielen zudem sechs ägyptische Spieler für Lierse, wo die breite Masse mit den nordafrikanischen Eigentümern eher unglücklich als glücklich ist. Das Team von Präsident Maged Samy ist abstiegsgefährdet und wirkt identitätslos, das Stadion Herman Vanderpoorten ist im besten Fall halbvoll. Dennoch lässt sich Samys Engagement rechtfertigen, da er den Klub entschuldete.
Spieler statt Geld
Seit 2007 besitzt Samy nun auch den KV Turnhout, der als Satellitenklub für Lierse gesehen wird. Als die beiden Teams in der Saison 2009/10 in derselben Liga (zweite Spielklasse) kickten, wurde Lierse stets bevorzugt. Im Rahmen der akuten Abstiegsgefährdung Turnhouts fragte der Geschäftsführer bei den ägyptischen Besitzern um eine Finanzspritze bzw. ausgiebigeres Sponsoring an, um das Ruder noch einmal herumzureißen. Doch die Eigentümer schickten kein Geld nach Turnhout, sondern Spieler.
Ligastopp in Ägypten machte es möglich
14 ägyptische Kicker standen wenige Wochen später Gewehr bei Fuß am Trainingsplatz des Drittligisten. Diese spontane Transferflut wurde am 1.Februar 2012 ermöglicht, als bei der Stadionkatastrophe von Port Said 74 Menschen getötet und die ägyptische Ligasaison 2011/12 daraufhin abgebrochen wurde. Auf den Tag genau ein Jahr lang stand Ägyptens Fußball still und es wurden keine Pflichtspiele ausgetragen. Somit stand es den Spielern der ägyptischen Premier League frei den Verein zu wechseln – ein Recht, von dem relativ wenige Spieler Gebrauch machten. Dass nun 14 Spieler von Wadi Degla nach Belgien „verschoben“ wurden, ist zwar fragwürdig, verstößt jedoch gegen keine Statuten.
Turnhout führt Ausbildungsliga ad absurdum
Der KV Turnhout wird indes heftig kritisiert. Die dritte belgische Liga wurde vom Generalsekretär des belgischen Fußballverbandes Steven Martens eindeutig als Ausbildungsliga für einheimische Talente beschrieben. Bei durchschnittlichen belgischen Drittligaklubs spielen maximal drei Nicht-EU-Ausländer – und das obwohl Belgien nicht zuletzt aufgrund seiner Kolonialgeschichte immer wieder ein beliebtes Ziel für Spieler aus Afrika ist. Genaue Beschränkungen im Bezug auf die Anzahl einzusetzender Nicht-EU-Ausländer gibt es in Belgiens dritter Liga jedoch nicht, wodurch Turnhout das Frühjahr auch ausschließlich mit ägyptischen Fußballern bestreiten dürfte.
Möglicher Klassenerhalt vs. Nachhaltigkeit
Fragende Stimmen kommen auch aus der Fanschicht. Die ohnehin wenigen treuen Anhänger des KV Turnhout hinterfragen die Massenverpflichtung äußerst kritisch und gehen mit den Bedenken des belgischen Fußballverbandes konform. Zwar dürfte die Verpflichtung der ägyptischen Profis, die natürlich von der Wadi Degla Holding bezahlt werden, dem KV Turnhout auf dem Weg zum erfolgreichen Klassenerhalt eine große Hilfe sein, jedoch steht die Causa in klarem Widerspruch gegen den in modernen Zeiten immer wieder gepredigten Nachhaltigkeitsgedanken.
Daniel Mandl, abseits.at
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Daniel Mandl Chefredakteur
Gründer von abseits.at und austriansoccerboard.at | Geboren 1984 in Wien | Liebt Fußball seit dem Kindesalter, lernte schon als "Gschropp" sämtliche Kicker und ihre Statistiken auswendig | Steht auf ausgefallene Reisen und lernt in seiner Freizeit neue Sprachen
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