Briefe an die Fußballwelt (97): Lieber Flavius Daniliuc!
NachwuchsWeitere Länder 28.Februar.2021 Marie Samstag
Jeden Sonntag wollen wir an dieser Stelle Briefe aus aktuellem Anlass versenden. Mit Gruß und Kuss direkt aus der Redaktion – Zeilen zum Schmunzeln, Schnäuzen und Nachdenken an Fußballprotagonisten aus allen Ligen. Diesen Sonntag schicken wir unseren Brief an einen Jung-Legionär in Frankreich …
Lieber Flavius Daniliuc!
Am Freitagabend hast du dein aktuelles Team, OGC Nizza, zum Sieg geköpft. Es war dein Premierentor für den Verein, denn du bist erst im Sommer 2020 an die französische Küste gewechselt. Heute bist du ein 19-jähriger Innenverteidiger, der gerade erste Sporen als Profi verdient, aber ich kann mich noch gut daran erinnern, als du vom Rapid-Nachwuchs zu Real Madrid gewechselt bist. Das war – für österreichische Verhältnisse – ein Wahnsinn. Bereits in der Südstadt hast du als Jahrhunderttalent gegolten, 2011 wurde dann der Traum beim besten Klub der Welt zu spielen REAL (wenn’s auch nur der Nachwuchs war).
Doch Träume sind nicht mit der Wirklichkeit gleichzusetzen: Mit einem mulmigen Gefühl habe ich damals die Berichte über deinen Umzug nach Spanien gelesen. Es schien so, als würde deine Familie – du hast noch fünf Geschwister – große Pläne mit dir haben. Aber Real rollte dir nicht den roten Teppich aus: Für den Verein warst du einer von „vielen“ Rohdiamanten. Finanzielle Unterstützung sollte es erst später geben, deine Familie blieb zum Teil in Österreich zurück, dein Vater musste sich ohne Hilfe nach einem Job in Madrid umschauen. Und das alles, weil ein Jugendtrainer meinte, man müsse deine fußballerische Festplatte neu aufsetzen. Die Suggestion – anders würde der Traum vom Weltklassespieler zerplatzen – habe ich schon damals absurd gefunden. Klarerweise ist eine Nachwuchsausbildung für einen Verein wichtig. Doch schon bei kickenden Kindern geht es nur ums Geschäft: Scouts sammeln weltweit die besten Jungstars ein, lotsen sie mit der Aussicht Millionär zu werden zu den Klubs, wo sie und ihre Familien mehr oder weniger sich selbst überlassen werden. Denn selbst wenn man in der Akademie eines renommierten Vereines spielt, bleibt die Chance sich bei der Kampfmannschaft desselben durchzusetzen immer noch verschwindend gering. Den Klubs ist das egal: Die UEFA-Richtlinien zur Verpflichtung Minderjähriger werden geschickt umgangen und junge Spieler erst ab einem Alter finanziell unterstützt, indem die Chancen steigen eines Tages mit ihnen Geld zu verdienen. Humankapital.
Kurz und gut: Bei Real Madrid hat es für dich nicht geklappt. Du bist 2015 ins Bayern-Internat gezogen, nachdem du mit Mitspielern Ärger gehabt hattest. In München wurdest du zum Innenverteidiger umgeschult und hast sämtliche Jugendmannschaften durchlaufen. Seit du 14 Jahre alt bist, spielst du für die ÖFB-Nachwuchsteams. The Guardian wählte dich 2018 unter die besten 60 Fußballtalente. Bist du also gescheitert? Natürlich nicht!
Lieber Flavius, ich hoffe, du wirst dich zu einem großen Spieler mausern. Das hast du dir schließlich auch verdient, seit frühester Kindheit steht Fußball für dich an erster Stelle. Dieser Brief dient dazu andere zu warnen, nicht in die Falle jener zu tappen, die begabten Kickern das Blaue vom Himmel versprechen und sie schon im vorpubertären Alter quer durch Europa schicken. Denn Talent ist zwar wichtig, jedoch bei weitem nicht alles. Neben der körperlichen, seelischen und geistigen Entwicklung, die auch passen muss, wird das Füllhorn der Begabung nämlich nicht durchgehend über einem Jungspieler ausgeschüttet. Bis auf absolute Ausnahmetalente – die Ausnahmen der Ausnahmetalente – müssen viele irgendwann kämpfen, um sich weiterzuentwickeln. In solchen Situationen ist es hilfreich in vertrauter Umgebung zu sein oder bereits in einem Alter, in dem man Rückschläge besser verarbeiten kann. Diese These bestätigen die meisten Fußballerwerdegänge. Man kann sich aber auch einfach ansehen, wie viel Prozent der Real Madrid-Kampfmannschaft oder der Arsenal-Kampfmannschaft aus der vereinseigenen Jugend stammt.
Nur das Beste wünscht dir
Marie Samstag, abseits.at
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Marie Samstag
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