Der Fußballsport lebt von den Duellen scheinbarer Favoriten gegen offenkundige Underdogs. Einer gewissen Sympathie für Letztere können sich dabei die wenigsten Beobachter erwehren. Das... Das gallische Dorf des Fußballsports: Luxemburger Klub fordert UEFA heraus

Der Fußballsport lebt von den Duellen scheinbarer Favoriten gegen offenkundige Underdogs. Einer gewissen Sympathie für Letztere können sich dabei die wenigsten Beobachter erwehren. Das hier beschrieben Duell findet jedoch nicht auf dem grünen Rasen, sondern gewissermaßen am gleichfarbigen Tisch statt.

Wenige Klicks verhelfen heutzutage zu einer Reise in eher exotische Sphären der schönsten Nebensache der Welt. Dem Internet – mit all seinen ansonsten fragwürdigen Auswüchsen – sei Dank. Der heutige erste Blick nach dem Klick richtet sich auf die Tabelle der höchsten Liga des Großherzogtums Luxemburg, mit seinem den Salzburg-Fans in schmerzlicher Erinnerung behaltenen „Branchenprimus“ F91 Düdelingen, welcher auch die Saison 2022/23 als Titelverteidiger in Angriff nahm. Bei einem Spiel mehr thront aber derzeit ein Club mit dem klingenden Namen FC Swift Hesperingen an der Tabellenspitze. Drei Spiele, drei Siege und eine Tordifferenz von 10:2 katapultierten die Mannen des französisch-italienischen Coaches Pascal Carzaniga ebendahin.

Wertvollster Akteur im Kader ist ein gewisser Abdoul Karim Danté, Innenverteidiger aus der Jugend des RSC Anderlecht und immerhin einmaliger Nationalspieler seines Heimatlandes Mali. Die größte Abordnung an Spielern im Aufgebot stellt allerdings Frankreich. Nicht weniger als 17 Spieler sind entweder Franzosen oder aber ebensolche mit afrikanischen Wurzeln. So wenig zu den Hard Facts des nationalen Tabellenführers. Denn die wohl bekannteste Figur jagt im Falle des FC Swift nicht dem runden Leder nach, sondern lässt als Geldgeber im Hintergrund mehr oder minder seine Muskeln spielen.

Ein Fußballimperialist aus Luxemburg

Diesen wenig schmeichelhaften Titel trägt laut dortiger Lokalpresse ein Mann namens Flavio Becca, seines Zeichens Bauunternehmer und Milliardär mit einem unverkennbaren Faible für Sportarten aller Art. So tritt Becca als Sponsor des Motorradteams Leopard Racing auf, unterstützte auch die umweltfreundlichere Zweirad-Variante durch sein finanzielles Engagement beim ehemaligen Pro-Tour-Rad-Rennstall Leopard-Trek. Gleichzeitig ist Becca auch – so könnte man humoristisch anmerken – jener Akteur des FC Swift mit der größten internationalen Fußball-Erfahrung, ohne je selbst gegen einen Ball getreten zu haben.

Fans des FC Kaiserslautern etwa werden sich an das Jahr 2019 erinnern, als Becca den Betzenberg zu einer Champions-League-Destination machen wollte, indem er dem finanziell schwer gebeutelten mehrfachen Deutschen Meister als Bürge und potenzieller Investor zur Seite sprang. Beccas Forderung nach dem Rücktritt des damaligen Aufsichtsratsvorsitzenden Michael Littig wurde nachgekommen, insgesamt schoss der 60-Jährige anschließend eine Bürgschaft von 2,6 Millionen Euro zu, die – so der Plan – im Laufe der Zeit in Eigenkapital umgewandelt werden soll. Bis zum Jahr 2026 will Becca insgesamt etwa 25 Millionen Euro in den Club investieren. Beratend zur Seite stehen darf ihm dabei mit Klaus Toppmöller ein bekannter Name in der Club-Historie der „Roten Teufel“. Doch dem nicht genug: Neben dem FC Swift und Lautern hat Becca auch bei Serienmeister Düdelingen und dem belgischen Zweitligisten Royal Excelsior Virton seine Finger im Spiel. Detail am Rande: Bei den beiden letztgenannten Vereinen arbeitete während Beccas Engagement Klaus Toppmöllers Sohn Dino – aktuell bei Bayern München und vormals bei Leipzig unter Vertrag – als Chefcoach.

Der streitbare Häuptling

Schon bei Beccas Einstieg in Kaiserslautern rumorte es gewaltig. Von einer geordneten Übergabe der Entscheidungskompetenzen konnte damals keine Rede sein. Überhaupt scheint die Person Flavio Becca eine durchaus streitbare zu sein. So bestand 2019 der Verdacht auf Geldwäsche. Schon acht Jahre zuvor fanden in seinem Wohnsitz sowie in der Geschäftsstelle seiner Investorengruppe Hausdurchsuchungen statt, die luxemburgische Staatsanwaltschaft untersuchte seine Geschäfte zudem wegen des Verdachts der Steuerhinterziehung. Im Frühjahr 2021 wurde Becca außerdem zu einer zweijährigen Freiheitsstrafe auf Bewährung verurteilt, ebenso zu einer Geldstrafe von 250.000 Euro. Auch damals lautete der Tatbestand auf Geldwäsche und Veruntreuung von Firmengeldern.

Dennoch verfolgt Flavio Becca seinen Traum vom internationalen Klubfußball weiter. Neuerdings soll dies eben mit dem FC Swift gelingen. Und dafür greifen Becca und seine Entourage nun zu Mitteln, die in dieser Form in Fußball-Europa wohl ein Novum darstellen. Im vergangenen Juli reichte der aktuelle Tabellenführer nämlich beim zuständigen Bezirksgericht zunächst eine Klage gegen die FLF, also den luxemburgischen Fußballverband, welcher wiederum Mitglied des Dachverbandes UEFA ist, ein. Grundlage derselben: Eine scheinbare Verletzung der innerhalb der EU geltenden Grundfreiheiten, diese lauten etwa auf Freiheit im Personen-, Waren-, oder Kapitalverkehr. Diese Einschränkungen würden – so die Klägerseite – verhindern, dass der FC Swift im Ligaalltag gegen Kontrahenten wie Feyernoord, PSV Eindhoven oder Anderlecht antreten könne. Man zwinge den Club also durch ein Regelwerk dazu, „klein“ zu bleiben.

Auf den Spuren des Bosman-Urteils

Bei seinem Vorhaben unterstützt werden Mäzen und Verein von niemand Geringerem als Starjurist Jean-Louis Dupont. Wer bei diesem Namen hellhörig wird, hat im Fach Fußballgeschichte gut aufgepasst. Wobei das Urteil, hinter dem eben unter anderem Dupont seinerzeit stand, schon eher als Monument europäischer Rechtsgeschichte herhalten kann. Für alle anderen zur Auffrischung: Kläger im dem Urteil vorangegangenen Verfahren war der belgische Profi Jean-Marc Bosman, welcher sich durch die überhöhte Ablöseforderung seines damaligen Clubs RFC Lüttich in seiner Arbeitnehmerfreizügigkeit, so der juristische Terminus, beschränkt sah. Bosmans Vertrag in Lüttich war zum Zeitpunkt des eingehenden Angebots aus Dünkirchen bereits ausgelaufen.

Im Spätherbst 1990 entschied ein Gericht schlussendlich, Bosman könne ablösefrei in die zweite französische Liga wechseln. Seit damals gilt, dass Fußballer nach Vertragsende ablösefrei wechseln dürfen. Bis heute gehört das Bosman-Urteil im Übrigen zu den meistzitierten in der EU-Rechtsprechung und gilt mithin als wichtiges Momentum im Kreissaal der Geburtsstunde der heute bekannt horrenden Gehaltszahlungen im Fußballsport. Eine zentrale Figur dabei: Jean-Luis Dupont.

In Fußball-Europa geht nach dem Vorstoß des FC Swift daher eine nicht ganz unbegründete Angst vor einem Präzedenzfall um. Denn: Sollte der Klage des Clubs aus Luxemburg tatsächlich stattgegeben werden, könnte dies einen wahren Erdrutsch an ähnlich gelagerten Vorhaben auslösen. So kokettierten die schottischen Spitzenclubs Celtic sowie Europa-League-Finalist Rangers immer wieder mit einem Wechsel in die Premier League, bislang scheiterte das Vorhaben aber an rechtlichen Hürden. Schon vor Jahren stellte der damalige französische Premier Manuel Valls dem FC Barcelona für den Fall der katalonischen Unabhängigkeitserklärung einen Startplatz in der Ligue 1 in Aussicht. Nun mögen aufmerksame Beobachter des internationalen Fußballs richtigerweise Vereine wie Cardiff, Swansea oder Rapids potenziellen internationalen Sargnagel Vaduz und ihre Ligazugehörigkeit ins Treffen führen. Deren Aufnahme in die Premier League bzw. Schweizer Profiligen stammt allerdings aus Zeiten, in denen es weder in Wales noch in Liechtenstein eigene Fußballverbände gab.

Man mag zu den Ideen des Flavio Becca stehen, wie man möchte. Fakt ist: Derartige Abtrünnigkeitsfantasien sind keine Neuerfindung des fußballerischen Rads. Man denke etwa an die Pläne zur Super League, denen die hohen Herren einiger europäischer Spitzenclubs in finanzverklärten Träumereien anhängen. Und wie absurd klingt schon ein kleiner Klub aus Luxemburg in der höchsten belgischen oder niederländischen Spielklasse in einem Jahr, in welchem am 18. Dezember ein WM-Finale in Katar gespielt wird?

Julian Berger

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