Der nordirische Marcel Koller | So führte Michael O´Neill sein Team nach Frankreich
Weitere Länder 12.Oktober.2015 Stefan Karger 0
Nach dem 3:1-Sieg gegen Griechenland qualifizierte sich Nordirland zum ersten Mal in der Geschichte für eine Europameisterschaft. Dabei profitierte die Mannschaft des Trainers Michael O´Neill nicht einmal von der Aufstockung der Teilnehmeranzahl, da der Außenseiter die Gruppe F mit einem Punkt Vorsprung auf Rumänien für sich entschied. Wir wollen uns einige interessante Statistiken zu dieser Gruppe ansehen und nachher einen Blick auf die Überraschungsmannschaft werfen.
Griechenland stürzt ab
Sicherlich freuten sich die Mannschaften in der Gruppe F, dass sie mit Griechenland eine Mannschaft aus dem ersten Topf zugelost bekamen, die sich seit dem überraschenden Gewinn der Europameisterschaft 2004 zurückentwickelte. Dass die Griechen die Gruppe allerdings an letzter Stelle, punktegleich mit den Färöern abschließen, hätten selbst die größten Pessimisten nicht vermutet. Zum ersten Mal in der Geschichte besiegte die Mannschaft aus dem letzten Topf zweimal den am höchsten gesetzten Gegner in der Gruppe! Die Färöer holten ihre sechs Punkte nämlich ausschließlich aus den beiden Spielen gegen Griechenland und liegen aufgrund des gewonnen direkten Duells vor der Mannschaft von Trainer Kostas Tsanas auf Platz 5. Ebenfalls kurios: Griechenland schloss den letzten Spieltag mit einem 4:3-Sieg gegen Ungarn ab und erzielte in dieser Partie mehr Treffer, als in den neun anderen Qualifikationsspielen zusammen.
Nordirland stellt Rekord auf
Nordirland ist hingegen die am schlechtesten gesetzte Mannschaft, die in einer EM-Qualifikation jemals den Gruppensieg davontrug. In den zehn Qualifikationsspielen musste sich O´Neill´s Mannschaft nur einmal geschlagen geben (auswärts gegen Rumänien), spielte dreimal Unentschieden und ging sechsmal als Sieger vom Platz, wobei jeweils dreimal zuhause und auswärts die vollen Punkte mitgenommen wurden. Somit werden die Fußballfans zum ersten Mal seit der Weltmeisterschaft 1986 Nordirland bei einem großen Turnier bewundern dürfen.
Von der Europa League zur Europameisterschaft
In Nordirland ist man sich einig, dass Trainer Michael O´Neill der entscheidende Faktor hinter diesem großen Erfolg war. Der Coach übernahm die Nationalmannschaft am 28. Dezember 2012, nachdem er zum ersten Mal in der Geschichte des irischen Fußballs eine Vereinsmannschaft in die Europa-League-Gruppenphase brachte. O´Neill warf mit den Shamrock Rovers im Playoff überraschend Partizan aus dem Bewerb, war dann aber in der Gruppenphase gegen PAOK, Rubin Kazan und den Hotspurs chancenlos.
Gut Ding braucht Weile
Es brauchte einige Zeit um aus den Nordiren eine starke Nationalmannschaft zu formen. Bei seinem ersten Antritt als Nationaltrainer verlor er gegen Norwegen mit 3:0, stellte danach die Mannschaft um und kassierte in Amsterdam gegen die Niederlande eine 6:0-Niederlage. Auch die Qualifikation zur Weltmeisterschaft 2014 verlief eher enttäuschend, denn in einer Gruppe mit Russland, Portugal, Israel, Aserbaidschan und Luxemburg erreichte man in zehn Partien nur sieben Punkte und landete einen Punkt vor Luxemburg auf dem vorletzten Platz. Die Nordiren zeigten aber in einigen Partien dennoch einen unverkennbaren Aufwärtstrend und erreichten mit einem 1:1-Unentschieden in Portugal und einem 1:0-Heimsieg gegen Russland immerhin Achtungserfolge. Es fehlte jedoch die Konstanz, man verlor beispielsweise einen Spieltag nach dem Sieg gegen Russland die Auswärtspartie in Luxemburg mit 3:2. Der Verband sah die Entwicklung der Mannschaft aber positiv und verlängerte den Vertrag von Michael O´Neill.
Gute Organisation, wenige individuelle Fehler
Die Mannschaft lernte aus der verpatzten WM-Qualifikation, in der immer wieder individuelle Fehler die starken Mannschaftsleistungen zunichtemachten. Bis auf einen Fehler des Torhüters Michael McGovern gegen Ungarn sah man sehr konzentrierte Nordiren, die im Defensivspiel konsequent zu Werke gingen und sich nichts zu Schulden kommen ließen. Michael O´Neill verbesserte allerdings auch die Automatismen im Angriffsspiel und die Fans dürfen sich durchaus auch schön anzusehende Spielzüge bei der Europameisterschaft 2016 in Frankreich erwarten.
Der nordirische Marcel Koller?
Michael O´Neill verstand es, ähnlich wie Marcel Koller in Österreich, eine hervorragende Beziehung zu seiner Mannschaft aufzubauen. Wenn die Spieler Tore erzielen, dann suchen sie sofort den Weg zu ihrem Trainer, um mit ihm gemeinsam den Treffer zu feiern. So wie in Österreich einige „Experten“ Teamchef Marcel Koller vor Marko Arnautovic warnten, stellten sich in Nordirland viele die Frage, wie es mit Sturmstar Kyle Lafferty weitergehen sollte. Der Norwich-City-Angreifer hatte in der Vergangenheit immer wieder Probleme mit der Disziplin und seiner Einstellung. O´Neill legt viel Wert auf persönliche Gespräche und es gelang ihm den Stürmer voll und ganz auf seine Seite zu ziehen. Dieser bedankte sich beispielsweise mit seinen zwei Treffern beim 2:1-Heimsieg gegen Finnland fürs Vertrauen des Trainers. Aus vermeintlich schwierigen Charakteren Führungsspieler zu machen, zahlte sich also auch in Nordirland aus.
Keine goldene Generation
Martin O´Neill hat keineswegs eine neue goldene Generation zur Verfügung, aber er holt aus seinen Spielern das Beste heraus und versteht es mit den vorhandenen Mitteln das Maximum zu erreichen. Neben Kyle Lafferty stach zuletzt Kapitän Steven Davis heraus, der beim 3:1-Sieg gegen Griechenland mit einem Doppelpack die EM-Teilnahme sicherte. Der Mittelfeldspieler wechselte in der Saison 2012/13 von den Rangers zu Southampton und hat sich beim Premier-League-Verein längst einen Stammplatz erspielt.
Die Nordiren werden sicherlich auch in Frankreich als großer Außenseiter ins Turnier gehen, aber Michael O´Neill kündigte schon an, dass seine Mannschaft dort keineswegs Urlaub machen wird. Die Überraschungsmannschaft will zumindest auf den Turnierverlauf Einfluss nehmen und angesichts der vorherrschenden Euphorie darf man durchaus gespannt sein, wie sich die Nordiren in Frankreich schlagen werden:
Stefan Karger, www.abseits.at
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