In dieser Serie gehen wir auf einzelne Weltklassetalente ein, die auf dem Sprung standen – und ihn nicht schafften. Zumeist waren es persönliche Tragödien, Verletzungen oder einfach die Umstände ihrer Karriere: zur falschen Zeit am falschen Ort kann manchmal schmerzhaft wahr sein.
Wir lassen die Karrieren dieser Akteure Revue passieren, spekulieren über die mögliche Auswirkung ihres fehlenden Durchbruchs in der Geschichte des Fußballs und ein kleines „was wäre, wenn…?“ darf natürlich auch nicht fehlen. Immerhin besitzt für solche Spieler nahezu jeder Fußballfan noch eine schöne Erinnerung und jene fragende Wehmut, welche Erinnerungen man nicht alles verpasst hat.
In diesem Teil widmen wir uns …
Jan Šimák
Glück und Verstand gehen selten Hand in Hand.
Jan Šimák ist oder war einer jener Spieler, bei denen sich Funktionäre, Trainer und Mitspieler regelmäßig die Haare rauften. Am Platz hatte der Offensivmann Qualitäten wie kaum ein anderer, abseits davon galt er als schwierig und disziplinlos. Der heute 34-jährige war Partynächten mit Alkohol nicht abgeneigt und nahm sich ebenso viele Freiheiten, in dem er zu spät kam oder unentschuldigt beim Training fehlte. Sein rasantes Leben mündete bald in den Sackgassen – Alkoholismus und Depression. Šimák musste sich schließlich behandeln lassen.
Am Anfang der Geschichte steht jedoch ein herausragendes Talent: Jan Šimák wird am 13. Oktober 1978 in Tabor, in der damaligen Tschechoslowakei geboren. Schon seine zweite Profistation im Jahre 2000 ist Hannover 96, wo er aufblühte. Mit 18 Toren und 19 Torvorlagen schoss er die Niedersachsen zurück in die erste Bundesliga. Zweikampfstark, robust und mit einem Bombenschuss ausgestattet – bald waren namhafte Klubs auf den damals 22-Jährigen aufmerksam geworden.
Seine Leidenschaft für durchfeierte Nächte wurde damals noch belächelt. Das Rennen um den beidfüßigen Akteur machte schließlich die Werkself aus Leverkusen. Šimák sollte den abgewanderten Spielmacher Michael Ballack ersetzen. Zuvor hatte der Tscheche beinhart klar gemacht, um jeden Preis wechseln zu wollen. „Sonst haben wir Krieg in Hannover“, sagte er sinngemäß.
Trainer Toppmöller erklärte sich zum Experten für schwierige Fälle und wollte auch aus dem Tschechen einen Musterprofi machen. Versuch fehlgeschlagen. Die Saison 2002/2003 verlief katastrophal, Bayer stieg beinahe ab, Šimák konnte in 22 Spielen nur 3 Tore erzielen. Am Feierparkett blieb er jedoch die Nummer eins, seine Unverfrorenheiten erreichten nie da gewesene Höhen.
Toppmöller, der seinen Schützling zuletzt als „Pflegefall“ bezeichnet hatte, musste schon im Februar 2003 seinen Hut nehmen. Šimák selbst flüchtete nach der Saison zurück zu Hannover 96, wo er aber nicht an alte Zeiten anknüpfen konnte.
Die Spirale aus Handgreiflichkeiten, Rausch und falschen Freunden schien nicht enden zu wollen, dazu kamen noch Depressionen. Šimák brach stellenweise den Kontakt zu seiner Umwelt vollkommen ab. Im Juli 2005 zog der Spieler schließlich die Notbremse: Entziehungskur in der tschechischen Heimat.
„Für mich war klar: Entweder ich ende in dem Loch, in das ich geraten war, trinke weiter und sterbe irgendwann. Oder ich kämpfe mich heraus und beweise, dass ich gut bin.“, erklärte Jan Šimák Jahre später seinen Entschluss.
Schon im Oktober 2005 kurz nach seinem 27. Geburtstag stand der offensive Mittelfeldspieler wieder auf dem Platz, diesmal trug er das Trikot von Sparta Prag, wo er schon 2004 seinen Vertrag unterzeichnet hatte.
Seine Leistungen waren solide und wieder gut genug für Deutschlands zweite Liga. Ein Engagement über ein Jahr führte den Mittelfeldspieler nach Jena. In der altehrwürdigen Universitätsstadt führte er mit Frau und Sohn ein ruhiges Leben und spielte eine starke Saison.
Die Chance wie der Phönix aus der Asche emporzusteigen, sie war damals zum Greifen nahe. Das Alter ist zwar im Profisport wichtiger als sonst wo, aber Šimáks Laufbahn mit einem Märchen bei einem dauerhaften Mittelständler, der für Überraschungen national oder europaweit gut ist, ausklingen zu lassen, war möglich.
Déjà-vu
Schon bald waren wieder Erstligavereine an dem „Zehner“ interessiert. Beim VfB Stuttgart heuerte Šimák 2008 bis 2009 an, wechselte später zu Mainz 05, wo die Kurve aber wieder nach unten ging.
Die Fans spotteten über den Ex-Alkoholiker und auch gegnerische Spieler provozierten ihn. Richtige Topvereine hatte Jan Šimák eindeutig vergrault, ein Angebot eines Meisterkandidaten bekam er nie mehr.
Ein kurzes Gastspiel beim FC Carl Zeiss Jena folgte und seit Sommer 2012 dürfte das Kapitel Šimák und die deutsche Bundesliga endgültig abgeschlossen sein. Jena stieg am Ende der Saison in die vierte Liga ab, Šimák steuerte noch den ersten Treffer beim Finalsieg um den Thüringer Landesmeisterpokal bei. Ein kraftvoller Schuss genau in die untere Ecke – die unbestreitbare Klasse eines verlorenen Topspielers.
Der FK MAS Táborsko in der zweithöchsten tschechischen Liga ist nun Šimáks neuer Arbeitgeber.
Was bleibt?
Am Ende steht ein Spiel für die tschechische A-Nationalmannschaft, eine Halbzeit lang durfte Šimák seine Landesfarben vertreten. Das 4:1 gegen die Slowakei am 20. August 2002 blieb sein einziger Länderspieleinsatz.
Die Europameisterschaft 2004 in Portugal hätte seine Bühne werden können, die Tschechen schieden erst im Halbfinale in der Verlängerung gegen den späteren Europameister Griechenland aus. Ein Mann wie Šimák, immer für ein Tor gut, hätte an diesem Tag vielleicht den Unterschied ausgemacht.
Und auf Klubebene? Da hätte er wohl auch sehr viel erreichen können, war er doch in seinen besten Zeiten nicht vom Ball zu trennen, innovativ und durchsetzungsstark. Ein Kandidat für den bayrischen FC Hollywood, in deren damalige Sammlung von individualistischen Stars er wohl perfekt hineingepasst hätte, auch wenn die Konkurrenz für den Spielgestalter gigantisch gewesen wäre.
Auch in jenem fiktiven Fall, hätte Šimák grundsätzlich hart an sich arbeiten müssen. Sein schwaches Defensivverhalten oder mangelnde Kopfballtechnik wären in einer offensiv ausgerichteten, hochklassigen Truppe jedoch nicht sonderlich problematisch gewesen.
Šimáks Geschichte ist die von einem Riesentalent, das zu wenig aus seinen Möglichkeiten gemacht hat. Der Ball lag eindeutig bei ihm selbst.
Peter Neururer bezeichnete ihn gar als „absolutes Genie“, ein Happy End gab es jedoch weder für Šimák noch für einen Verein, der sich große Taten vom Tschechen versprochen hatte.
Šimák erklärte seine Probleme mit der Zeit in Leverkusen, als er plötzlich nicht mehr der Star war und aus dem Spaßtrinken das Frustsaufen wurde. Sein eigener Charakter hat ihm also ein Bein gestellt, der daraus resultierende Fall war tief und schmerzhaft. Und unvermeidbar? Hätte irgendjemand das sturköpfige Wunderkind vor sich selbst retten können? Wir werden es wohl nie erfahren.
Marie Samstag, abseits.at
Marie Samstag
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