Wenn Deutschland auf Spanien trifft, hat man als neutraler Beobachter im Vorfeld der Partie natürlich bereits die Ohren gespitzt und die Erwartungen dementsprechend in... Deutschland vs. Spanien: Juego de Posicion und Rondo soweit das Auge reicht

Wenn Deutschland auf Spanien trifft, hat man als neutraler Beobachter im Vorfeld der Partie natürlich bereits die Ohren gespitzt und die Erwartungen dementsprechend in die Höhe geschraubt. Es kommt ja nicht alle Tage vor, dass zwei Weltklasse-Mannschaften aufeinandertreffen, die beide die Spielphilosophie des „Positionsspiels“ praktizieren und gespickt sind mit individuellen Ausnahmespielern, die auf dem höchsten Niveau unterwegs sind. Dementsprechend interessant war dann auch die Frage, welches der beiden Teams dem Gegner „ihr“ Spiel besser aufzwingen können wird, um dem Kontrahenten quasi mit den eigenen Mitteln vor Probleme zu stellen.     

Beide Mannschaften liefen mit einer ähnlichen Grundformation auf. Deutschland lief wie gewohnt in einem 4-2-3-1 auf, in dem Kroos und Khedira auf der Sechs die Zügel in die Hand nahmen, während die offensive Dreierreihe mit Draxler, Werner und Müller besetzt wurde, die von Spielmacher Özil komplementiert. wurde. Auch die Spanier liefen mit der gleichen Grundformation auf, mussten jedoch den Ausfall von Ankerspieler Busquets hinnehmen, dessen Aufgaben Thiago und Koke sich im Zentrum aufteilten. Komplementiert wurde das Mittelfeld von Silva, Isco und Iniesta, die der einzigen Spitze Rodrigo zuarbeiten sollten. Ja, richtig gehört. Ein Mittelfeld mit Thiago, Koke, Silva, Iniesta und Isco. Das lässt wohl das Herz eines jeden Fußballfans höherschlagen und ist an technischer/spielerischer Qualität wohl kaum mehr zu überbieten. Isco und Silva liefen zwar nominell auf dem Flügel auf, hielten sich jedoch auf dem gesamten Feld auf und interpretierten ihre Rollen „invers“ ein, weshalb sie überall auf dem Feld ihre Spuren hinterließen.

Durch die inversen Rollen von Isco und Silva hatte man im Zentrum natürlich eine geballte Macht an technisch herausragenden Kickern, die auch auf engstem Raum kombinieren können. So verwandelten die Spanier zu Beginn das Spiel quasi in ein großes Rondo (hierzulande auch als „Hösche“ bekannt) und bildeten überall auf dem Feld Dreiecke, um in Ballnähe Überzahl zu schaffen und stabile Verbindungen in der Ballzirkulation aufrechtzuerhalten. Im ersten Bild kann man diese Praxis gut sehen:

Iniesta, Isco und Alba bilden auf der linken Seite ein Dreieck und locken den Gegner an, Koke steht (im Zentrum) als Anspielstation in eine andere Zone bereit (Spiel über den dritten Mann) während Silva (oben) Breite gibt. Ein Paradebeispiel für das „Juego de Posicion“.

Nach genau dem gleichen Muster wie beim ersten Bild fiel dann auch der frühe Führungstreffer von den Spaniern, als Iniesta sich vom Flügel Richtung Zentrum absetzte und einen Traumpass durch die Schnittstelle auf Rodrigo spielte, der sich die Gelegenheit nicht nehmen ließ und zum 1:0 traf. Deutschland bekam in der Anfangsphase kaum Zugriff auf die Spanier, vor allem aufgrund der starken linken Seite der Iberer. Iniesta und Isco wechselten laufend ihre Positionen und agierten sehr variabel, tauchten auch immer wieder gemeinsam im Zentrum auf, während Linksverteidiger Alba hochschob und Breite gab. Dadurch hatte man vor allem im Zentrum immer wieder Überzahl und konnte die Räume überladen. Im nächsten Bild kann man diese Vorgehensweise wunderbar sehen:

Isco rückt ins Zentrum und taucht im Sechserraum (!) auf, Iniesta besetzt den linken Halbraum, womit das gesamte Mittelfeld der Spanier das Zentrum des Feldes besetzt, während die beiden Außenverteidiger Breite geben. Isco am Ball wird frontal von zwei Gegenspielern attackiert und löst die Situation fast surreal auf, indem er den Pass nach oben zu Koke antäuscht und dann den Ball stattdessen einfach zwischen den beiden Gegnern hindurch chipt (!)

So kam es dann auch dazu, dass Deutschland die erste halbe Stunde dem Ball quasi ausschließlich hinterherlief und nur selten wirklichen Zugriff auf den Gegner bekam. Das lag u.a. auch daran, dass man sehr raumorientiert verschob und versuchte im Block und durch kurze Abstände zwischen den Spielern die Räume zu verengen und den Druck hochzutreiben. Das Problem dabei – egal wie hoch der Druck und wie eng der Raum auch war, die Spanier fanden durch die vielen Nadelspieler in ihren Reihen immer wieder Lösungen dagegen, befreiten sich erfolgsstabil aus der Umklammerung und verlagerten im Anschluss das Spiel in andere Zonen. Exemplarisch für diese Vorgehensweise ist die nächste Situation, auf die wir blicken wollen:

Spanien überlädt den Flügel mit vier Spielern, Deutschland reagiert und verschiebt ebenfalls mit fünf Spielern zum Ball, wodurch sich neun Spieler auf engstem Raum gegenüberstehen. Die Tür scheint für die Spanier geschlossen zu sein und die einfache Lösung wäre es auf Sergio Ramos (rechts unten) zu spielen und das Spiel neu aufzubauen…

..doch die Spanier wären nicht die Spanier, wenn sie nicht stattdessen das kleine Feld in ein „Rondo“ verwandeln und sich mit wenigen Kontakten aus dieser Situation einfach befreien würden. Für diese Aktion gab es sogar Szenenapplaus von den Rängen.

Doch diese „Enge“, die man immer wieder bewusst in Kauf nahm, hatte nicht nur Vorteile im Ballbesitz, sondern vor allem auch bei Ballverlust. In dem Fall waren immer genügend Spieler in der Umgebung, um sofort dem Ball nachzujagen und den Gegner unter Druck zu setzen. Ein wunderbares Beispiel, dass das Spiel mit und gegen den Ball zusammengehört und keine Gegensätze sind. So konnten sich die Spanier auch nach Ballverlust einige Male dank des guten Gegenpressings den Ball sofort wieder zurückerobern und im Ballbesitz bleiben.

Interessant war aber auch die Rolle von Stürmer Rodrigo, der nach schwierigen Jahren zuletzt in Valencia unter dem neuen Trainer Marcelinho aufblühte und als Kapitän zu den wichtigen Bausteinen für den Aufschwung der Fledermäuse zählt. Dadurch rückte der gebürtige Brasilianer wieder in den Fokus der Nationalmannschaft und wurde dank seiner starken Leistungen mit einer Nominierung in die La Seleccion belohnt. Der Stürmer bringt auch ein interessantes und passendes Profil in die Mannschaft ein, da er sich sehr klug bewegt und immer wieder Räume für seine Mitspieler schafft. So wich Rodrigo immer wieder auf die rechte Seite aus und zog einen Gegenspieler aus seiner Position und öffnete so Räume, in die Silva und Koke immer wieder hineinstießen, oder er startete mit einem guten Timing in die Tiefe (so wie beim 1:0) und drückte die Abwehr so nach hinten, was wiederum Räume zwischen den Linien öffnete. Sein gutes Bewegungsspiel und seine Spielintelligenz kann man auch wunderbar bei der nächsten Bildsequenz sehen:

Deutschland steht mit der Abwehr sehr hoch, um die Abstände zwischen den Spielern/Mannschaftsteilen eng zu halten. Innenverteidiger Hummels orientiert sich mit seiner Körperposition an den Stürmer, um bei einem langen Ball hinter die Abwehr gegebenenfalls den Sprint aufnehmen zu können. Rodrigo erkennt genau diese Situation und deutet den Sprint in die Tiefe an, auf den Hummels auch sofort reagiert…

um dann jedoch den Lauf abzubrechen und stattdessen Innenverteidiger Pique entgegenzukommen, der Rodrigo auch anspielt. Spielintelligenz auf höchstem Niveau. Rodrigo schafft sich mit dem Tiefensprint und einer simplen Bewegung selber den Raum und lässt sich dann ins Mittelfeld fallen, wo er den Ball prallen lässt und viel Freiraum vorfindet. Er beweist damit sein Bewusstsein für den Raum, Mitspieler und Gegenspieler.

Deutschland reagiert und nimmt im Spiel Anpassungen vor

Nachdem Deutschland die erste halbe Stunde vor allem gegen den Ball Schwierigkeiten mit dem Zugriff hatte, erkannte Bundesstrainer Löw die Probleme und versuchte mit einigen Anpassungen Lösungen gegen die spielstarken Spanier zu finden. Zunächst einmal versuchte Deutschland immer wieder Angriffspressing zu spielen und die Spanier sehr weit in ihrer eigenen Hälfte zu attackieren und einen Ballverlust bzw. zumindest einen langen Ball zu erzwingen. Das Pressing spielte man dabei sehr mannorientiert und jeder Spieler hatte quasi seinen Gegenspieler, an dem er sich orientierte. Das sah dann folgendermaßen aus:

Klare Zuweisung für jeden deutschen Spieler im Pressing. Jedoch zeigt sich hier bereits das Problem der Mannorientierungen – Sergio Ramos dribbelt sich einfach in den freien Raum (gelbe Linie) und löst so das Pressing der Deutschen problemlos auf.

Spanien gelang es trotz hohem Anlaufen der Deutschen sich immer wieder aus dem Pressing zu befreien. Das lag daran, dass die Spanier das Spielfeld sehr breit machten und die gegnerische Formation damit quasi „streckte“, sich gleichzeitig aber auch immer wieder gut bewegten und den jeweiligen Gegenspieler aus seiner Position herauszogen, um Raum für den Mitspieler zu schaffen, wie man dies beim letzten Bild und dem riesigen Loch im Zentrum erahnen kann. Bundestrainer Löw sprach diese Problematik nach dem Spiel auch an und erklärte, dass es gegen die Spanier verdammt schwer sei diese anzupressen, weil man dadurch selbst in der letzten (Abwehr)Linie quasi „Mann gegen Mann“ spielen muss und das Risiko evaluieren muss, aber auch im Anlaufen ein falscher Schritt bereits ausreicht, um das Pressing ins Leere laufen zu lassen. Löw nahm dann auch noch im Spiel einige Anpassungen im Defensivverhalten und der Zuordnung vor, um das Problem mit dem mangelnden Zugriff in den Griff zu bekommen. Zuallererst agierte man auch in tieferen Zonen wesentlich mannorientierter und verteidigte nicht mehr nur ausschließlich den Raum, sondern orientierte sich vermehrt an den Gegenspieler. So rückten u.a. auch die beiden Sechser teilweise weit aus ihren Positionen heraus, um die Spanier in direkte Zweikämpfe zu verwickeln. Darüber hinaus gab es auch noch eine Reaktion auf die freie Rolle von Isco, der wie wir bereits gesehen haben quasi überall auf dem Feld auftauchte. So veränderte man auch da die Zuordnung, indem sich Kimmich von nun an den hochschiebenden Alba orientierte und stattdessen Müller mehr ins Zentrum einrückte, um wieder Gleichzahl im Zentrum herzustellen.

Wie kann man darüber hinaus die Probleme gegen den Ball noch lösen? Relativ simpel, hab ich den Ball, kann ihn der Gegner nicht haben. So schraubten die Deutschen ihre Ballbesitzzeiten kontinuierlich in die Höhe und spielten nicht mehr so direkt nach vorne im Ballbesitz, sondern ließen das Spielgerät ruhiger in den eigenen Reihen zirkulieren. Die Spanier verteidigten meist in einem tiefen 4-5-1 Block und versuchten die Räume zuzuschieben, statt Druck auf den Gegenspieler auszuüben. Dadurch hatte man zwar oft einen kompakten Block in der Vertikale/Diagonale, jedoch konnten die Gastgeber ohne Druck in die Breite spielen und den „Block“ damit in Bewegung setzen, um dann auf Lücken zu lauern und diese zu bespielen. Gleichfalls aber brachte Deutschland die Vorzüge im eigenen Ballbesitzspiel immer besser zur Geltung, womit die Spanier so ihre Probleme hatten. Die Gastgeber hatten nämlich einen relativ guten Mix an Spielern in den eigenen Reihen, mit unterschiedlichen Profilen. So spielte man im Verlauf der Parte immer mehr mit einer Doppelspitze Werner und Müller, die sehr hochstanden, oft in den Lücken der Abwehrlinie standen und dank ihres guten Bewegungsspiels klug Räume öffneten für die nachrückenden Mitspieler. Gleichzeitig ließen sich Özil und Draxler in den Halbräumen fallen und wurden von dem nachstoßenden Sechser Khedira unterstützt, der sich immer wieder vorne einschaltete. Nicht nur das, auch die beiden Außenverteidiger rückten sehr weit auf und gaben konstant Breite, wodurch sie eher Flügelstürmer waren. Das sah dann ungefähr so aus:

Draxler und Özil lassen sich gemeinsam ins Zentrum fallen und spielen einen Doppelpass, Özil chipt den Ball in den freien Raum, Werner blockt Pique und hindert ihn am Herausrücken, weshalb Müller den Ball im freien Zwischenlinienraum annehmen (Pfeil) und auf die Seite spielen kann – wodurch eine gefährliche Situation entsteht.

Aufgrund dieser Maßnahmen erkämpften sich die Deutschen in den letzten 15-20 Minuten der ersten Halbzeit ein deutliches Übergewicht und die Spanier ihrerseits bekamen in dieser Phase keinen Zugriff auf die Partie. Durch das tiefe Abwehrverhalten der Gäste war der Weg nach vorne naturgemäß sehr weit und man hatte auch nicht gerade die schnellen Umschaltspieler in den eigenen Reihen für die Überwindung der großen Distanzen, sondern eher kombinative Spielertypen für enge Räume. Doch nicht nur aufgrund dieser Tatsache bekam man Schwierigkeiten, sondern auch weil die Deutschen im Spiel gegen den Ball besser wurden. Durch das sehr hohe Aufrücken mit der gesamten Mannschaft schnürte man nicht nur die Spanier hinten ein, sondern hatte auch noch sehr gute Strukturen, um nach Ballverlust sofort ins Gegenpressing zu gehen. Dadurch spannte man ein Netz um die Gäste herum, woraus sich selbst die Iberer nicht mehr heraus kombinieren konnten. Das lag auch daran, dass selbst die Innenverteidiger Hummels & Boateng teilweise tief in die gegnerische Hälfte herausrückten und ihre Positionen hinten verließen, somit zum Teil sehr hohes Risiko eingingen. Dies sieht man auch gut im Vorfeld zum 1:1 Ausgleichstreffer und beim nächsten Bild:

Draxler mit dem Ballverlust, die Deutschen gehen jedoch sofort mit sechs Mann ins Gegenpressing und holen sich den Ball zurück. Dadurch ergeben sich zum Teil absurde Konstellationen, da Hummels (gelber Kreis) tief in der gegnerischen Hälfte steht und Stürmer Rodrigo verfolgt, weshalb nur noch Boateng als einziger (!) Spieler quasi hinten absichert.  Wenige Augenblicke später fällt der 1:1 Ausgleichstreffer.

Durch diese Anpassungen und das mutigere Agieren schlugen die Deutschen mit ihren Mitteln zurück und nahmen den Spaniern damit quasi den Raum und die Freude am kombinieren. Mitunter wirkte das extrem hohe Aufrücken zwar teilweise wie Harakiri, jedoch in Anbetracht der sehr athletischen Verteidigung mit Boateng, Hummels und Kimmich bzw. den Vorteilen in der Hinsicht gegenüber den Spaniern, war es dennoch überraschend stabil und setzte den Gästen ordentlich zu. Dass die Deutschen jedoch nicht nur gegen den Ball den Spaniern Probleme bereiten können, konnte man ja bereits bei einem Bild einigermaßen gut nachvollziehen und stellte sich im Spiel dann auch des Öfteren dar. Geradezu witzig wurde es jedoch, als Deutschland das von den Spaniern so geliebte Rondo einfach übernahm und die Iberer zum nachlaufen zwang, wie beim nächsten Bild wunderbar zu sehen:

Hector, Kross, Özil und Draxler rücken auf den Flügel heraus, überladen die Seite und spielen 4 gegen 3. Özil und Draxler kombinieren sich wie so oft mit einem Kontakt wunderbar heraus und können im Anschluss einen gefährlichen Angriff fahren.

So war es insgesamt eine abwechslungsreiche Partie, in der beide Mannschaften ihre guten und weniger guten Phasen im Spiel hatten und vor allem die erste Halbzeit ein Spektakel war. Nach dem Seitenwechsel und den vielen Wechseln nahm die Qualität und der Spielfluss etwas ab, blieb aber dennoch auf einem guten Niveau.

Fazit

Die Zuschauer an diesem Abend können sich glücklich schätzen, diese Partie verfolgt zu haben. Ein hochklassiges Spiel auf hohem Niveau mit zwei Mannschaften und einigen Weltklassespielern, die sich unaufhörlich fußballerisch bespielten und beide ihre jeweiligen Vorzüge aufzeigen konnten. Während die Spanier besser in die Partie starteten und teilweise Kombinationen zeigten, die auf einem unfassbaren Niveau angesiedelt waren, reagierten die Deutschen taktisch klug und konnten mit Fortdauer des Spiels ihre physische Überlegenheit besser zur Geltung bringen, aber auch spielerisch immer wieder ihr Können unter Beweis stellen und den Spaniern damit Probleme bereiten. Insgesamt also konnten die beiden Mannschaften wichtige Erkenntnisse im Hinblick auf die Weltmeisterschaft sammeln und Dinge mitnehmen, die es zu verbessern gilt. Man muss sich jedoch nicht weit aus dem Fenster lehnen um zu behaupten, dass diese beiden Mannschaften mit großer Wahrscheinlichkeit ein ernstes Wort im Rennen um den goldenen Pokal mitreden werden und auch im Turnier möglicherweise die Klingen wieder kreuzen werden.

Dalibor Babic, abseits.at

Dalibor Babic

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