Diesen Sommer sorgte Zenit St. Petersburg für einen Transferhammer am letzten Tag der Transferperiode: fünfundneunzig (95!) Millionen € wechselten ihren Besitzer, als Hulk und... Die Transfer-Narrischen: Das ist der Kader von Zenit St.Petersburg!

Diesen Sommer sorgte Zenit St. Petersburg für einen Transferhammer am letzten Tag der Transferperiode: fünfundneunzig (95!) Millionen € wechselten ihren Besitzer, als Hulk und Axel Witsel von Portugal nach Russland wechselten. 55 Millionen erhielt Porto für Hulk, während 40 Millionen zu Benfica nach Lissabon gingen. Vor einem Jahr folgte Domenico Criscito, seines Zeichens italienischer Nationalverteidiger und damals einer der begehrtesten Linksverteidiger Europas, dem Lockruf der nördlichsten Millionenstadt der Welt. Auch der Trainer ist ein bekannter Name des Fußballs, besonders aus taktischer Sicht.

Der Erfinder der modernen Variante der falschen Neun: Luciano Spalletti

Als ehemaliger Spieler von Empoli übernahm Spalletti in den Neunzigern der Drittligisten und führte ihn prompt zwei Ligen nach oben. Danach kam er über Umwege nach Udine, wo er letztlich überraschend die Champions League erreichte. Italien jubelte über das junge Trainertalent und feierte seine Erfolge. Trotz vieler Angebote aus Europa entschied er sich für eine Mannschaft in seinem Heimatland, nämlich den AS Rom. Zu Beginn starteten sie verhalten, nach einer schwachen und turbulenten Saison wollte der neue Trainer mit einer defensiven Ausrichtung die Lage beruhigen, was scheiterte.

Spalletti stellte dann auf ein sehr modernes 4-5-1 mit einer falschen Neun um, worauf er aus Verletzungsgründen gezwungen war. Vorne lief Totti als vermeintlicher Mittelstürmer auf und elf Siege in Folge sorgten für den Erfolgszug dieser Grundidee. Davor ließ Spalletti seine Mannschaften vorrangig mit 4-4-2 oder in sämtlichen Variationen eines Dreierkettensystems spielen, der Siegeszug mit dem 4-2-3-1 veränderte auch ihn selbst: bei Zenit wurde bislang entweder mit einem 4-2-3-1 oder wie in dieser Saison primär im 4-1-2-3 gespielt, die Spielweise ist stark auf Ballbesitz und Kontrolle ausgerichtet.

Hier sind sie sogar extremer als Konkurrent ZSKA Moskau und gänzlich anders als Anzhi. Gegen beide Mannschaften hatte Zenit über 60% Ballbesitz, auswärts in Moskau waren es sogar 66%, eine exorbitante Quote. Europaweit liegen sie damit nur hinter Barcelona und Bayern, was bei der Anzahl an Transfers sowie der Arbeit des Trainers kein Wunder sein sollte. Zwei Meistertitel sind schon dabei herausgesprungen, aktuell scheint es auf ein Aufrüsten für die Champions League hinauszulaufen. Der Kader bedarf dennoch aufgrund einiger Unbekannter einer genaueren Betrachtung – die Balance stimmt noch nicht, denn trotz der besten Tordifferenz und dem höchsten Ballbesitz befindet man sich in der heimischen Tabelle nur auf dem fünften Platz.

Die Abwehrreihe

Im Tor steht Vyacheslav Malafeev, welcher seine Stärken auf der Linie und in der Reaktionsschnelligkeit besitzt. Er ist kein Antizipationskeeper und eher untauglich für ein solches Ballbesitzspiel, steht aber aufgrund mangelnder Alternativen weiterhin als unumstrittene Nummer Eins im Tor. Vor ihm spielen die beiden Innenverteidiger Bruno Alves und Nicolas Lombaerts. Die beiden verkörpern internationales Niveau und haben ihre Fähigkeiten nicht nur in den Zweikämpfen am Boden und in der Luft, sondern sind auch im Spielaufbau akzeptabel. Sie bilden das Gerüst für die Spielweise von Zenit.

Als Alternativen gibt es auf der Bank noch Tomas Hubocan, welcher aber vornehmlich ein defensiver Außenverteidiger ist. Diese Position spielt aber zumeist Alexander Anyukov, welcher auch in der russischen Nationalmannschaft diese Rolle bekleidet. Anyukov ist defensiv wie offensiv stark, er überzeugt durch seine Spielintelligenz und seine Dynamik, was ihn zu einem guten Außenverteidiger macht, der seine Rolle auf alle möglichen Arten interpretieren kann. Durch seine unermüdliche Ausdauer kann er viel Raum machen und seien Vordermännern auf den offensiven Flügel erlauben, sich im Angriffsverlauf oder gar im Aufbauspiel nach innen zu verschieben.

Gegenüber agiert mit Domenico Criscito ein ähnlicher Spielertyp. Dieser kann dank seiner Größe sogar als Innenverteidiger spielen, fühlt sich auf der defensiven Außenbahn jedoch wohler. Der Italiener kann seine Position ebenfalls offensiv wie defensiv orientiert bespielen, ist schnell und bringt gute Flanken in die Mitte, was ihn zu einer Allzweckwaffe auf dieser Position macht. Mit Renat Yanbaev gibt es einen sogenannten inversen Außenverteidiger, also einen Rechtsfuß auf der linken Seite (oder alternativ vice versa), der als Ersatz für Criscito fungiert. Yanbeav ist etwas offensiver, extrem schnell und dribbelstark, wodurch er Spalletti erlaubt, seinen Landsmann Criscito bei Bedarf auch in der Abwehrzentrale auszuprobieren. Eine ähnliche Rolle könnte der Serbe Aleksander Lukovic spielen, ihm fehlt es wohl aktuell am Vertrauen des Trainers und einer konstant guten Form, um jemanden aus der starken Defensive zu verdrängen.

Dreifachsechs als offensive und defensive Sicherung

Vor dieser Viererkette spielt normalerweise Igor Denisov als Taktgeber, Organisator und Spielgestalter aus der Tiefe. Unterstützt wird er von Roman Shirokov und Konstantin Zyryanov. Denisov konzentriert sich neben einfachen Pässen auch verstärkt auf das Sichern von Räumen im Zuge starker Laufarbeit, ist dank seiner Dynamik auch gut im Ablaufen von Bällen sowie gut in der Ballbehauptung.

Sowohl Zyryanov als auch Shirokov kümmern sich mit vielen genauen Pässen und Kreativität um den Angriffsaufbau. Sie nutzen ihre Genauigkeit, um das Spiel durch Ballbesitz zu stabilisieren und aufzurücken, später wird der Gegner durch die Ballzirkulation zu Fehlern und Öffnungen gezwungen, die dann vom Mittelfeld bespielt werden. Die beiden sind auch defensivstark, was für ein kompaktes Zentrum sorgt und die Defensive auch ohne Ball stabilisiert. Lediglich die Außenverteidiger müssen durch diese 4-3-3-Anordnung viel Arbeit entlang der Linie verrichten.

Mittelfristig dürfte Axel Witsel in die Rolle als einer der beiden offensiveren Sechser oder gar statt Denisov kommen, da er sämtliche Positionen im zentralen Mittelfeld bekleiden kann. Seine Stärken sind neben dem Passspiel auch das Dribbling, dank welchem er sich aus schweren Situationen gut befreien kann. Außerdem ist der Belgier auch Ersatz für Sergey Semak, der das Tempo wegen seines Alters nicht mehr über eine volle Saison mitgehen kann. Mit Viktor Faizulin gibt es einen weiteren Spielertypen wie Axel Witsel auf der Bank.

Der Dreiersturm

Bis vor der Hulk-Verpflichtung liefen zumeist Semak oder Faizulin auf dem linken Flügel auf. Mit Hulk ist alleine durch dessen Athletik und Torgefahr eine ganz neue Dimension ins Spiel der Russen gekommen, welche sich im Zuge der Saison noch sehr positiv auswirken wird. Hulk kann von links diagonal in die Mitte ziehen, er kann die Position des Mittelstürmers besetzen und mit seiner enormen Schusskraft für viel Gefahr aus der zweiten Reihe sorgen.

Auch die Balance zwischen den Stürmern stimmt auf dem Papier. Vladimir Bystrov ist weniger am Tor orientiert, als Hulk, er macht seine Seite breit und kann durch seine Schnelligkeit wie ein Flügelstürmer der alten Schule entlang der Außenlinie bis zur Grundlinie vorstoßen. Zentral haben die beiden mit sehr beweglichen Kerzhakov eine passende Anspielstation, welche viel Laufarbeit verrichtet und dadurch Räume öffnet, wovon besonders Hulk profitieren sollte. Aleksandr Bukharov auf der Bank wäre eine bulligere Option für die Brechstange, die jungen Maksim Kanunnikov und Luka Djordjevic werden wegen der Konkurrenz nur gelegentlich zum Spielen kommen.

Rene Maric, abseits.at

Rene Maric

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert