Football at its best – die bemerkenswertesten, kuriosesten, legendärsten Fußballspiele aller Zeiten.(Teil 1)
Weitere Länder 25.August.2011 Stefan Karger 0
Folge 1: Brasilien – Uruguay 1950, oder ein WM-Finale, das gar keines war. Ein Bericht über ein Fußballspiel vor über 60 Jahren, das die Menschen in Brasilien bis heute nicht vergessen haben und es wahrscheinlich auch nie vergessen werden.
„Nur drei Menschen haben mit einer einzigen Bewegung das Maracanã zum Schweigen gebracht: Frank Sinatra, Papst Johannes Paul II. und ich.“
Alcides Ghiggia
Der 1926 in Montevideo geborene Alcides Ghiggia wird selbst vielen Fußballexperten wenig bekannt sein. Dabei hat er der großen Fußballnation Brasilien die wohl schmerzlichste Niederlage ihrer Geschichte zugefügt und wurde somit zur Legende. Aber alles der Reihe nach.
WM IN BRASILIEN UND EIN UNGEWÖHNLICHER MODUS
Die Weltmeisterschaft 1950 in Brasilien wurde in einem ungewöhnlichen Modus ausgetragen. Gänzlich ohne K.O.-Spiele wurde der Weltmeister in zwei Gruppenphasen ermittelt. Die 13 teilnehmenden Mannschaften wurden in vier Gruppen gelost, wobei sich die vier Gruppensieger für die nächste Phase qualifizierten. Diese vier Mannschaften spielten sich im Jeder-gegen-Jeden-Modus in der zweiten Gruppenphase die vier ersten Plätze aus.
Brasilien, Spanien, Schweden sowie Uruguay lauteten die vier Gruppensieger. Favorit Brasilien startete mit zwei klaren Siegen. Somit würde im letzten Spiel der Seleção gegen Uruguay (1 Sieg, 1 Unentschieden) ein Unentschieden zum ersten Weltmeistertitel Brasiliens reichen. Bei einem Sieg des kleinen Nachbarn würde aber Uruguay den Titel holen. Im Nachhinein wurde dieses Spiel deshalb als eigentliches Finale tituliert, obwohl es „nur“ ein Gruppenspiel war.
VOM TITEL ÜBERZEUGT
Die Stimmungslage vor dem Spiel konnte eindeutiger nicht sein. Die Brasilianer waren so sehr vom Titel überzeugt, dass bereits vor dem Spiel Zeitungen gedruckt wurden, in denen Brasilien als Weltmeister gefeiert wurde. Geschätzte 200.000 Zuschauer wohnten dem Spiel im Maracanã-Stadion von Rio de Janeiro bei.
In der ersten Halbzeit konnte Uruguay gegen den Favoriten gut mithalten – es ging mit 0:0 in die Halbzeitpause. Als aber in der 47. Minute die Brasilianer in Führung gingen, fühlten sich die brasilianischen Fans in ihrer Siegessicherheit bestätigt. Doch Uruguay wuchs über sich hinaus und erzielte in der 66. Minute den Ausgleich. Verunsicherung machte sich nun in der brasilianischen Mannschaft breit und das Undenkbare trat ein: Außenstürmer Alcides Ghiggia traf in der 79. Minute zum 2:1 für die Celeste. Brasilien konnte nicht mehr ausgleichen und Uruguay wurde zum zweiten Mal nach 1930 Weltmeister. Der große Favorit konnte sich bei der WM im eigenen Land nicht mit dem Titel krönen.
KURIOSE POKALÜBERGABE
Wie sehr die Brasilianer geschockt waren zeigt dieses Zitat des damaligen FIFA-Präsidenten Jules Rimet:
„Durch die Tunnel der Riesentribüne begab ich mich beim Stand von 1:1 zur Siegesfeier, um den Brasilianern die Trophäe zu überreichen. Als ich auf den Platz kam, herrschte im Stadion eine Totenstille. Uruguay hatte eben sein zweites Tor geschossen und war Weltmeister. Plötzlich gab es keine Ehrengarde mehr, keine Nationalhymne, keine Ansprache vor dem Mikrofon, keine glanzvolle Siegesfeier. Ich fand mich allein inmitten der Volksmenge, von allen Seiten bedrängt, mit dem Pokal in meinen Händen, ohne zu wissen, was ich tun sollte. Ich hielt nach dem uruguayischen Kapitän Ausschau, und überreichte ihm − fast im Geheimen − den Pokal und streckte ihm die Hand hin, ohne ein Wort sagen zu können. Später legte sich die Verwirrung. Die Menschenmenge brach langsam auf, wie wenn sie vom Friedhof käme. Funktionäre und brasilianische Spieler gratulierten den Siegern mit einer traurigen, aber zugleich herzlichen Verbeugung.“
AUSWIRKUNGEN DANACH
Noch lange nach dem Spiel saßen zig Menschen stumm im Stadion. Später wurden im Stadion vier Leichen entdeckt. Drei waren einem Herzinfarkt erlegen, und ein Weiterer hatte Selbstmord verübt, indem er sich von der Tribüne gestürzt hatte.
Eine weitere Folge dieses Spieles war, dass die brasilianische Fußballnationalmannschaft nicht mehr in den bis dahin gewohnten weißen Trikots spielte. Diese Trikots wurden nach diesem Spiel durch die heute typische gelb-blaue Spielkleidung ersetzt.
Und was wurde aus Alcides Ghiggia? Er ist heute der letzte noch lebende Akteur des uruguayischen Teams von 1950. Wie sehr sich dieses Spiel in die brasilianische Fußball-Seele eingebrannt hat, erkennt man an folgender Anekdote des Torschützen: Ghiggia war erstaunt, als er 50 Jahre nach dem Spiel bei seiner Einreise nach Brasilien von einer Zollbeamtin gefragt wurde, ob er DER Ghiggia sei. Ghiggia sagte: „Ja, aber das ist doch schon 50 Jahre her.“ Sie antwortete: „Aber in Brasilien spüren wir diesen Moment noch heute!“
Diesem Fußball-Spiel wurde in Brasilien ein eigener Name verpasst: “Maracanaço“
Was so viel bedeutet wie „Der Schock von Maracanã“.
fußboller, abseits.at
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Stefan Karger
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