Fußball ist perfekt. Einfach und elegant. Ein Sport, der ohne komplizierte Regeln und Ausrüstung auskommt. Er kann auf jeder geraden Fläche mit einer Wuchtel... Fußball in den USA (1):  Das fremde Spiel

_USA-FlaggeFußball ist perfekt. Einfach und elegant. Ein Sport, der ohne komplizierte Regeln und Ausrüstung auskommt. Er kann auf jeder geraden Fläche mit einer Wuchtel und mindestens zwei Leuten gespielt werden. Der Fußball ist Großbritanniens Geschenk an die Welt. In den USA, der führenden Nation dieser Erde, konnte sich dieser Sport jedoch (noch) nicht so richtig etablieren. Obwohl die US-Herren mittlerweile Stammgast bei Weltmeisterschaften sind und derzeit auf Platz 23 der FIFA-Weltrangliste liegen (ihre Landsfrauen verfügen gar mit drei WM-Titeln und vier Olympiasiegen neben Deutschland über die erfolgreichste Nationalmannschaft), ist soccer kein Massenphänomen im Land der unbegrenzten Möglichkeiten. Das hat seine Gründe, die weit in die Geschichte des Landes zurückreichen.

Amerika positioniert sich aus historisch-kulturellen Gesichtspunkten als Opponent der Briten. Erfolgreich haben sich die Amis gegen die gierigen Hände des Empire gewehrt, die Kolonialherren vertrieben und eine Republik gegründet. Genährt durch gemeinsame Wurzeln und Sprache ist das Verhältnis zu Großbritannien bis heute ein ambivalentes. Amerika will in der Tradition der Insel stehen und trotzdem eine eigene Nische besetzen. Auch im Sport. So spielt man statt Rugby American Football und statt Kricket Baseball und hält diese für uramerikanische Sportarten. Noch heute lautet ein bekannter Spruch, dass Baseball der amerikanische Zeitvertreib, Football die amerikanische Leidenschaft und Basketball das uramerikanische Spiel (das aus Kanada kommt, aber dazu später mehr) sei. Zusammen mit Eishockey sind diese Sportarten – „The Big Four“ – des Amerikaners liebster Zeitvertreib.

Fußball heißt in den USA nicht nur soccer, sondern musste auch mit anderen Voraussetzungen als fast überall sonst auf der Welt zurechtkommen: Während das Kicken meist in der Arbeiterschicht Verbreitung fand, spielte man in den USA in Mittelschichtssuburbs. Die hiesigen proletarischen Machosportarten waren Football und Eishockey. Früh ermöglichten die Staaten einen nicht-exklusiven Zugang zu ihren Hochschulen und brachten so höhere Bildung eher in die Mittelschicht, als es in Europa der Fall war. Getreu dem Motto „mens sana in corpore sano“ arrangierte man dort ein breitgefächertes Angebot an Sportarten und führte so zu deren Verbreitung in der Rest-Gesellschaft. In High-School- und College-Teams wurde fleißig gekickt, jedoch bildeten diese Spieler immer einen elitären, wenn auch engagierten Zirkel.  Mainstream wurde soccer nie.

Big Four

„Pasuckquakkohowog“ nannten die Ureinwohner Nordamerikas jenes Spiel, das den Fußballvorläufern im antiken Griechenland, alten China und Rom ähnelt. Überall auf der Welt wurden Ballspiele, die sehr entfernt mit dem heutigen Fußball zusammenhängen, betrieben. Die eigentliche Fußball-DNA stammt jedoch definitiv aus England und entwickelte sich Mitte des 19. Jahrhunderts. Es waren Privatschulen und die Universitäten Oxford und Cambridge, die regelmäßig das heute so populäre Spiel zu trainieren begannen. In den USA breitete sich auf diese Art American Football über die Eliteunis der Ostküste aus. Bis in die 20er blieb der Collegefootball (und somit Amateursport) fester Bestandteil der amerikanischen Kultur, erst die Gründung der National Football League ließ seine Popularität etwas schwinden. Diese Besonderheit findet sich im Bereich des Fußballs nirgendwo auf der Welt.

Während Baseball früher professionalisiert wurde, behielt Football lange seine ehrenhaften Touch: Es schien nur um Gruppendynamik, Persönlichkeitsbildung, Ertüchtigung zu gehen. Baseball dagegen etablierte sich schnell als Sport der Mittelklasse. Während sich diese beiden Sportarten langsam entwickelten, hat Basketball – ein weiteres Spiel der großen Vier – einen konkreten Urheber: James Naismith, ein damals 30-jähriger Sportlehrer aus Kanada, erfand den heute beliebten Sport als Wintertrainingsprogramm für die Halle. Lange blieb Basketball in der öffentlichen Wahrnehmung Amerikas hinter Football, Baseball und sogar Eishockey zurück. Erst Ende der 30er-Jahre (und spätestens in den 50ern) wurde es unglaublich populär. Genauso wie Basketball kommt auch Eishockey aus Kanada. Die Amerikaner mussten Hockey nie amerikanisieren, da der Wintersport sowieso immer als amerikanisch wahrgenommen wurde. Entsprungen aus dem Kraftfeld beider Kulturen, kann Fremdes von Eigenem kaum unterschieden werden.

Ausbreitung

Ende des 19. Jahrhunderts entstanden vor allem im amerikanischen Osten viele Fußballmannschaften, die im Rahmen der Traditionspflege von Einwanderern gegründet wurden. Die Kleinstädte River in Massachusetts und Kearny in New Jersey gelten bis heute als Fußballhochburgen, die damals von schottisch-irischen Einwanderern aus dem Boden gestampft wurden. 1884 wurde die American Football Association in Newark (New Jersey) aus der Taufe gehoben. Die AFA vereinheitlichte zwar die Fußballregeln. Es sollte jedoch Jahrzehnte dauern bis der Verband funktionstüchtig arbeitete. Zwischenzeitlich reisten Vertreter der AFA und der AAFA (American Amateur Football Association) nach Zürich um jeweils um Aufnahme in den FIFA-Dachverband zu ersuchen. Das Chaos war perfekt. Die FIFA erwies sich als gute Vermittlerin und überredete die Verbände sich zur USFA –  United States Football Association – zusammenzuschließen. Die Zwangshochzeit mutierte allerdings fast zum Selbstmord des noch jungen amerikanischen Fußballs: Die USFA erklärte soccer zum europäischen Elitensport und versuchten nicht einmal sich in den Breitensport zu integrieren.

Arnold Schwarzenegger kannte ein Jahrhundert später das Erfolgsrezept, wie man sich in den USA etabliert: „Man muss mehr auf Amerikanisch machen. Man soll nie vergessen wo man herkommt, aber die Amerikaner wollen das Ihre sehen.“  Damals knapp vor Ausbruch des Ersten Weltkrieges, in einer Phase der Nationalisierung, war die Darstellung als europäischer Elitenzeitvertreib beinahe tödlich. Die USFA schaffte es also nicht Fußball populär zu machen. Sie ignorierte, die vielen Jugendlichen, die an den Colleges zum Spaß kickten und brachte auch nicht das erforderliche Kapital zur Gründung einer brauchbaren Liga auf. Einzig einen ersten Wettbewerb stiftete sie mit der National Open Cup Competition, die 1923 in National Challenge Cup umbenannt wurde. In den meisten europäischen Ländern gab es bereits vergleichbare Bewerbe: Jeder, der über eine 22-beinige Mannschaft verfügte, konnte bei diesen K.O.-Partien mitmachen. Amateur oder Profi? Egal. Inoffiziell und offiziell gründeten sich zahlreiche Amateurligen, wie im Großraum New York oder auch in St. Louis, das lange Zeit als amerikanische Fußballhauptstadt galt. Während in Europa der Fußball langsam hierarchisch durchstrukturiert und weltweit im Dachverband der FIFA geordnet wurde, hinkten die USA – dank der Unfähigkeit ihrer Funktionäre – jahrzehntelang hinterher.

Die ersten Profis

Der erste Versuch einer Profifußballiga währte 1894 gerade drei Wochen lang. Kurioserweise waren die USA so aber das zweite Land der Welt das Fußball institutionalisierte. Die Mannschaften der American League of Professional Football Clubs (ALPFC) kickten auf ungenutzten Baseballplätzen, die Spieler rekrutierten sich aus jungen Einwanderern. Spitzenreiter war damals ein Team aus Baltimore, das zuvor acht erfahrene Spieler aus Manchester verpflichten konnte. Das Eintrittsgeld, das die Zuschauer für die ALPFC-Matches berappen musste, belief sich etwa auf die Hälfte, die man für ein Baseballspiel zahlen musste. Dennoch ging das Interesse schon nach den ersten Spieltagen zurück. Im Oktober 1894 wurde in Baltimore das letzte Spiel der ersten Profiliga gespielt, dann stellte die Liga ihren Betrieb ein. Offizieller Grund: Man wolle nicht länger mit dem Collegefußball konkurrieren.

Jahrelang herrschte nun wieder Fußballdschungel mit wildgewachsenen Ligen und Amateuren, die gegen Halbprofis spielten. Der Verband war schwach und uneins wie es weitergehen solle. Versuche eine Liga mit den besten Klubs aus dem Osten zu gründen, schlugen fehl. Thomas W. Cahill aus St. Louis initiierte in den Roaring Twenties schließlich die American Soccer League und kurze Zeit sah es so aus, als wäre nun der Weg zum Breitensport frei: Die ersten Jahre der ASL verliefen vielversprechend. Der Bethlehem Steel F.C. mit Archie Stark, einem gebürtigen Schotten, der als Kind nach Amerika gekommen war und sich zu einer Tormaschine mauserte – beispielsweise erzielte er in der Saison 24/25 in 44 Spielen 67 Tore – war als Traditionsklub das Zugpferd der Liga. Der Eigentümer der New York Giants, Horace Stoneham, ließ sich dazu hinreißen eine Fußballmannschaft mit gleichem Namen zu sponsern und lockte so auch Football-Zuschauer zu Fußballspielen. Europas Spitzenmannschaften kamen in der spielfreien Zeit auf Besuch und maßen sich gegen ihre amerikanischen Berufskollegen. So mancher blieb in den USA kleben: Einige Spieler der Wiener Hakoah, die als amtierender Meister die Staaten beehrten, wechselten nach der Tournee zu New Yorker Klubs. Die Zuschauerzahlen waren gut bis durchschnittlich, Probleme bereitet nur der große Talentemangel unter den Einheimischen. Mit dem Börsenkrach 1929 verschärften sich zudem die wirtschaftlichen Bedingungen.

Der eigentliche Knackpunkt für das Ende dieser hoffnungsvollen Zeit war jedoch ein Streit zwischen Funktionären und Klubs bei dem es um die Teilnahme an Pokalspielen ging. Die Liga zerbrach und die ersten zarten Bande, die für eine dauerhafte Positionierung als Topsportart in den Staaten geknüpft worden waren, wurden wieder gelöst. Zwei Jahre später spielte eine neugegründete, gleichnamige Liga bis in die 70er Jahre von September bis April im Nordosten des Landes. Selbst Basketball-Legende Bob Cousy konnte deren Ende jedoch nicht verhindern. Cousy war enthusiastisch und selbst ein begeisterter Sportler, von Fußball seiner Geschichte, seiner Kultur hatte er jedoch keine Ahnung. Die ASL II konnte gegen die North American Soccer League nicht mehr bestehen. Jene NASL erlebte in den 70ern ihren Höhepunkt als Cosmos New York Pelé verpflichteten. Das Zuschauerinteresse und die mediale Aufmerksamkeit machten damals einen Riesensprung nach vorne: Teure Fernseh- und Werbeverträge wurden abgeschlossen. Superstars wie Beckenbauer, Eusebio, Cruyff, Best und Müller folgten dem Ruf des Geldes.

Doch in den 80ern fiel das Kartenhaus in sich zusammen: Das Interesse schwand, ABC verlängerte seinen TV-Vertrag nicht und immer mehr Vereine verließen die NASL. Die mangelnde Aufbauarbeit in den Jahrzehnten zuvor rächte sich: Es gab einfach zu wenig gute amerikanische Kicker, die ihre Landsleute in die Stadien gelockt hätten. Das Glück des US-Fußballs war die Weltmeisterschaftsvergabe 1994. Die FIFA begründete ihren Zuschlag nämlich folgendermaßen: „Einer der Hauptgründe […] war der Wunsch einer professionellen Liga auf die Beine zu helfen. Die Weltmeisterschaften sind eine hervorragende Gelegenheit, dem Fußball wirkungsvolle Publicity […] zu verschaffen.“ Diese Endrunde markiert somit die eigentliche Geburtsstunde des amerikanischen Profifußballs.

Marie Samstag, abseits.at

Marie Samstag

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