Island fährt zur Europameisterschaft: Was steckt hinter dem Erfolg der Nationalmannschaft?
Weitere Länder 7.September.2015 Stefan Karger 0
Das isländische Nationalteam hat sich nach dem sensationellen 1:0-Auswärtssieg gegen die Niederlande und dem darauffolgenden 0:0-Unentschieden gegen Kasachstan fix für die Europameisterschaft in Frankreich qualifiziert. Was steckt hinter dem Erfolg des zweitgrößten Inselstaats Europas, wo mit knapp 330.000 Menschen nicht viel mehr Einwohner ihr Zuhause haben, als in der steirischen Landeshauptstadt Graz?
Knapp gescheitert bei der WM-Qualifikation 2014
Schon bei der Qualifikation zur Weltmeisterschaft in Brasilien 2014 sorgte Island für positive Schlagzeilen. Das Team befand sich bei der Gruppenauslosung im letzten Topf und erreichte hinter der Schweiz, aber noch vor Slowenien, Norwegen, Albanien und Zypern, den starken zweiten Tabellenplatz in der Gruppe E. In den darauffolgenden Playoff-Spielen gegen Kroatien erreichte die Mannschaft von Trainer Lars Lagerbäck zu Hause immerhin ein 0:0-Unentschieden, ehe es in Zagreb eine 0:2-Niederlage setzte. Auch wenn sich die Qualifikation zu diesem Turnier nicht ausging, setzte die Auswahl immerhin ein kräftiges Lebenszeichen.
Tabellenführer in einer starken Gruppe
Bei der aktuellen EM-Qualifikation gelang Island aber noch einmal einen gewaltigen Schritt nach vorne. Nach acht Spieltagen steht das Team punktegleich mit Tschechien an der Spitze und schaut dank der besseren Tordifferenz vom ersten Platz auf die Konkurrenz hinunter, die sogar noch stärker ist, als bei der vergangenen WM-Qualifikation. Auch wenn die Niederländer zurzeit schwächeln, muss man die Oranje erst zweimal besiegen. Desweiteren befinden sich mit Tschechien und der Türkei zwei weitere namhafte Konkurrenten in der Gruppe – Tschechien qualifizierte sich nun übrigens zum sechsten Mal hintereinander für eine Europameisterschaft.
Der Weg an die Tabellenspitze
Island startete mit einem 3:0-Heimsieg gegen die Türkei ausgezeichnet in die EM-Qualifikation und ließ auch beim darauffolgenden 3:0-Auswärtssieg gegen Lettland nichts anbrennen. Nach einem sensationellem 2:0-Heimerfolg gegen die Niederlande setzte es im Auswärtsspiel gegen Tschechien mit einem 1:2 die bisher einzige Niederlage in der Qualifikation. Es folgte ein 3:0-Auswärtssieg gegen Kasachstan und ein wichtiger 2:1-Heimsieg gegen Tschechien. Vergangenen Donnerstag machten die Isländer mit dem 1:0-Auswärtssieg in Amsterdam die Sensation fast perfekt, ein 0:0-Unentschieden gegen Kasachstan reichte anschließend zur erfolgreichen Qualifikation. Am neunten Spieltag empfängt der frischgebackene EM-Teilnehmer Lettland, zum Abschluss steht das Auswärtsspiel gegen die Türkei auf dem Programm. Die beiden ausstehenden Partien können schon als Vorbereitung auf die Europameisterschaft betrachtet werden. Insgesamt sensationelle Ergebnisse, vor allem wenn man bedankt, dass Island als Topf-5-Mannschaft in die Qualifikation ging.
Ein Erfolgsgarant auf der Trainerbank
Am 14. Oktober 2011 trat der Schwede Lars Lagerbäck seinen neuen Posten als Trainer der isländischen Nationalmannschaft an. Davor gelang es ihm zwischen 2000 und 2009 fünfmal hintereinander, sich mit seinem Heimatland für ein Großereignis zu qualifizieren. Sein neuer Job reizte ihn von Anfang an, denn die isländischen Nachwuchs-Nationalmannschaften feierten beachtenswerte Erfolge, wie etwa einen 4:1-Sieg bei einem EM-Qualifikationsspiel gegen die deutsche U21-Nationalmannschaft. Lagerbäck sah, dass viel Potential vorhanden und zudem die Mentalität der Spieler vorbildlich war. Der Coach setzt auf ein 4-4-2-System und lässt immer mit zwei Angreifern spielen. Die Spieler müssen über die gesamte Partie ein hohes Tempo gehen und mehr laufen und kämpfen als die gegnerische Mannschaft. Wer diesen intensiven Spielstil nicht durchhalten kann, oder will, der wird nicht einberufen, egal was für einen Standard er als Legionär hat. Die Einstellung und der Zusammenhalt im Team sind aber groß, sodass es in dieser Hinsicht kaum Probleme gibt.
Top-Nachwuchsarbeit und stark verbesserte Infrastruktur
Das Erfolgsrezept des Landes beginnt aber nicht beim schwedischen Coach. In Island ist Fußball der Nationalsport Nummer Eins, was man daran sieht, dass es trotz der geringen Einwohnerzahl stolze 20.000 Fußballspieler gibt, die bei einem Verein gemeldet sind. Der große Umschwung, der sich nun bezahlt macht, ist der Fokus auf eine professionelle Nachwuchsarbeit. Obwohl alle Vereine eigentlich Amateurklubs sind, gibt es selbst in den Nachwuchsmannschaften nur bezahlte Trainer. Es gibt kein anderes Land auf der Welt, wo gemessen an der Einwohnerzahl so viele Trainer mit den UEFA-A-Lizenzen (165) und B-Lizenzen (563) ausgestattet sind. Egal bei welchem Verein, auf die jungen Kicker wartet immer ein qualifizierter Coach, dessen einzige Aufgabe es ist, seine Schützlinge weiterzubringen.
Auch in die Infrastruktur wurde viel investiert und nun ist es trotz der rauen klimatischen Bedingungen möglich über das ganze Jahr hinweg den Trainingsbetrieb aufrecht zu erhalten. In den letzten Jahren wurden im Land sieben große und vier kleinere Trainingshallen errichtet. Jede Schule verfügt außerdem über einen überdachten Fußballplatz, auf dem zumindest 5-gegen-5-Partien ausgetragen werden können.
Eine eigene Mentalität
Ende des vergangenen Jahres spielten 58 Isländer in ausländischen Ligen, weitere 23 junge Kicker versuchen als Nachwuchsspieler außerhalb des Landes ihren Weg zu gehen. Der Verband hat das Ziel jedes Jahr zumindest fünf bis zehn Spieler in ausländische Ligen zu bringen, wo die Legionäre dann weiter reifen sollen. Da die isländische Liga für die besten Spieler bald zu schwach wird, müssen sie meist schon früh den Weg ins Ausland wagen, wobei die geringen Ablösesummen den aufnehmenden Vereinen entgegen kommen und das Risiko minimieren.
Magnus Magnusson vertritt als Spieleragent einige isländische Kicker und erzählt, dass sie dafür bekannt sind am Spielfeld immer alles zu geben und alle Widerstände zu überwinden. Die Spieler sind keine Luxusdiven, sie sind schlechtes Wetter gewöhnt, mussten als Kinder oft weite Schulwege bei starken Windböen zurücklegen. Wenn man auf einer kleinen Insel mitten im atlantischen Ozean aufwächst, dann entwickelt man eine eigene Mentalität. Die Spieler sind es gewohnt zu kämpfen und eignen sich angesichts der geographischen Isolation, gepaart mit den Witterungsbedingungen, eine positive Sturheit an. Auch Trainer Lars Lagerbäck lobte die Mannschaft schon mehrfach in dieser Hinsicht. Da der isländische Verband nicht über große Geldmittel verfügt, gestalten sich die weiten Auswärtsreisen oft als ein wenig umständlich. Einmal musste die Nationalmannschaft am Flughafen aufgrund einer Verspätung sechs Stunden auf den Abflug nach Zypern warten – kein einziger Spieler beschwerte sich auch nur ansatzweise.
Stefan Karger, www.abseits.at
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