Jeden Sonntag wollen wir in dieser Serie Spieler beleuchten, die ungewöhnliche Wege eingeschlagen haben. Wir möchten Geschichten von Sportlern erzählen, deren Karriere entweder im Konjunktiv stecken blieb, die sich zu einem gegebenen Zeitpunkt radikal verändert haben oder sonst außergewöhnlich waren und sind: Sei es, dass sie sich nach dem Fußball für ein völlig anderes Leben entschieden haben, schon während ihre Profizeit nicht dem gängigen Kickerklischee entsprachen oder aus unterschiedlichen Gründen ihr Potenzial nicht ausschöpften. Auf jeden Fall wollen wir über (Ex)-Fußballer reden, die es sich lohnt auf dem Radar zu haben oder diese (wieder) in den Fokus zu rücken. Wir analysieren die Umstände, stellen Fragen und regen zum Nachdenken an. In dieser Folge wird die einstige Barcelona-Hoffnung Bojan Krkić unter die Lupe genommen…
Da konnte Carlo Ancelotti nur ins Leere starren: Bojan fiel der Ball im Strafraum vor die Füße, er zog ab, der Schuss ging durch die Beine von Torhüter Ulreich und Mainz 05 hatte bereits in der dritten Minute die Führung gegen den großen FC Bayern erzielt. Letztendlich trennten sich die beiden Teams im April vor fünf Jahren nach 90 Minuten 2:2 und das frühe Tor der damaligen Nummer 9 sollte weder ein Beinbruch für den späteren deutschen Meister noch ein überbordender Erfolg für den Torschützen sein: Der Treffer blieb nämlich Bojans einziger in der deutschen Bundesliga. Das einstige Juwel von La Masia ging nach dem Ende seiner Leihe im Sommer 2017 zu Stoke City zurück, ehe er erneut verliehen wurde. Mittlerweile kickt der 31-jährige bei Vissel Kobe in Japan.
Messis Kronprinz, Rekordbrecher, 100-Millionen-Mann.
Bojan Krkić hat in sieben Ländern gespielt, in sieben Ligen getroffen; er darf sich zweifacher Champions League-Sieger, dreifacher spanischer Meister und FIFA-Klub-Weltmeister nennen, doch die Erwartungen, die in den serbischstämmigen Kicker gesetzt wurden, waren einst so groß, dass man ihm noch mehr zutraute: Niemand anderer als der „neue Messi“ hätte Bojan werden sollen und dass, obwohl er nur drei Jahre jünger als der argentinische Ausnahmekicker ist. Warum daraus nichts wurde, soll hier erklärt werden.
„Fußball ist das Wichtigste für mich. Ich bin sehr ehrgeizig, möchte spielen und den Fußball genießen. Das kann ich in jeder Mannschaft.“, erzählte Bojan dem Mainzer Fan-TV nach seinem Premierentreffer in der Bundesliga. Diese Leidenschaft für das Kicken zeigte sich bei dem späteren Legionär schon früh, war er doch erblich vorbelastet: Bojan Krkić Senior war Profi in seiner jugoslawischen Heimat und Nachwuchsnationalspieler. Das Talent seines Sprösslings war so herausragend, dass dieser neunjährig in Barcelonas Nachwuchsakademie La Masia eintrat und in den folgenden sieben Jahren insgesamt zwischen 800 und 900 Tore für verschiedene Jahrgangsteams der Blaugranas schoss. Bojan junior überbot damit – nicht zum letzten Mal – eine Bestmarke Lionel Messis. In Barcelona munkelte man damals, dass ein neuer Weltkicker ante portas stehe, denn in seiner Altersklasse gab es weit und breit keinen besseren Nachwuchsspieler.
Nachdem Bojan 2006/07 für Barcelona B gespielt hatte, unterschrieb der Offensivspieler seinen ersten Profivertrag. Er wurde mit 17 Jahren und 19 Tagen in La Liga eingewechselt und brach so erneut Messis Rekord, drei Tage später wurde er jüngster Barcelona-Kicker in einem CL-Match und war auch noch der jüngste FCB-Spieler, der ein Tor in einem Ligamatch erzielt hatte. Die internationale Fußballwelt nahm erstmals Notiz von ihm, denn Bojans Technik war vom Feinsten, er war schnell, wendig und agil. Es drängten sich Vergleiche zu la pulga auf und (witzigerweise) sahen sich die beiden – angeblich weitschichtig verwandten – Männer mit ihren weichen Gesichtszügen und halblangen Haaren auch ähnlich.
Nachdem Bojan bereits Spaniens U-17 bei der Europameisterschaft zum Titel geschossen hatte, schien seine Karriere auch in diesem Bereich auf Kurs zu sein. Im Februar 2008 sollte er sein Debüt für die A‑Mannschaft in einem Freundschaftsspiel gegen Frankreich feiern und hätte – Überraschung – wieder einen Altersrekord gebrochen. Doch der Verband ließ verlautbaren, dass der Spieler wegen einer Magen-Darm-Krankheit nicht spielen könne. Zehn Jahre später gab Bojan zu Protokoll, dass ein anderes körperliches Gebrechen sein Debüt für die furia roja verhindert hatte: Er litt unter Angstattacken. Seine Probleme hätten durch den öffentlichen Druck, den seine ersten Profieinsätze mit sich brachten, begonnen: „Ich war im Juli bei der U 17-WM in Südkorea und niemand kannte mich. Dann kam ich zurück und plötzlich konnte ich nicht mehr die Straße hinuntergehen.“, erinnerte er sich und berichtete weiter: „Alles war gut, aber der Kopf wird irgendwann voll und dann sagt der Körper: ‚Stop!‘“ Es sei ihm durchgehend schwindlig und schlecht gewesen. Bojan konnte nicht spielen, daher sagte er Nationaltrainer Aragonés auch für die EM-Endrunde 2008 in Österreich und der Schweiz ab.
„Den Fußball interessiert das nicht.“
Gerüchte wurden damals laut, Barcas Wunderkind sei faul und fahre lieber in den Urlaub als zum Nationalteam. Die hiesige Presse titelte im Frühsommer 2008: „Spanien will Bojan, aber Bojan sagt nein.“ Der Spieler, der sich in Behandlung befand, wurde von Fans daraufhin beschimpft. Die Zeitungsmeldung sei aus dem Umfeld der Nationalmannschaft gekommen, obwohl die Verantwortlichen über seinen Zustand Bescheid gewusst hätten, meinte der Spieler später. Bojan fühlte sich allein gelassen. 2018 gab er in einem Interview mit dem Guardian an, es sei schwierig als junger Spieler in einer Gesellschaft, in der Neid überwiege, ausgestellt zu werden; jeder habe eine Meinung über einen. Diese Tatsache sollte immer mehr zum Bremsklotz in seiner Laufbahn werden, doch niemand – außer Bojan – wusste vom Kampf gegen seine inneren Dämonen.
Nachdem er seine erste Saison bei Barcas A-Team erneut mit einem Rekord (meiste Tore in der Debütsaison) beendet hatte, erwartete man, dass sich Bojan in der Spielzeit 2008/09 etablieren würde, doch obwohl der Stürmer immer noch gut spielte, schaffte er es nur selten in die Startformation. Im Dezember 2010 verlängerte er seinen Vertrag bis 2015, der Verein glaubte weiter an ihn und setzte die Ablösesumme mit 100 Millionen Euro fest. Doch letztendlich sollte dem Angreifer der Durchbruch zu einer Stammkraft der Katalanen verwehrt bleiben. Das lag auch daran, dass Trainer Guardiola ihm nicht das Vertrauen schenkte: Erst ließ er David Villa und dann Alexis Sanchez kaufen. Nach der Verpflichtung von Letzterem hatte Bojan die Nase voll und setzte bei der Führungsetage der Blaugrana durch den Klub wechseln zu dürfen. Ausschlaggebend für ihn war, dass er –trotz Guardiolas Versprechen – im CL-Endspiel 2011 nicht eingesetzt worden war. Rückblickend sei dieser Schnellschuss aber falsch gewesen, räumte er vor vier Jahren ein: „Vielleicht hätte ich geduldiger sein sollen, aber meine Klubwechsel waren immer ehrlich motiviert, weil ich spielen wollte.“
Die AS Roma bezahlte etwas mehr als ein Achtel der einst festgeschriebenen Ablösesumme für den serbisch-spanischen Fußballer und setzte Bojan vorwiegend auf dem Flügel ein. Er traf sieben Mal und wurde (mit Kaufoption) zum AC Milan verliehen. Die Norditaliener verzichteten jedoch nach einer Spielzeit auf seine Dienste und Barcelona war gezwungen den „verlorenen Sohn“ zurückzukaufen. Tatsächlich war es in der Serie A nicht schlecht gelaufen: Bojan spielte nicht auf seiner angestammten Position als hängende Spitze, sondern am Flügel, dafür aber solide und konnte einige Torerfolge verbuchen. Es war jedoch sein Ruf, der einem weiteren Engagement im Wege stand: Die Italiener hätten einen Überflieger erwartet, einen Heiland, der allein die Spiele drehen würde. „Als ich Profi wurde, war ich „der neue Messi“. Wenn man mich mit Messi vergleicht, ja, welche Karriere erwartet man dann?“, fragte Bojan.
Zurück in Katalonien gab es 2013 keine Pläne den Stürmer wieder einzusetzen, stattdessen strebte der FC Barcelona eine neue Leihe an. Diesmal meldeten sich Klubs aus den Niederlanden und Bojan unterschrieb bei Ajax, nachdem ihn Johan Cruyff motiviert hatte nach Amsterdam zu kommen. Mit Ajax holte er den niederländischen Supercup, ehe er 2014 einen Neuanfang auf der Insel wagte. Trainer Mark Hughes lotste ihn zu Stoke, wo er sich – nach kurzer Adaptierungsphase – im körperbetonten PL-Kick wohlzufühlen schien. Nach eigenen Angaben konnte der Stürmer die Essenz und Reinheit des Fußballs genießen und blühte im kalten England auf. Bojan machte im Herbst und Winter 2014 gegen die großen Fische überragende Spiele. Die Fachwelt fragte sich, ob er doch noch zu einem absoluten Ausnahmekicker reifen würde, doch leider stoppte ihn eine schwere Knieverletzung: Sein fußballerischer Frühling war wegen eines Kreuzbandrisses zu Ende.
Mehr Geduld und Feingefühl
Nach einem halben Jahr Zwangspause versuchte Bojan bei Mainz und Deportivo Alavés wieder in die Spur zu finden. Als er erneut bei den Potters anheuerte, waren diese gerade aus der Premier League abgestiegen: In der Championship bestritt Bojan noch ein Spiel, bevor sein Vertrag aufgelöst wurde und er nach Kanada ging, wo er eine Saison lang für Montreal Impact kickte. In der Spielzeit 2020/21 fand er zunächst keinen neuen Klub, bis sich Lukas Podolskis Ex-Arbeitgeber bei ihm meldete. „Ich hatte Angebote aus Europa und den USA, aber Vissel war die beste Option für mich als Mensch und Profi.“, erklärte er seine Entscheidung für den Verein, bei dem auch Ex-Barca-Star Andres Iniesta spielt. Bojans Karriere ist zwar noch nicht vorbei, vermutlich wird der mittlerweile 31-jährige aber nicht mehr in einer europäischen Topliga auflaufen. Bleibt die Frage zu beantworten, ob er gescheitert ist:
Der Offensivspieler sieht seine Karriere pragmatisch: „Ich habe in jeder Saison – einmal mehr konstant, einmal weniger konstant – mein Level erreicht und mich gut geschlagen. Menschen schätzen nicht, was du tust. Über mich wurde immer gesagt: ‚Schauen wir mal, ob Bojan sein bestes Level erreichen kann.‘ Aber was ist das beste Level?“
Angesichts seiner hervorragenden Anlagen, die er schon in der Jugend ausgeschöpft hatte, war tatsächlich mit einer Karriere zu rechnen, wie sie nicht einmal eine Handvoll Spieler erleben, doch um eine Laufbahn à la Messi, Beckenbauer oder Pele hinzulegen, gehört viel mehr als Talent. Spielglück, Verletzungsfreiheit oder mentale Stärke kann man weder kaufen noch antrainieren. Sicher, immer mehr Vereine bieten mittlerweile auch psychologische Hilfe an, damit ihre Spieler lernen mit dem Druck des Profigeschäftes zurechtzukommen. Dennoch steht Seelenhygiene in der Männerwelt Fußball auf der Prioritätenliste nicht ganz oben.
Bojan hat vermutlich zu jenen jungen Spielern gehört, die – aufgrund der außergewöhnlichen Umstände – besonders viel Bedarf an mentaler Unterstützung gehabt hätten. Die Erwartungshaltung, er werde der „neue Messi“, hätte von Barcelona und dem spanischen Verband gedrosselt werden müssen, denn letztendlich trug dieses Framing dazu bei, dass man nicht nur einen „neuen Messi“ verhinderte, sondern auch, dass Bojan nicht jener „Bojan“ wurde, der auch im Profifußball Tor um Tor macht.
Dazu kam, dass auch Bojans persönlicher Ehrgeiz nicht auf Sparflamme kochte: So ließ er sich mit der Aussicht auf Champions League-Einsätze nach Amsterdam locken, anstatt sich „nur“ in einer neuen Liga etablieren zu wollen oder er strebte – nachdem die Tür zum spanischen Nationalteam zuging – eine Spielberechtigung für das Land seines Vaters an, ohne zu bedenken, dass eine mögliche Doppelbelastung ihn überfordern könnte. Dadurch sorgte Bojan auch selbst dafür, dass zeitweise wohl zu viel Druck auf dem Kessel war und er nicht unbeschwert aufspielen konnte. Letztendlich passierte auch seine Knieverletzung zu jenem ungünstigen Zeitpunkt, als sich seine Karriere wieder im Aufwind befand. Er selbst räumte ein, dass es ihm außerdem nie gelang, eine echte „Grätzn“ zu werden: „Je höher du kommst, desto mehr musst du so sein. Aber immer, wenn ich auf dem Feld fieser wurde, war ich nicht zu bremsen.“, gestand er.
Zwar ist aus Bojan kein FIFA-Weltfußballer geworden, er war aber Teil von sehr erfolgreichen Mannschaften, kann zahlreiche Klubtitel sein Eigen nennen, verdient gutes Geld und hat – das ist das Wichtigste – noch immer Spaß am Kicken. Eine verpatzte Karriere sieht anders aus.
Marie Samstag, abseits.at
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