Jeden Sonntag wollen wir in dieser Serie Spieler beleuchten, die ungewöhnliche Wege eingeschlagen haben. Wir möchten Geschichten von Sportlern erzählen, deren Karriere entweder im Konjunktiv stecken blieb, die sich zu einem gegebenen Zeitpunkt radikal verändert haben oder sonst außergewöhnlich waren und sind: Sei es, dass sie sich nach dem Fußball für ein völlig anderes Leben entschieden haben, schon während ihre Profizeit nicht dem gängigen Kickerklischee entsprachen oder aus unterschiedlichen Gründen ihr Potenzial nicht ausschöpften. Auf jeden Fall wollen wir über (Ex)-Fußballer reden, die es sich lohnt auf dem Radar zu haben oder diese (wieder) in den Fokus zu rücken. Wir analysieren die Umstände, stellen Fragen und regen zum Nachdenken an. In der siebzehnten Ausgabe sprechen wir über einen norwegischen Torhüter, der mit 25 Jahren einfach mit dem Profifußball aufgehört hat…
Espen Baardsen kann sich noch genau an den Moment erinnern, als es ihm klar wurde: Er war in einem Tesco-Markt in Sheffield unterwegs und plötzlich wusste er, dass er mit jenem Sport abschließen müsse, der von Kindesbeinen an sein Leben bestimmt hatte. Schon seit Wochen fühlte er, dass er nicht mehr glücklich war: „Ich lebte monatelang nur in Hotels und aus Koffern.“ Kurze Zeit später gaben Vertragsverhandlungen den Ausschlag für ihn seine Fußballschuhe ohne Wehmut an den Nagel zu hängen: „Ich hätte so viel wie ein U-Bahn-Fahrer verdienen sollen.“ Baardsen beendete seine Profikarriere, in der er sich intellektuell unterfordert fühlte und wollte zunächst nur eines: Die Welt sehen.
Kommt ein Wikinger über den großen Teich…
Dabei wurde der spätere Nationalspieler schon als eine Art Globetrotter geboren: Sein Leben begann nämlich in den USA, wo er als Sohn norwegischer Eltern am 7. Dezember 1977 zur Welt kam. Obwohl Fußball in den Vereinigten Staaten eher stiefmütterlich behandelt wird, entdeckte Espen rasch seine Leidenschaft für den europäischen Kultsport. Er spielte für verschiedene kalifornische Klubs, bis ihn die Tottenham Hotspurs auf einer USA-Reise als Torhüter der San Francisco United All Blacks 1995 entdeckten und unter Vertrag nahmen.
Als 19-jähriger feierte der Schlussmann sein Debüt für die Nordlondoner. Er bekam seine Chance und schien sie zu nutzen: Baardsen spielte solide und sollte bei der Reserve für die Einsergarnitur aufgebaut werden. Seine internationale Laufbahn war ebenfalls auf Kurs, denn obwohl er nie in Norwegen gelebt hatte, wurde der Doppelstaatsbürger in deren U-21-Team einberufen. Bei der folgenden Junioren-EM gewann er den Pokal als bester Torhüter. Nur wenige Wochen später feierte er sein Debüt für das A-Team, bereits zuvor war er als dritter Tormann im Kader bei der WM 1998 in Frankreich dabei gewesen, aber ohne Einsatz geblieben. Insgesamt sollte er in vier Spielen für die Nordeuropäer auflaufen.
Bei den Spurs wurde er in der Folgesaison von Anfang an eingesetzt, aber nach einem schweren Fehler, aus dem ein Gegentreffer resultierte vom damaligen Trainer George Graham auf die Bank verbannt. Sein Selbstvertrauen schien dahin zu sein, er brauchte einen Tapetenwechsel und ging 2000 zu Watford. In seiner ersten Spielzeit etablierte er sich dort zwar kurze Zeit als Stammgoalie, verlor seinen Fixplatz aber in den letzten Saisonspielen. Zu Beginn der nächsten Saison zeigte er erneut gute Leistungen, wurde aber dann wieder zum Bankdrücker. Eine Leihe zu Everton konnte das Ruder nicht herumreißen: Baardsen kam in Liverpool nur in einem Spiel zum Einsatz und musste vier Mal hinter sich greifen. Die Toffees verloren 4:3 und der Vertrag des Norwegers wurde im Februar 2003 aufgelöst. Er wollte sich schließlich Sheffield United anschließen und verhandelte mit Neil Warnock, der damals The Blades trainierte. Aber Baardsen spürte bereits, dass er dem Sport nicht mehr lange erhalten bleiben würde: „Ich wollte nicht Trainer werden und auch nicht bis ich 40 bin spielen und keine weiteren Zukunftspläne haben.“, erzählte er später. Trotzdem zeigte er sich stets dankbar für seine Zeit als Profi, denn er verdanke dieser nicht nur einen finanziellen Polster, sondern habe sich auch die notwendige Reife für sein „Erwachsenenleben“ geholt.
„Ich war jung und musste ein anderes Leben führen.“
Die meisten Kicker werden angehalten noch mehr zu tun, immer mehr zu wollen: Bessere Verträge, exklusivere Vereine, Titel, Prämien, Trophäen. Doch Baardsen tickte anders, für ihn war die Sache erledigt: „Wenn man in der Premier League und bei einer WM gespielt hat, hat man es gesehen und erledigt.“, resümierte er seine Laufbahn. Das Sportlerleben hätte ihn zu sehr eingeschränkt, er wollte etwas anderes tun. Schon als Profi hatte er in seiner Freizeit nach Geldanlagemöglichkeiten gesucht und begann sich für Ökonomie zu interessieren. Während seine Kollegen nach einer Trainingseinheit Playstation spielten, las Espen stattdessen Bücher über die Finanzwelt – wie Marc Fabers „Tomorrows Gold“.
Nachdem er den angebotenen Vertrag bei Sheffield nicht unterschrieben hatte, beendete er mit 25 Jahren seine siebenjährige Profikarriere und ging zunächst auf eine achtzehnmonatige Weltreise. Als er zurück nach London kam, begann er Wirtschaft an der Open University zu studieren. Nach seinem Abschluss arbeitete er in einer Vermögensverwaltungsagentur. Der Traum vieler Buben war letztendlich nur eine Episode seines Lebens, aber nicht sein Inhalt. Espen ließ eine britische Zeitung wissen: „Ich bin entspannter, fünf Kilo leichter, fitter und glücklicher als am Ende meiner Karriere.“ Zwar vermisse er es Spielen entgegenzufiebern oder das Gefühl ein Tor zu verhindern, insgesamt sei das Leben als Kicker aber nichts für ihn gewesen: „Fußball ist stressig. Es ist anstrengend vor 40 000 Menschen zu spielen, die wegen dir ihr ganzes Wochenende traurig oder glücklich sein werden. Ganz zu schweigen von den Personen, die dich im Fernsehen kritisieren.“ Sein jetziger Finanzjob bei dem er mit Beträgen, die fast eine Milliarde Dollar hoch sind, umgehen muss, bringe zwar auch genug Druck mit sich, passe aber besser zu ihm.
Baardsen lebte lange in London und ist mittlerweile in Südfrankreich beheimatet. Er ist ein gestandener Mann mit kurzem, blonden Haar; ein nordischer Hüne, der nicht wie ein typischer Fußballer aussieht. Als einzige Memorabilia aus seiner Zeit als Profi habe er seinen EM-Nachwuchspreis von 1998 behalten, sagt er. Darauf ist er stolz, doch nur Fußballer zu sein, das wäre Espen Baardsen auf Dauer zu wenig gewesen. Es ist eben nie zu spät etwas Neues zu beginnen.
Marie Samstag, abseits.at
Marie Samstag
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