Jeden Sonntag wollen wir in dieser Serie Spieler beleuchten, die ungewöhnliche Wege eingeschlagen haben. Wir möchten Geschichten von Sportlern erzählen, deren Karriere entweder im... Men to (re)watch (23) –  Maksim Molokoyedov (KW 23)

Jeden Sonntag wollen wir in dieser Serie Spieler beleuchten, die ungewöhnliche Wege eingeschlagen haben. Wir möchten Geschichten von Sportlern erzählen, deren Karriere entweder im Konjunktiv stecken blieb, die sich zu einem gegebenen Zeitpunkt radikal verändert haben oder sonst außergewöhnlich waren und sind: Sei es, dass sie sich nach dem Fußball für ein völlig anderes Leben entschieden haben, schon während ihre Profizeit nicht dem gängigen Kickerklischee entsprachen oder aus unterschiedlichen Gründen ihr Potenzial nicht ausschöpften. Auf jeden Fall wollen wir über (Ex)-Fußballer reden, die es sich lohnt auf dem Radar zu haben oder diese (wieder) in den Fokus zu rücken. Wir analysieren die Umstände, stellen Fragen und regen zum Nachdenken an. Die heutige Geschichte handelt von einem russischen Kicker, der als verurteilter Drogenschmuggler einen Profivertrag unterschrieb…

„Komm, lass uns zu mir nach Hause gehen.“, sagt Maksim Molokoyedov in weißer Trainingsjacke. Ein Herr sperrt daraufhin die Türe mit den Gitterstäben auf, die zu einem kleinen Hof führt, in dem Männer unterschiedlichen Alters Fußballspielen. Weiter geht es durch schmale Gänge in einen kleinen Raum: „Hier schlafe ich.“, sagt Molokoyedov und deutet auf das untere Stockbett. Maksim Molokoyedov ist wegen Drogenschmuggels zu drei Jahren Gefängnis in Chile verurteilt worden. Damals, 2012, führt er ein Kamerateam durch die Penitenciaria von Santiago, wo er seine Strafe absitzt, denn er ist kein gewöhnlicher Insasse und das nicht nur, weil Europäer hier selten anzutreffen sind. Nein, während seine Mitgefangenen nur in Ausnahmefällen Freigänger sind und zu Jobs hinausdürfen, verlässt Maksim fast jeden Tag den heruntergekommenen Bau um zu Fuß zum Trainingsgelände von Santiago Morning zu gehen: Der gebürtige Russe hat als Strafgefangener einen Fußballprofivertrag unterschrieben.

Schnee von gestern

Als die Handschellen bei einem Zwischenstopp des Fluges von Guayaquil nach Moskau am Flughafen von Santiago klicken, ist das alte Leben des Maksim Molokoyedov vorbei: Sechs Kilo Kokain wollte der Profifußballer in Kinderbüchern versteckt nach Europa schmuggeln. Im Prozess gibt er an, die Drogen von einem Ecuadorianer bekommen und diese auf Bitten seiner Freunde eingepackt zu haben. „Es war ein Fehler. Ich werde bestimmt nichts Illegales mehr machen.“, wird er später sagen. Molokoyedov wird zu einer Haftstrafe in der Höhe von drei Jahren und einem Tag verurteilt. Rummmmms: Der Offensivspieler hat seine Fußballkarriere eigenhändig gesprengt.

Geboren wurde Maksim Molokoyedov am Weihnachtstag 1987 als Sohn eines Polizisten und einer Lehrerin. Mit dem Kicken begann er beim renommierten FC Zenit St. Petersburg, schaffte jedoch den Sprung in die Kampfmannschaft des Kultvereins nicht. Obwohl er bereits seit seinem sechzehnten Lebensjahr als Profi arbeitete, gelang es ihm nicht sich dauerhaft in einer Mannschaft zu etablieren, weshalb er im Jahrestakt die Klubs wechselte. 2009 heuerte er beim damaligen Zweitligisten FK Pskov 747 an, mit denen der ersehnte Aufstieg jedoch nicht gelingen sollte. Plötzlich stand der Schulabbrecher ohne Vertrag da. Offensichtlich ließ er sich in dieser Zeit zu jenem Fehltritt hinreißen, der ihn über Nacht in eine heiße, vollgestopfte Zelle in Südamerika beamen sollte.

Ohne ein Wort Spanisch zu sprechen, muss sich der damals 22-jährige über Nacht mitten unter Berufskriminellen, Schwerverbrechern und Co. zurechtfinden. Die chilenischen Haftanstalten gelten als brutal: Schlägereien, Körperverletzungen und sogar Morde unter den Insassen stehen an der Tagesordnung. Der russische Sportler fürchtet um sein Leben: „Ich dachte: ‚Ich muss und werde kämpfen und wahrscheinlich werde ich sterben.“ Letztendlich kann er Auseinandersetzungen mit Mitgefangenen großteils aus dem Weg gehen, nachdem ihn sein Fußballtalent beim Kicken im Hof rasch bekannt macht. Plötzlich will ihn jeder in seiner Mannschaft haben. In der Dusche stecken ihm die Häfnbrüder Deo, Seife, Rasierer und Toilettenpapier als Bestechung zu. Maksim überzeugt mit seinen Profi-Skills, seinen Dribbelfähigkeiten und seinem rechten Fuß. Klarerweise gewinnt „seine“ Mannschaft die Gefängnismeisterschaft.

Nach fast zwei Jahren hinter Gittern bekommt der Knast-Starspieler die Chance seines Lebens: „Einmal kam der Cheftrainer der chilenischen Nationalmannschaft, Claudio Borhi, in unser Gefängnis. Er hat sich unsere Spiele angesehen, ist dann auf mich zugekommen und hat gesagt, dass ich großartig kicke und, dass ich auf professionellem Niveau spielen sollte.“ Daraufhin ist es Frank Lobos, chilenischer Ex-Fußballer und jetzt Aktivist, der den Kontakt mit Profivereinen herzustellen versucht. Er arrangiert für Maksim Molokoyedov ein Probetraining bei Santiago Morning, die in der Primera División B kicken. Der Ex-Zenit-Spieler ist aufgeregt, wie ein kleines Kind. Beim Vorspielen legt er sich in gelbem T-Shirt und schwarzer Hose so ins Zeug, dass er nachher reif für ein Sauerstoffzelt ist: Die Kondition nach über zwei Jahren ohne Match über 90 Minuten hat sich längst verabschiedet. Santiago Morning bietet ihm trotzdem einen sechsmonatigen Vertrag an und so schnuppert der gebürtige Russe jeden Tag – mit einem stämmigen Aufseher an seiner Seite – am Trainingsplatz nahe des Estadio Municipal de La Pintana Frischluft. Er ist überglücklich. Die Behörden sehen Molokoyedov als Musterbeispiel für eine werdende Re-Integration, die als Ergebnis hinter jeder verbüßten Strafe stehen sollte. Sogar der chilenische Justizminister lässt es sich nicht nehmen dem frischgebackenen Morning-Spieler medienwirksam ein Nationaltrikot mit seinem Namen zu überreichen.

„Er beweist, dass man Fehler machen kann, aber wenn das Leben dir noch eine Chance gibt, musst du sie ergreifen.“

Der nunmehrige Neo-Profi beginnt sich mit seiner Situation zu arrangieren: Er lernt mithilfe von Tageszeitungen Spanisch, verhält sich kollegial zu seinen Mitgefangenen und trainiert wie der Teufel. Sechs Stunden täglich lebt er wie ein normaler Fußballer, erst der Sicherheitscheck vor der Tür des Penitenciaria ist eine harte Kollision mit jener Unfreiheit, aus der der Russe aber das Beste zu machen scheint. In dunklen Stunden verlässt sich der Ex-U 17-Internationale auf seinen orthodoxen Glauben.

Am 26. September 2012 feiert Molokoyedov gegen Unión La Calera in der Copa Chile sein Debüt, im April 2013 schießt er als erster Europäer ein Tor in der zweiten chilenischen Liga. Er gilt nicht nur wegen seines ungewöhnliche (temporären) Lebensstils, sondern auch wegen seiner – für chilenische Verhältnisse – überdurchschnittlichen Fußballfähigkeiten als Liebling der Fans. Für seinen damaligen Trainer Hernan Ibarra spielt er wie Luis Figo: ein schneller Flügel mit toller Ballkontrolle.

Molokoyedov integriert sich gut ins Team und beschließt sogar seine Strafe vollabzusitzen, als ihm ein Amnestiegesetz die Möglichkeit bietet (mit zehnjährigem Aufenthaltsverbot in Chile) in seine Heimat zurückzukehren. Damals sagt er: „Mein Leben ist jetzt hier und ich möchte es gut führen.“ Im Februar 2013 hat der Ex-Zenit-Spieler schließlich seine Haftstrafe verbüßt und bekommt eine Aufenthaltsgenehmigung, um weiter für Santiago Morning zu kicken.

Hat er sein Glück in Lateinamerika gefunden? Das entspannte Kicken neben weidenden Kühen, die Lokalberühmtheit als gefallener Profi aus Europa, die Möglichkeit jetzt ein neues Leben aufzubauen scheinen schöne Aussichten für Molokoyedov zu sein. Doch im Sommer desselben Jahres bittet der Angreifer um Sonderurlaub: 40 Tage möchte er in Russland verbringen um seine Eltern, seinen kleinen Bruder und andere Verwandte und Bekannte nach Jahren wiederzusehen. Zum vereinbarten Rückkehrzeitpunkt fährt Kapitän Luis Fáundez zum Flughafen, der seinem Kollegen einst zum Verhängnis wurde, um diesen abzuholen. Er wartet dort allerdings vergeblich auf die Ankunft seines Mitspielers.

Ein Jahr später erklärt Molokoyedov medienwirksam, er bleibe in Russland: „Nächstes Jahr werde ich die Liebe meines Lebens heiraten. Das Mädchen, das auf mich gewartet hat, während ich eingesperrt war.“ Es ist bekannt, dass er noch ein Spiel für einen Regionalklub absolviert. In seinem letzten Interview 2017 berichtet er jedoch, er arbeite jetzt für eine russische Abwasserfirma und kicke nur mehr zum Spaß: „Fußball in Russland ist schwierig, weil es so viel Korruption gibt.“ Seitdem ist Maksim Molokoyedov aus der Öffentlichkeit verschwunden, seine Zeit als Profi ist vorbei.

Da Molokoyedovs Laufbahn schon vor seinem Abbiegen in das kriminelle Milieu nicht gerade stabil war, kann man wohl nicht davon sprechen, dass der Russe eine erfolgreiche Profikarriere in den Sand gesetzt hat, die er kurzfristig wiederbeleben konnte. Das Schöne an seiner Geschichte ist allerdings, dass ihm sein Engagement bei einem Fußballverein offensichtlich half, in der Gesellschaft wieder Fuß zu fassen: Fußball ist manchmal doch mehr als ein Beruf.

Marie Samstag, abseits.at

Marie Samstag