Jeden Sonntag wollen wir in dieser neuen Serie Spieler beleuchten, die ungewöhnliche Wege eingeschlagen haben. Wir möchten Geschichten von Sportlern erzählen, deren Karriere entweder... Men to (re)watch (6) –  Nicolas Basin (KW 6)

Jeden Sonntag wollen wir in dieser neuen Serie Spieler beleuchten, die ungewöhnliche Wege eingeschlagen haben. Wir möchten Geschichten von Sportlern erzählen, deren Karriere entweder im Konjunktiv stecken blieb, die sich zu einem gegebenen Zeitpunkt radikal verändert haben oder sonst außergewöhnlich waren und sind: Sei es, dass sie sich nach dem Fußball für ein völlig anderes Leben entschieden haben, schon während ihre Profizeit nicht dem gängigen Kickerklischee entsprachen oder aus unterschiedlichen Gründen ihr Potenzial nicht ausschöpften. Auf jeden Fall wollen wir über (Ex)-Fußballer reden, die es sich lohnt auf dem Radar zu haben oder diese (wieder) in den Fokus zu rücken. Wir analysieren die Umstände, stellen Fragen und regen zum Nachdenken an. In Teil Nr. 6 erzählen wir die Geschichte von Nicolas Basin, der seinen Profi-Vertrag zugunsten eines Medizinstudiums auflöste …

Man möchte zunächst nicht glauben, dass Nicolas Basin einmal Fußballer war: Der junge Mann mit den kräftigen, dunkelblonden Locken und der runden Brille unterscheidet sich nicht groß von anderen Studenten der Universität Nancy. Doch der junge Franzose hat einen außergewöhnlichen Werdegang, der ihn von den meisten seiner Kommilitonen unterscheidet, hinter sich. Eigentlich sollte er beim FC Metz in der Ligue 1 gegen Paris St. Germain, Rennes oder Monaco spielen, tatsächlich erregte er im Juni 2019 weltweit Aufmerksamkeit, als er seinen Profivertrag nach nicht einmal eineinhalb Jahren einvernehmlich beendete und an der Universität inskribierte.

Metz. Meniskus. Medizin.

16. Dezember 2017, Stade de la Mosson, Montpellier: „Ich habe gesehen, wie Moussa losläuft und bin auch losgesprintet. Er hat mir den Ball dann zugespielt und ich habe geschossen.“, erzählt Nicolas mit Fußballer-Kurzfrisur grinsend dem Reporter. „Es macht Spaß so zu gewinnen. Für mich persönlich war es eine Revanche: Gegen Marseille habe ich nicht gut gespielt. Jetzt war es schön diesen Moment mit meinen Eltern und meinem Bruder zu teilen. Sie sind in schwierigen Momenten immer für mich da.“, erklärt der damals 19-jährige. Sein Tor in der 94. Minute beim 3:1-Auswärtssieg über Montpellier ist eine schöne Erfahrung für den jungen Verteidiger. Fragt man Nicolas aber, welcher der schönste Tag seines Lebens war, berichtet er von jenem Moment, als er die Zulassung fürs Medizinstudium erhalten hat. Davon ist im Dezember 2017 aber noch nicht die Rede. An diesem Winterabend vor vier Jahren denkt der Spieler mit der Rückennummer 33 das seine Zukunft im Profifußball liegt. Er sollte sich täuschen.

Geboren wird Nicolas Basin am 22. Juli 1998 in Behren-lès-Forbach unweit der Grenze zu Deutschland. Sanfte Hügel, grüne Wälder, Steinhäuser, Flammkuchen an jeder Ecke – das Departement Moselle ist eine beschauliche Gegend mit guten Fußballvereinen. Nicolas startet seine sportliche Laufbahn in seinem Heimatort, ehe er in die nächstgrößere Stadt, zum US Forbach, wechselt. Die Union Sportive spielte Ende der 50er-, Anfang der 60er-Jahre sogar in der zweiten französischen Liga. Basins Talent macht ihn rasch bekannt, sodass er mit nur elf Jahren in die Akademie des FC Metz kommt. Metz, bei dem Franck Ribéry seinen Durchbruch schaffte, gilt als Top-Ausbildungsverein in Frankreich. Nicolas und seine Familie träumen den Traum vom Profifußball und dies scheint naheliegend, denn schon als Halbwüchsiger wird der 1,81 Meter große Spieler von Wolfsburg oder Arsenal umworben, entscheidet sich aber in seiner Heimat zu bleiben.

Basin debütiert siebzehnjährig in der Reservemannschaft von Metz, ehe er erstmals wegen einer Knieverletzung ausfällt. Der Meniskus wird seine Schwachstelle. Bald muss er operiert werden, ist aber noch zu jung, um deswegen seinen Enthusiasmus zu verlieren. Selbst als ihm der Arzt sagt, dass sein Meniskus nicht mehr zu retten sei und er möglicherweise chronische Knieprobleme bekommen werde, denkt der Nachwuchskicker noch nicht ans Aufhören. Auch sein Klub glaubt weiter an ihn.

Am 13. August 2016 läuft der Linksverteidiger erstmals für die Profimannschaft seines Ausbildungsvereins auf. Mehrere Wochen nach seinem Tor gegen Montpellier bietet ihm der FC Metz einen Profivertrag an. Familie Basin ist begeistert. Nicolas sagt: „Ich habe während meiner Zeit in der Akademie viele Spieler getroffen. Manche waren talentierter, manche waren weniger talentiert als ich, doch ich habe immer an mir gearbeitet und am Ende war ich es, der den Vertrag bekommen hat.“ Mutter Isabelle ergänzt stolz: „Ich habe es noch nicht realisiert. Ich weiß, dass es nur der Anfang ist. Nicolas wird weiter hart an sich arbeiten, das ist eine seiner Stärken.“ Der Defensivspieler unterschreibt für drei Jahre, bis 2021.

Doch es ist nicht der Anfang einer großen Karriere, sondern der erste und letzte Profivertrag des Verteidigers. Während der Vorbereitung auf die Saison 2018/19 scheint alles auf einen Stammplatz an der linken Außenbahn für den Jungspund hinauszulaufen, doch schließlich wird er erfahrenere Thomas Delaine vom Paris FC verpflichtet. Hals über Kopf entscheidet sich Basin für eine Leihe und kommt zu US Avranches in die Normandie. Der erhoffte Neustart bei jenem Verein bei dem auch sein bester Freund Youssef Maziz, der aktuell in Belgien spielt, kickt, wird ein Rohrkrepierer. Unter großer Belastung kommen die Knieprobleme wieder und aus diesem Grund bestreitet der Defensivspieler in der dritthöchsten französischen Spielklasse nur vier Matches. Nach einer erneuten Operation muss er die restliche Spielzeit aussetzen.

„Heute spiele ich nur mehr mit meinen Kumpels.“

Als Nicolas nach Ende der Leihe zurück zu seinem Stammklub kommt, raten ihm Ärzte seine Fußballschuhe an den Nagel zu hängen. Der FC Metz will seinen – einst von Leipzig umworbenen – Jungstar jedoch noch immer nicht aufgeben, doch in Nicolas reift der Entschluss seine ambitionierten Sportlerträume zu begraben. Immerhin hat er einen Plan B: „Schon als Kind war ich von Medizin begeistert, jetzt habe ich viel Zeit in Krankenhäusern verbracht und das Ambiente im Operationstrakt zu schätzen gelernt. Chirurgie interessiert mich besonders.“ Er hat keine Lust sich zu quälen, spürt das sein Knie nicht halten wird.

Das neue berufliche Ziel des Ex-Profis ist nicht weniger hochgegriffen als das alte: Medizin in Frankreich zu studieren ist hart, sein baccalauréat (die französische Matura) liegt bereits drei Jahre zurück, am Ende des ersten Jahres werden bis zu 90% der Studenten durch Siebungsprüfungen hinausgekickt. Statt Training büffelt Nicolas nun fleißig chemische Grundlagen, Mathematik und Biologiewissen. Als Sportler weiß er, wie es ist auf etwas hinzuarbeiten und wie wichtig Rat von Erfahrenen ist. Er holt sich gute Betreuung und schafft es.

Nicolas Basin, 23 Jahre, ist heute Medizinstudent: Hörsaal statt Umkleidekabine, Klinikpraktikum statt Auswärtsspiel, Mensa statt Kantine. Der ehemalige Metz-Kicker sieht es positiv jetzt neue Facetten des Lebens kennen zu lernen, die ihm als Sportler nur selten vergönnt waren: Ausschlafen, Bier trinken, undiszipliniert sein. Fußball spielt er nur mehr aus Spaß. Nicolas kickt für die Uni-Mannschaft in der vierten Bezirksliga. Fast jeden Sonntag schießt er Tor um Tor, auch deshalb sind sie froh ihn zu haben.

Basins sportliche Biografie hat ein Happy End: Der Franzose ist mit einer üppigen Portion Selbsteinschätzung und -respekt gesegnet. Er wollte seinen Körper nicht für zwei, drei oder maximal vier Profijahre schinden, um dann den Rest seines Lebens zu humpeln und wusste auch, dass er den Absprung für eine berufliche Neuorientierung rechtzeitig schaffen muss. Es ist ihm gelungen und – nach eigenen Aussagen – freut er sich über das Kittel- und Stethoskop-tragen ebenso viel wie über drei Punkte. Vielleicht sogar noch mehr. Bonne chance, Nicolas!

Marie Samstag