Nach langer Corona-Pause: Brasilien wieder als Südamerikas Aushängeschild?
Weitere Länder 10.April.2021 Stefan Karger
Die Copa America wurde aufgrund der Corona-Krise um ein Jahr verschoben und wird nun zwischen dem 11. Juni 2021 und dem 11. Juli 2021 nachgetragen. Wir wollen uns in diesem Artikel dem großen Favoriten Brasilien widmen. Die Mannschaft von Trainer Tite bestritt nur vier Spiele im Kalenderjahr 2020, die allesamt gewonnen wurden. Was zeichnet den fünffachen Weltmeister und neunfachen Copa-America-Gewinner zurzeit aus?
Adenor Leonardo Bacchi, besser bekannt unter dem Namen Tite, übernahm im Juni 2016 die Seleção und musste sich bei der Weltmeisterschaft 2018 den Belgiern im Viertelfinale mit 1:2 geschlagen geben. Dies markierte die einzige Niederlage der brasilianischen Auswahl in diesem Kalenderjahr, ansonsten fuhr die Mannschaft 13 Siege ein und spielte einmal Unentschieden. Auch im Jahr darauf fiel die Bilanz mit acht Siegen, sechs Unentschieden und zwei Niederlagen eher positiv aus. Vergangenes Kalenderjahr absolvierte die brasilianische Nationalmannschaft aufgrund der Corona-Krise bloß vier Länderspiele, die allesamt mit dem Sieg des Favoriten endeten. Anhand der Spielverläufe der Overlyzer-Grafiken kann man gut erkennen, dass die Seleção die Partien gegen Bolivien und Venezuela klar dominierte, während die Begegnungen gegen Peru und Uruguay recht ausgeglichen waren. Wir wollen uns diese vier WM-Qualifikationsspiele nun im Detail ansehen, da sie uns auch Aufschlüsse auf die bevorstehenden Aufgaben des brasilianischen Nationalteams liefern.
Brasilien deklassiert Bolivien mit 5:0
B rasiliens Nationaltrainer Tite startete gegen Boliviens defensiv ausgelegtes 4-5-1-System mit einer 4-2-3-1-Formation, die sich bei Ballbesitz in eine 2-3-2-3-Formation umwandelte. Linksverteidger Renan Lodi schob extrem weit nach vorne und agierte über weite Strecken als Flügelstürmer, der seiner Mannschaft im Angriffsspiel viel Breite verschaffte. Superstar Neymar rückte aufgrund von Lodis Offensivdrang ins Zentrum, wo er gemeinsam mit Coutinho für ein äußerst fluides Mittelfeld sorgte. Die Brasilianer ließen den Ball hervorragend in ihren Reihen laufen, bildeten immer wieder Dreiecke und ließen die gegnerischen Spieler ins Leere laufen. Lodis Offensivdrang zahlte sich aus, denn während über den rechten Flügel insgesamt zwölf Angriffe mit einem Expected-Goal-Wert von 0.53 vorgetragen wurden, attackierten die Brasilianer stolze 29 Mal über den linken Flügel bei einem Expected-Goal-Wert von 2.58. Eine wichtige Erkenntnis aus diesem Spiel war, dass Neymar und Coutinho zumindest gegen schwächere Gegner hervorragend im Mittelfeld harmonieren.
Späte Tore fixieren Sieg über Peru
Die einzigen Gegentore kassierte Brasilien im Kalenderjahr 2020 beim 4:2-Auswärtssieg gegen Peru. Peru schickte eine 4-1-4-1-Formation ins Rennen, die gegen den Ball in einem 4-4-2 agierte und auf eine große defensive Kompaktheit setzte. Brasilien setzte auf ein 4-1-2-3-System, bei dem Linksverteidiger Lodi abermals eine Schlüsselrolle ausübte und wie gegen Bolivien eine extrem hohe Spielposition einnahm. Zur Absicherung kippte beim Spielaufbau Mittelfeldspieler Douglas Luiz auf die linke Abwehrseite und ermöglichte damit die weiten Ausflüge des nominellen Linksverteidigers. Brasilien kam in der ersten Hälfte auf einen Ballbesitz von 68 Prozent und versuchte immer wieder die individuell starken Offensivspieler in aussichtsreiche Eins-gegen-Eins-Situationen zu bringen. Da dies gut funktionierte nahm Perus Trainer Ricardo Gareca im Laufe des Spiels sehr gute taktische Anpassungen vor, die dem Gegner den Spielaufbau massiv erschwerten. Seine Mannschaft verteidigte nun in einem 5-4-1-System gegen den Ball und Brasilien fand weniger Spielsituationen vor, bei denen die Angreifer ihre Dribbelstärke ausspielen konnten. Auf diese Weise gelang es Peru die Partie bis in die Schlussphase offenzuhalten, doch Brasiliens Superstar Neymar sollte mit zwei Toren in der Schlussphase den Unterschied ausmachen. Der Paris-Saint-Germain-Legionär erzielte insgesamt drei Tore in diesem Spiel und zog damit in der ewigen Torschützenliste im brasilianischen Nationalteam an Ronaldo vorbei auf Platz 2. Nur der legendäre Pele erzielte mehr Tore für die Seleção.
Ersatzgeschwächt gegen Venezuela
B eim 1:0-Sieg gegen Venezuela musste Brasilien-Coach Tite neben seinem Superstar Neymar mit Casemiro und Coutinho zwei weitere absolute Schlüsselspieler vorgeben, sodass Gabriel Jesus, Éverton Ribeiro und Allan in die Startaufstellung rutschten. Venezuela-Trainer José Peseiro setzte auf eine 4-5-1-Formation mit einem äußerst kompakten Mittelfeld, das sich im Spiel gegen den Ball nur wenige Meter vor die eigene Vierer-Abwehrkette zurückfallen ließ. Venezuela überließ dem Gegner den Ball, zog sich weit in die eigene Hälfte zurück und kam insgesamt nur auf einen Ballbesitzwert von 27 Prozent. Im gesamten Spiel gaben die Gäste nur einen einzigen Schuss auf das gegnerische Tor ab. So wie im Spiel gegen Bolivien setzte Tite auf eine 2-3-2-3-Formation bei eigenem Ballbesitz und Linksverteidiger Lodi nahm wieder die Rolle des Flügelstürmers ein. Brasilien trug zwar 20 Angriffe über die linke Seite vor, doch Venezuela verstand es hervorragend die wichtigen Räume zu schließen und gefährliche Pässe zu unterbinden. Dies führte dazu, dass Lodi nicht ein einziger Schlüsselpass in der gesamten Partie gelang. Lodi fand im gegnerischen Strafraum keine Abnehmer und spielte die meisten seiner Pässe zu Innenverteidiger Thiago Silva zurück. Man spürte zudem deutlich, wie die Mannschaft Neymars und Coutinhos Kreativität und Dynamik im Mittelfeld vermisste. Den einzigen Treffer der Partie steuerte Firmino in der 66. Minute bei, sodass die Seleção immerhin drei wichtige Punkte aus dieser Partie mitnahm.
Glanzloser Erfolg über Uruguay
V ier Tage nach dem mühsamen 1:0-Sieg gegen Venezuela stand für die brasilianische Nationalmannschaft das Auswärtsspiel gegen Uruguay auf dem Programm, bei dem Tite abermals Neymar, Coutinho und Casemiro vorgeben musste. Der Trainer musste zudem kurzfristig den Ausfall des verletzten Allan kompensieren und setzte in der Mittelfeldzentrale auf Douglas Luiz und Arthur, die in diesem Spiel hervorragend harmonierten. Arthur kontrollierte das Spieltempo während Douglas Luiz etwas offensiver als in den vergangenen Partien ausgerichtet war, da Linksverteidiger Lodi dieses Mal weitaus defensiver agierte. Tite erkannte nämlich, dass die Sturmläufe des Atletico-Verteidigers gegen Venezuela zu leicht auszurechnen waren und setzte gegen den starken Gegner auf eine größere Kompaktheit. In gewisser Weise agierte die Mannschaft in dieser Partie weit pragmatischer als zuvor. Auf die defensive Absicherung wurde viel Wert gelegt und Uruguay brachte den Favoriten über die gesamte Partie kaum in Bedrängnis. Angesichts der zahlreichen Ausfälle kann man von einer reifen Leistung der Seleção sprechen, die ohne groß zu glänzen einen sicheren Sieg einfuhr.
Wenn Neymar und Coutinho für die bevorstehenden Länderspielen in die Startaufstellungen zurückkehren, wird auch wieder ein Hauch von Extravaganz zu bewundern sein. Die weiße Weste im Jahr 2020 beweist aber, dass das brasilianische Nationalteam auch Ausfälle von wichtigen Schlüsselspielern kompensieren kann.
Stefan Karger
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