Viele afrikanische Fußballländer erlebten in den letzten Jahren einen großen Aufschwung. Für eine der größten Sensationen der jüngeren Vergangenheit sorgte etwa die sambische Nationalmannschaft, die 2012 völlig überraschend den Afrika Cup für sich entschied. Ein Nachbarland Sambias ist Malawi – wo der Fußball noch immer in den Kinderschuhen steckt, obwohl es nicht an der Begeisterungsfähigkeit der Bevölkerung scheitert.
Fährt man vom Kamuzu Airport nahe der malawischen Hauptstadt Lilongwe auf ebendiese zu, sieht man anfänglich nur weite afrikanische Landschaft. Hinter einem Hügel eröffnet sich dann der Blick auf die enorm weitläufige, mit insgesamt 674.000 Einwohnern aber kleine Stadt. Ein ansehnliches, historisches Stadtzentrum gibt es in der jungen Stadt nicht – auffällig ist hingegen das 41.100 Zuschauer fassende Bingu National Stadium, das nach dem früheren, mittlerweile verstorbenen Präsidenten Bingu wa Mutharika benannt ist.
Stadion? Nicht für alle…
Irgendwie passt das große, 2017 eröffnete Oval so gar nicht ins Stadtbild. Ein bisschen Glamour muss aber natürlich in einem armen Land wie Malawi sein. Symbolisch, dass das neue Stadion von Bingus Bruder, Peter Mutharika, aktueller Präsident Malawis, eröffnet wurde. Für die meisten Malawier bleibt der Besuch eines Länderspiels allerdings ein Wunschtraum.
Ein Schein auf die Hand…
Für die Ärmsten der Armen sind die Reisekosten in die Hauptstadt in der Zentralregion des kleinen, stark von Norden nach Süden gezogenen Landes, zu hoch. Auch das Eintrittsgeld ist nicht für jedermann einfach zu berappen. Eine Mittelschicht gibt es nicht, eine kleine Oberschicht steht einer großen Unterschicht gegenüber. Ein Nachtwächter bekommt für eine 12-Stunden-Schicht etwa einen US-Dollar, einem Barkeeper geht es abgesehen von den spärlichen Trinkgeldern nicht viel besser. Der Fix-Lohn pro Tag beträgt für diese Berufsgruppe etwa einen Euro. Dies bestätigten uns etwa der sehr sympathische Nachtwächter William und der Barkeeper unseres Vertrauens, Lamieck.
Glücklich, aber nicht zufrieden
Geld ist allgegenwärtig, das extrem niedrige Salär der Durchschnittsbevölkerung wird als größtes Problem des Landes bewertet. Die Malawier sind im Allgemeinen glückliche Menschen. Glücklich in ihren klar strukturierten Familienverbänden, in denen die Frau einen sehr hohen Stellenwert genießt. Glücklich auch mit ihren einfachen Häuschen, ihren Dorfgemeinschaften oder ihrer Freizeitgestaltung rund um den gewaltigen Malawisee, den neuntgrößten See der Erde, der eine wichtige Lebensgrundlage für mehrere Millionen Menschen bietet. Glücklich – aber nicht zufrieden.
Wenn Kicken den Gedanken ans Geld ablöst
Geld ist ein ständig präsentes Thema, aber nie aufdringlich. Die freundlichen Malawier diskutieren gerne über die konkreten Probleme, legen offen, was ihnen fehlt, fragen aber nicht konkret nach Hilfe. Ein ganz anderes Thema, nämlich eines, bei dem die Probleme des Alltags gerne vergessen werden, ist der Fußball. Schon in der Hauptstadt Lilongwe fällt uns auf, dass an der Hotel-Bar die Live-Übertragung eines Premier-League-Spiels läuft. Die Kicks der alten Kolonialmacht werden stark verfolgt. Den Weg in die Top-Liga schafften Malawier nicht einmal annähernd.
Ein Land voller Fußball-No-Names
Die bekanntesten malawischen Kicker spielten in der deutschen Regionalliga, wie etwa Osnabrück- und Ahlen-Stürmer Daniel Chitsulo, bei schwedischen Mittelständlern, wie etwa Russel Mwafulirwa oder bei kleineren russischen Klubs, wie zum Beispiel Rostov-Angreifer Essau Kanyenda. Während Nachbarländer wie Sambia, aber auch ähnlich oder noch ärmere afrikanische Länder wie Mali oder Guinea Top-Spieler am laufenden Band produzieren und nach Europa exportieren, bleiben Premier League, Bundesliga und Co. für malawische Kids nahezu unerreichbar.
Spartanisch
Wir verlassen Lilongwe und fahren in Richtung Malawisee. Über Dedza geht es nach Mtakataka und Chipoka. Am Weg ist unübersehbar, wieso das Kicken für so viele Malawier nur eine „Gaudi“ und kein „Serious Business“ ist: Auf kleineren Dorfplätzen, aber auch in Ortschaften, die schon den Terminus Stadt verdienen, sehen wir immer wieder intensive Fußballpartien. Einen Naturrasenplatz, einheitliche Trikots oder befestigte Tore sehen wir aber nie. Die Tore sind notdürftig aus dünnen Holzstecken gefertigt, bei Spielen von Kindern ist der Ball nicht selten aus Plastik gefertigt. Gefundene Plastikflaschen werden im – insgesamt sehr sauberen Malawi – zusammengesammelt und zu einem klassischen „Fetznlaberl“ geformt.
Keine bestehende Infrastruktur
Mit unserem Fahrer Joe sprechen wir über die sportliche Situation im Land. An der Leidenschaft würde es nicht fehlen, meint der witzige, leicht untersetzte Taxler. Aber es gibt keine Akademien in Malawi. Einige kleine Klubs, zumeist aus den größeren Städten Lilongwe, Blantyre und Zomba rittern um die sportlich wertlose Meisterschaft. Einige der Klubs spielen auf Roter Erde, können sich speziell in der heißen Trockenzeit die Wartung eines Naturrasens nicht leisten. Obwohl Malawi als politisch stabil und friedlich gilt, lassen sich hier keine europäischen Vereine nieder, um Satellitenakademien aufzubauen. In Afrikas Süden verlagert man sich aufgrund der größeren Bevölkerungsdichte eher auf Sambia oder das ohnehin durchorganisierte Südafrika.
Das lukrative – und schwierige – Olympia-Trial
Später, im Küstenort Cape MacLear, lernen wir den Bootsmann Trinity kennen. Der gut 190cm große Einheimische ist 24 Jahre alt, extrem athletisch gebaut und gibt an, 2,5 Kilometer in knapp 30 Minuten schwimmen zu können. Vom Kicken versteht er aber noch weniger, als von Entfernungen. Dennoch zieht er einen für uns sehr interessanten Vergleich aus seiner Lieblingssportart. Alle paar Jahre treffen einander in Cape MacLear malawische Athleten, um für die Olympischen Spiele vorstellig zu werden. Am Strand wird gelaufen, im See von Insel zu Insel geschwommen. Die besten jungen Männer und Frauen bekommen einen Platz im Trainingslager der nationalen Verbände und haben die Chance zu Olympia zu fahren. Eine Medaille hat Malawi beim größten übergreifenden Sportereignis der Welt noch nicht gewonnen.
Andere afrikanische Länder als Sprungbretter
Trinity erklärt uns, dass viele junge Männer lange darauf sparen, die Tryouts in Cape MacLear mitzumachen. Viele kommen aus den noch ärmeren, nördlichen Regionen und verdienen deutlich unter 100 US-Dollar monatlich. Die Fahrt in den Süden kann aber schon mal 3 bis 5 Dollar kosten, auch die Verpflegung ist nicht immer kostenlos. Somit scheitern bereits einige Talente an der Machbarkeit der Reise. Der interessante Unterschied zum Fußball: Sichtungstrainings wie diese gibt es in Malawi nicht. Die Frage nach einer Reise nach Lilongwe oder Blantyre stellt sich für die Talente des Landes gar nicht, weil sie nicht im Fokus größerer Klubs stehen. Wenn ein Malawier doch den Sprung nach Europa schafft, was extrem selten vorkommt, dann zumeist über ein anderes afrikanisches Land.
Nur etwas für Pioniere
Obwohl hier jeder kickt, setzt sich kein europäischer Klub auf das kleine, fußballbegeisterte und unberührte Land. Taxler Joe erklärt uns wieso: Die fußballerische Infrastruktur ist dermaßen unterentwickelt, dass interessierte Geldgeber tatsächlich bei Null beginnen müssten. Es fängt bei vernünftigen, bespielbaren Plätzen an, geht weiter bei importierten Lederfußbällen, endet bei der Möglichkeit eine Bildungsoption an die Karriere potentieller Fußballer anzuheften. Während Chelsea und Co., aber auch Red Bull, in anderen Ländern bereits bestehende Strukturen vorfanden, muss man in Malawi Pionierarbeit leisten, für die im schnelllebigen, modernen Fußballgeschäft niemand Zeit hat.
Auf Anhieb ein ganzer Haufen Helfer
Arbeitsplätze würde dies jedoch massig schaffen. Womit sich der Kreis zum Geld schließt. Spaßhalber sage ich Joe, dass ich ja vielleicht eine Akademie eröffnen werde, wenn ich das nächste Mal nach Malawi kommen würde. In der Sekunde bot er sich und ungefähr zehn befreundete Fußballfans als „Statthalter für eh alles“ an. Das malawische Volk lechzt nach einer derartigen Chance, weiß aber selbst, dass die sozialen Probleme im Land zu massiv sind, um von Fußball als Arbeit zu träumen.
Sammeln für die Auswärtspartie
Bei einem Spaziergang durch Cape MacLear treffen wir am Stand „Planet“, einen kleinen Jungen, der von Touristen Geld für das „Cape MacLear Football Team“ einsammelt. Es ginge um die Reisespesen für das bevorstehende Auswärtsspiel in der Provinzhauptstadt Mangochi. Am Freitag soll’s steigen, aber Mangochi ist mit dem Bus gut 1,5 Stunden entfernt. Die Anforderungen schrieb er in Schönschrift auf einen Schmierzettel. Unten konnten sich die edlen Spender verewigen und aufschreiben, wie viel sie für das wichtige Auswärtsspiel spendeten. Ich hatte gerade kein Geld bei mir, sagte aber, dass ich etwas spenden würde, wenn wir uns wieder sehen.
Die vielen Teams von Cape MacLear
Am nächsten Tag die gleiche Szene – allerdings mit einem anderen Jungen. Während Planet mit einem verkehrt angezogenen, ausgefransten Oranje-Dress mit Nummer 9 und „Van Persie“ am Buckel keilen ging, war Omar mit einem Real Madrid Dress von Luka Modric unterwegs. Beim zweiten Nachwuchskassier hatte ich Geld bei mir und sponserte etwa 3.000 Kwacha, knapp 3,50 Euro für ihre Auswärtsfahrt nach Mangochi. Als ich später wieder Planet begegnete war dieser ziemlich konsterniert, als er hörte, dass ich das Geld jemand anderem gab. Dieser ginge nicht für dasselbe Fußballteam keilen, es gäbe viele verschiedene Mannschaften hier…
…das geht sich mit dem Datum nicht aus…
Die ganze Sache ging so weit, dass ich insgesamt zweimal für Auswärtspartien bezahlte und ein kleines Trinkgeld für das Gesundnähen eines Balles ausgab. Am Ende saß ein komplettes dieser Nachwuchsfußballteams bei mir im Garten und wollte immer mehr. Ein gemeinsames Kickerl am nahegelegenen Strand, bei dem sie alle ihre spielerischen Fähigkeiten zeigen konnten, ließ den Ruf nach noch mehr Geld ein wenig verstummen. Als sie aber auch nach dem veranschlagten Termin des Mangochi-Auswärtsspiels zu mir kamen und Spenden für die Fahrt einsammelten, wurden sie schlussendlich ziemlich ruhig, als ich ihnen aktuelles Datum und Uhrzeit nannte.
Off-Time für die Beach Boys
Das Mangochi-Match war ein Hoax. Womöglich, um sich am Ende des Tages einfach einen guten neuen Fußball leisten zu können. Kreativität ist im Küstenort Cape MacLear aber immer gefragt, wenn man an Geld kommen will. Frag‘ nach bei den zahlreichen Beach Boys, die Kunsthandwerk verkaufen und dafür manchmal über eine Stunde über den Preis verhandeln – was mir zu ihrem Leidwesen sehr gefällt. Nach Beendigung der „Hauptgeschäftszeit“ am Strand, sieht man auch die erwachsenen Beach Boys gemeinsam in den Canchas hinter dem Ortskern, wo sie vor malerischer Kulisse – und oft mit nur einem Fußballschuh – den Ball hin und herjagen. Sei es als Match, oder auch nur als Passkreisel oder „Hösche“.
Identifikation mit dem runden Leder
Die Energie, die die vielleicht 10- oder 12-jährigen Jungs wie Planet oder Omar für ihr Spielgerät aufwenden ist allerdings ziemlich beeindruckend. Könnte man solchen Jungs die Sicherheit geben, eine Kombination aus Sport und Bildung erleben zu können, wäre die Identifikation mit dem runden Leder wohl grenzenlos. So muss man immer noch befürchten, dass mehr als die Hälfte des „Mangochi-Geldes“ an die Eltern der Jungs geht. Die große Ironie an der Geschichte: Mangochi ist die Stadt mit dem nächsten Bankomaten, auf dem auch internationale Karten funktionieren…
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Daniel Mandl Chefredakteur
Gründer von abseits.at und austriansoccerboard.at | Geboren 1984 in Wien | Liebt Fußball seit dem Kindesalter, lernte schon als "Gschropp" sämtliche Kicker und ihre Statistiken auswendig | Steht auf ausgefallene Reisen und lernt in seiner Freizeit neue Sprachen
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