Spielabbrüche und Gewalt – Die Primera División de Paraguay droht im Chaos zu versinken
Weitere Länder 18.Dezember.2011 Stefan Karger 0
Ende März landete der erst 16-jährige Fußballfan Gabriel Franco im Krankenhaus, nachdem ihm gegnerische Fans im Rahmen eines Ligaspiels zwischen Cerro Porteño und Olimpia eine Kugel in den Kopf schossen. Gabriel bekam noch während seines Spitalaufenthalts Spenden von verschiedenen Fangruppierungen aus dem ganzen Land und wurde zum Symbol für die Fußballfans, die die Gewalt aus den Stadien verbannen wollten. Ein halbes Jahr später scheinen alle guten Vorsätze vergessen zu sein.
Vor fast genau acht Monaten wurde Olimpia-Fan Gabriel Franco aus dem Krankenhaus entlassen. Der 16-jährige befand sich nach dem Spitzenspiel zwischen Cerro Porteño und Olimpia auf dem Heimweg, als er von einem Fan der Heimmannschaft aus kurzer Entfernung eine Kugel in den Kopf geschossen bekam. Der Schütze schoss von einem fahrenden Moped aus auf den vorbeigehenden Jungen. Diesem Attentat ging keine Provokation voraus, der Schütze suchte sich Gabriel willkürlich aus – es hätte jeden anderen Auswärtsfan treffen können. Gabriel verbrachte drei Wochen im Spital und seine Ärzte sprachen von einem Osterwunder, denn der Junge befand sich in Lebensgefahr und es war nicht abzusehen, ob er bleibende Gehirnschäden davontragen würde. Gabriel hatte Glück im Unglück, muss aber dennoch zahlreiche Therapien besuchen, da er manche Sachen wieder völlig neu erlernen muss.
Zuerst wurde der Schütze ausfindig gemacht, ein wenig später stellte sich der Fahrer des Mopeds, da ihm klar wurde, dass er aufgrund des großen Medieninteresses früher oder später erwischt werden würde. Der Mann, der den Schuss abgab, behauptete, dass er vollkommen zugekifft gewesen wäre und sich an nichts erinnern könne. Der Fahrer des Mopeds belastete den Schützen hingegen schwer und sagte, dass er sehr wohl zurechnungsfähig gewesen sei. Er selbst wiederum wusste nicht, dass sein Freund vorhatte, jemanden niederzuschießen. Sie wollten die gegnerischen Fans ursprünglich nur ein wenig „ärgern“.
Das Schicksal des Jungen bewegte die Fußballfans im ganzen Land und viele Fanklubs sammelten Spenden und veranstalteten Aktionen, die das Ziel hatten, Gewalt aus den Stadien zu verbannen. Ein halbes Jahr später scheinen alle guten Vorsätze vergessen zu sein, denn die Primera División de Paraguay sorgt nur noch für negative Schlagzeilen.
Spannende Meisterschaft – doch der Sport steht nicht im Mittelpunkt
In Paraguays obersten Spielklasse gibt es jede Runde einige Derbys, denn von den zwölf Mannschaften stammen gleich acht aus der Hauptstadt Asunción. Olimpia ist der Rekordmeister mit 38 Titeln, Cerro Porteño konnte 28 Mal die Meisterschaft für sich entscheiden. In der aktuellen Meisterschaft spielen diese Vereine abermals um den Titel, wobei Olimpia mit 43 Punkten nach 21 Spieltagen um einen Punkt vor dem Lokalrivalen Cerro Porteño liegt. Die bestplatzierte Mannschaft, die nicht aus der Hauptstadt Asunción stammt, liegt nur auf dem siebenten Tabellenplatz.
Auch wenn es an der Tabellenspitze spannend ist – der sportliche Aspekt in der Primera División de Paraguay steht momentan klar im Hintergrund. Die Fans und Medien diskutieren in erster Linie, was auf den Zuschauerrängen passiert, denn es mussten bereits sechs Meisterschaftsspiele abgebrochen werden. Innerhalb des letzten Monats konnte vier Mal eine Partie nicht zu Ende gespielt werden.
Skandal im Spitzenspiel zwischen Libertad und Cerro Porteño
Libertad liegt momentan einen Platz hinter Cerro Porteño und hatte ebenfalls Titelambitionen. Als die Mannschaften am 06. Dezember aufeinandertrafen, wurde ein Linienrichter nach 45 Minuten von einem Feuerwerkskörper getroffen und musste ins Spital überführt werden. Cerro Porteño führte zu diesem Zeitpunkt mit 1:0 und befürchtete Strafen, da der Feuerwerkskörper von den Rängen der Cerro-Porteño-Fans abgeschossen wurde. Der Fußballverband entschied jedoch, dass die zweite Halbzeit beim Stand von 0:1 nachgetragen wird. Nur eine Woche zuvor wurde beim Spiel zwischen Rubio Ñu und General Caballero der Torhüter des Auswärtsmannschaft von einem Feuerwerkskörper getroffen.
Wer trägt die Verantwortung?
Auch in Paraguay schieben die beteiligten Parteien gerne die Verantwortung auf die jeweils anderen ab. Die Vereine sagen, dass sie alles unternehmen, um solche Szenen zu unterbinden. Schuld wären aber der Verband und die Polizei. Der Verband behauptet, dass er im Kampf gegen die Rowdys harte Maßnahmen setzt, aber die Kontrolle vor den Stadien den Vereinen und der Polizei unterliegt. In Wahrheit kann sich jedoch niemand von einer Schuld freisprechen:
Die Polizei scheint in erster Linie nur bei Spielen mit großem medialem Interesse einzugreifen, während sie in Partien, die nicht im Rampenlicht stehen, Desinteresse zeigt. Als ein Kameramann in einem eher unbedeutenden Spiel von einem Gegenstand getroffen wurde, machten die Polizisten keine Anstalten ihm zu helfen, beziehungsweise gar den Täter auszuforschen.
Der Verband wiederum zieht keine einheitliche Linie bei den Bestrafungen durch und bevorzugt die großen Klubs, die mit milderen Sanktionen rechnen können. Während ein Klub nach einem Spielabbruch einen Punkteabzug bakam, dafür in der nächsten Partie vor den eigenen Fans spielen durfte, bekam ein anderer Verein für das gleiche Vergehen keinen Punkteabzug, dafür aber ein Geisterspiel. Der Verband müsste mit einer klaren Linie für Ordnung sorgen, spricht aber die Urteile aus nach seinem eigenen Interesse aus.
Schlussendlich tragen die Vereine ebenfalls eine große Schuld an der Situation, denn einerseits haben gewisse fragwürdige Fangruppierungen, so wie in Argentinien, einen großen Einfluss im Verein, andererseits sehen die Funktionäre ihre Fehler nicht ein und erfinden Verschwörungstheorien, wie etwa Cerro-Porteño-Präsident Zapag, der behauptete, dass sich gegnerische Fans in den Fansektor schlichen. Diese seien für das Abbrennen der Feuerwerkskörper verantwortlich gewesen – eine Theorie, die keiner im Land ernst nimmt.
Was sind die Konsequenzen?
Gemäßigte Fußballfans befürchten nun, dass die Gewalt auf den Rängen dem Fußball in Paraguay nachhaltig schaden wird. Einige Fans trauen sich nicht mehr Spiele zu besuchen, gute Legionäre überlegen es sich zwei Mal, ob sie in diese Liga wechseln wollen und Fernsehsender und Sponsoren verlieren irgendwann ihr Interesse, wenn es ständig negative Schlagzeilen gibt. Der Fußballverband Paraguays, der in den letzten Jahren viel bewegen konnte und besonders in der Nachwuchs-Förderung Kompetenzen zeigte, wird in den nächsten Monaten jede Menge Hausaufgaben zu erledigen haben. Wir werden sehen, ob sich die Lage stabilisiert, oder ob weiterhin Woche für Woche Spiele vorzeitig abgebrochen werden müssen.
Stefan Karger, www.abseits.at
Stefan Karger
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