Spurensuche: Die Ursprünge der Krise im griechischen Nationalteam
Weitere Länder 16.November.2015 Daniel Mandl 0
Die Krise im griechischen Nationalteam zieht sich weiter. Nach der fürchterlichen EM-Qualifikation, die der Europameister von 2004 nach zwei Niederlagen gegen die Färöer Inseln auf dem letzten Platz der Gruppe beendete, ging nun auch das Debüt von Neo-Coach Michael Skibbe gehörig in die Hose.
Vor fünf Wochen besiegte Griechenland Ungarn vor 9.500 Zuschauern im Stadio Georgios Karaiskakis mit 4:3. Das änderte zwar nichts an der Katastrophen-Quali, aber ein kleiner Silberstreif tauchte dann doch am Horizont auf. Am vergangenen Freitag ergraute der Silberstreif wieder, denn Griechenland verlor in Luxemburg mit 0:1. Morgen trifft die Skibbe-Elf, zwei Tage nach dem 89.Geburtstag des Verbands, auswärts auf den Erzrivalen aus der Türkei.
Sechs Legionäre in Skibbes Premierenelf
Skibbe schickte seine erste griechische Elf in einem 4-2-3-1 auf den Platz und bot sechs Legionäre auf. Nur die Hälfte der aufgebotenen Legionäre sind unumstrittene Stammspieler bei ihren Klubs. Kyriakos Papadopoulos spielt derzeit fix für Bayer 04 Leverkusen, Loukas Vyntra verteidigt auf der rechten Abwehrseite von Hapoel Tel Aviv und Andreas Samaris ist der verlässliche Abräumer bei Benfica Lissabon.
Offensivspieler in der Fremde kaum gesetzt
Je weiter man in der Aufstellung nach vorne schaut, desto seltener werden die Startelf-Einsätze: José Holebas, eigentlich Linksverteidiger, spielt im Nationalteam als Linksaußen, bei Watford allerdings kaum. Der eigentlich hochveranlagte Panagiotis Tachtsidis kommt beim FC Genua nur selten zum Zug und auch Kostas Mitroglou bringt bei Benfica Lissabon nicht gerade beide Füße auf den Boden und steht kräftig in der Kritik.
Hoher Druck auf Stürmerhoffnung Mitroglou
Ebendieser Mitroglou ist der Hoffnungsträger einer ganzen Generation, zeigte in mittlerweile sechs Jahren Teamzugehörigkeit aber viel zu wenig. Teilweise zwar verletzungsbedingt, aber auch in Phasen, in denen er beim Klub stark spielte, präsentierte er sich im Team nicht als der Killer, den einst Angelos Charisteas, Theofanis Gekas oder der ebenfalls effizientere Georgios Samaras darstellten. Spätestens nach seiner ersten Fabelsaison bei Atromitos Athen 2011/12 dachte man, dass der bullige Angreifer nicht lange brauchen würde, um etwa Marken von großen Namen wie Nikos Machlas (18 Tore) oder Demis Nikolaidis (17 Tore) zu überbieten. Bereits früh bejubelte man das neue Juwel, schrieb in heimischen Medien nicht selten von einem vorweggenommenen Top-5-Schützen Griechenlands. Doch unterm Strich steht eine Menge Druck, ein schwieriger Generationswechsel rund um Mitroglou und gerademal neun Länderspieltore in 44 Anläufen – zu wenig.
Kaum Alternativen
In der Breite ist der griechische Teamkader zudem zu schwach: Alle anderen Angreifer spielen in der heimischen Liga, erzielten zusammen im Nationalteam erst zwei Tore. Je eines erzielten Christos Aravidis (AEK Athen) und Nikolaos Karelis (Panathinaikos) – trotz starker Trefferquoten bei PAOK war Stefanos „Klaus“ Athanasiadis im Team bisher ein Totalausfall. Zu allem Überfluss verlor der Goalgetter in der laufenden Saison sein Fixleiberl bei den Schwarz-Weißen.
Schwache Entwicklung oder schlechtes Umschwenken von Klub auf Team
Auch eine Reihe dahinter gibt’s Probleme, denn während sich einige Spieler (Ninis, Fetfatzidis) im Allgemeinen nicht so entwickeln, wie man es sich erhoffen durfte, sind andere, die in ihren Klubs konstant stark spielen, im Nationalteam wie ausgewechselt. Dazu zählt etwa Panagiotis Kone, vor allem aber Kostas Fortounis, der bei Olympiakos eine Supersaison spielt, im Nationalteam aber unverändert nie das Spiel an sich reißen kann.
Generationswechsel verpatzt
Skibbe muss aber praktisch mit genau diesen Spielern auskommen, denn die Griechen verabsäumten es, einen sauberen Generationswechsel über die Bühne zu bringen. Als Altstars wie Katsouranis, Karagounis und Co. wegfielen, hätte man die Chance gehabt, auf die nächste Generation zu setzen – und die wäre keine schlechte gewesen! Stattdessen holte man immer wieder Routine ins Team und zerbrach an der fehlenden Zukunftsperspektive.
Der U19-Vizeeuropameister von 2012
Das ideale Beispiel: Die äußerst kompakte griechische U19-Nationalmannschaft von 2012. Erst im Finale der U19-EM in Tallinn musste man sich knapp den Spaniern geschlagen geben. Zuvor hatte man sich bereits in der Gruppe gegen die Portugiesen und Estland durchgesetzt, im Halbfinale die etwas zu instabilen, aber dennoch topbesetzten Engländer (Harry Kane, Nathaniel Chalobah und andere) besiegt.
Schwache Conversion der Top-Talente
Die überragenden Spieler der Griechen bei diesem Turnier waren Linksverteidiger Konstantinos Stafylidis, der Sechser Panagiotis Ballas, Spielmacher Giorgios Katidis und Angreifer Dimitris Diamantakos. Stafylidis ist der Einzige, der den Sprung in eine tatsächlich größere Liga und auch die A-Nationalelf schaffte. Die anderen scheiterten an der eigenen Dummheit und dem Hang griechischer Klubs auf Legionäre zu setzen. Ballas ist bei Atromitos nach wie vor nur Ergänzungsspieler, Katidis verbaute sich seine Karriere bereits 20-jährig mit einem Hitler-Gruß nach einem erzielten Treffer für AEK Athen und Diamantakos kickt derzeit leihweise in Karlsruhe, obwohl er 2014/15 bei Olympiakos bereits zu treffen begann. Mit Charis Mavrias wurde ein weiteres Supertalent, das an besagter U19-EM teilnahm, ähnlich wie einst Sotiris Ninis auf Nationalteamebene „verheizt“.
U19-Kontrahenten machten es besser
Sie alle gehörten in ihrer Altersklasse 2012 zu Europas Elite und dennoch bekamen sie in den drei darauffolgenden Jahren nur wenige Chancen ihr Können auf Profiebene zu beweisen. Die anderen Teilnehmer der U19-EM 2012 machten es besser: Die Spanier Jesé Rodriguez, Paco Alcacer, Saúl Niguez, Óliver Torres und Gerard Deulofeu sind heute ebenso ein Begriff wie Frankreichs Paul Pogba und Geoffrey Kondogbia, Englands Harry Kane oder Portugals Bruma.
Der schwere Schritt zum Profi
Natürlich ist der Sprung vom Jugend- in den Profifußball das wohl schwierigste Unterfangen in der Karriere eines jungen Fußballers, aber wie man es aktuell auch in Österreich sieht, liegt es an den Vereinen und schließlich auch den Organisatoren der (Nachwuchs-)Nationalteams, die Jungs in die richtige Richtung zu lenken. Genau das funktioniert in Griechenland derzeit überhaupt nicht. Mit Olympiakos und Panathinaikos verfügt das Land derzeit über zwei wirklich konkurrenzfähige Teams, während der Rest der Liga im Einheitsbrei versumpert. Im Kader von Olympiakos stehen mehr Legionäre als Griechen und obwohl bei Panathinaikos „nur“ 14 Legionäre im Kader stehen, platzt dieser aus allen Nähten und ist mit 30 Mann viel zu groß und unausgewogen. Beim letzten Pflichtspiel gegen Atromitos standen nur drei Griechen in der Startelf der Grün-Weißen.
Umdenken auf Ligaebene erforderlich
Die Griechen benötigen eine Ligareform und wohl auch eine Maßnahme wie den „Österreicher-Topf“ hierzulande, um den grundsätzlich guten Nachwuchs wieder besser in die Profimannschaften des Landes zu integrieren. Die griechische Liga ist aufgrund des guten Standings in der Fünfjahreswertung attraktiv und kein Bewerb, den man als junger Spieler so schnell wie möglich verlassen müsste. Dass die schlechten Kaderplanungen und die vielen Hamsterkäufe griechischer Klubs dem Team Probleme bereiten, zeigt auch, dass von den 13 Spielern aus der heimischen Liga, die für das letzte Länderspiel einberufen wurden, gleich vier Akteure bei ihren (griechischen!) Klubs nicht zum unumstrittenen Stammpersonal zählen.
Drei Spieler von starkem Olympiakos, fünf von schwachem PAOK
Und ein weiteres Sinnbild für das große Problem des griechischen Fußballs: Während man zu wenige Fußballexporte zustande bringt, die im Ausland zu Leistungsträgern werden, stehen derzeit gerademal drei Spieler des Vorzeigeklubs Olympiakos im Teamkader. Beim letzten Ligaspiel von Olympiakos standen zwei Griechen in der Startaufstellung. Im Vergleich dazu stellt das schwächelnde PAOK derzeit fünf Teamspieler. Im letzten Ligaspiel, einem 3:3 gegen den Tabellenletzten Panthrakikos, spielten sieben Griechen bei PAOK – darunter die fünf Teamspieler, die allerdings von schwachen Legionären flankiert wurden…
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Daniel Mandl Chefredakteur
Gründer von abseits.at und austriansoccerboard.at | Geboren 1984 in Wien | Liebt Fußball seit dem Kindesalter, lernte schon als "Gschropp" sämtliche Kicker und ihre Statistiken auswendig | Steht auf ausgefallene Reisen und lernt in seiner Freizeit neue Sprachen
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