Vergessene Legenden (1): Victor Lemberechts
Weitere Länder 5.Februar.2017 Marcel Grün 0
Obwohl er in den 1940er-Jahren als einer der besten Rechtsaußen Europas galt und sogar für die Kontinentalmannschaft stürmte, ist Victor Lemberechts heute außerhalb seines Heimatlandes Belgien wohl nur den wenigsten Fußballfans ein Begriff. Dieser Artikel soll an einen herausragenden Fußballer erinnern, der wohl auch heute noch einen Stammplatz in der belgischen Nationalmannschaft sicher hätte…
Seit einigen Jahren ist der belgische Fußball wieder mit einer Fülle an Talenten gesegnet. Spieler wie Eden Hazard, Kevin De Bruyne oder Romelu Lukaku sorgen in ihren Vereinen und auch international für Aufsehen, sodass man erneut von einer „Goldenen Generation“ des belgischen Fußballs spricht. Der Begriff ist in Belgien jedoch nichts Neues: auch die Nationalmannschaft der 1980er Jahre um Jan Ceulemans, Enzo Scifo und Jean-Marie Pfaff wurde mit solchen Begriffen bedacht und konnte mit einem Vize-Europameistertitel und einem vierten Platz bei der WM 1986 durchaus Erfolge erzielen, wodurch die Mannschaft nachträglich in Erinnerung geblieben ist.
Zunehmend in Vergessenheit geraten jedoch die belgischen Fußballer, die in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts für ihr Land im Einsatz waren und das, obwohl es auch zu diesen Zeiten belgische Spitzenfußballer gab: als herausragende Spieler gelten unter anderem Louis Van Hege, 1920 Olympiasieger mit Belgien, der jahrelang erfolgreich für den AC Mailand stürmte oder Raymond Braine, der sowohl in Belgien als auch bei Sparta Prag ein eiskalter Torjäger war und 1938 Teil der FIFA-Weltauswahl war. Im Jahre 1947 sollte erneut ein belgischer Spieler diese Ehre erhalten:
Victor Lemberechts
Der Rechtsaußen, der aufgrund seiner enormen Antrittsschnelligkeit und Dribbelstärke den Spitznamen „belgischer Stanley Matthews“ erhalten hatte, war nicht nur ein ausgezeichneter Vorlagengeber, sondern war auch in der Lage, selbst Tore zu erzielen. Als Charakteristik seines Spielstils galt außerdem, dass er im Gegensatz zu den meisten Flügelstürmern der damaligen Zeit auch noch beidfüßig war: diese Flexibilität sorgte dafür, dass sein Spiel als extrem unberechenbar galt: so konnte er, nachdem er die Verteidiger ausgedribbelt hatte, entweder zu einem Flankenlauf ansetzen oder ebenso gut selbst den Abschluss suchen.
Ein Leben in rot und gelb
Victor Lemberechts, der am 13. Mai 1924 in Mechelen geboren wurde, schloss sich mit elf Jahren dem lokalen FC Mechelen an. Bereits mit 17 Jahren debütierte Lemberechts, von seinen Mitspielern und den Fans zumeist nur „Torke“ oder „Torreke“ genannt, 1942 in der ersten Mannschaft des Vereins und sollte in den folgenden Jahren zu einem Hauptgrund für den Aufschwung des FC Mechelen werden. 1943 gewann Mechelen seinen ersten Meistertitel und sollte diesen Triumph in den Jahren 1946 und 1948 wiederholen. Lemberechts hatte sich inzwischen fest als Rechtsaußen etabliert und bildete gemeinsam mit Henri Coppens (nicht zu verwechseln mit dem Beerschoter Nationalspieler mit demselben Namen) und Mittelstürmer Bert De Cleyn ein gefürchtetes Sturmtrio.
Als besonders herausragend galt allerdings das Zusammenspiel zwischen Lemberechts und De Cleyn: viele der unglaublichen 481 Tore, die De Cleyn für Mechelen erzielte, gelangen ihm nach Vorlagen von Lemberechts. Auch abseits des Platzes verstanden sich die beiden hervorragend, sodass sie auch nach dem Ende ihrer Karriere bis zu ihrem Lebensende miteinander befreundet blieben. Lemberechts bewies jedoch auch selbst immer wieder seine Torgefährlichkeit: in 346 Spielen für Mechelen erzielte er 128 Tore – eine überragende Anzahl für einen Flügelstürmer. 1956 beendete er schließlich seine aktive Karriere – mit negativen Folgen für seinen Verein: ohne Lemberechts, Coppens und de Cleyn (letztere hatten bereits 1955 ihre Schuhe an den Nagel gehängt) gelang es Mechelen lange Zeit nicht mehr, einen Titel zu gewinnen. Diese Durststrecke endete erst in den späten 1980er Jahren, als der Verein neben Pokal und Meisterschaft auch 1988 den Europapokal der Pokalsieger gewinnen konnte.
Internationale Enttäuschungen
Anders als seine Vereinskarriere sollte Lemberechts Karriere in der belgischen Nationalmannschaft eher unglücklich verlaufen. Zwar kam er zwischen 1945 und 1955 in 42 Länderspielen zum Einsatz und schoss dabei 14 Tore, konnte jedoch an keiner WM teilnehmen. 1950 hießen die Gegner in der Qualifikation Schweiz und Luxemburg – eigentlich lösbare Aufgaben, wenn der belgische Verband nicht auf die Teilnahme verzichtet hätte und somit Lemberechts die Chance auf seine erste WM-Teilnahme raubte. Für die WM 1954 konnte sich Belgien zwar qualifizieren, aber dennoch wartete Lemberechts vergeblich auf eine Nominierung und das, obwohl er mit vier Einsätzen zur erfolgreichen Qualifikation beigetragen hatte. Als Problem Lemberechts galt außerdem, dass sich er mit manchen seiner Teamkollegen weder auf noch neben dem Platz verstand. Am 16. Januar 1955 spielte er schließlich bei der 0:1-Niederlage gegen Italien letztmalig für sein Land.
Wie aus „Torreke“ der „Held von Glasgow“ wurde
Nachdem auf dem FIFA-Kongress 1946 der englische Fußballverband in die Reihen des Weltverbandes zurückgekehrt war, beschloss die FIFA, dies mit einem Spiel zwischen einer europäischen Kontinentalauswahl und einer britischen Auswahlmannschaft zu feiern. Als Trainer der europäischen Auswahl wurde der Österreicher Karl Rappan, langjähriger Trainer der Schweizer Nationalmannschaft, ausgewählt. Für das Spiel am 10. Mai 1947 im Hampden Park in Glasgow nominierte Rappan folgende elf Spieler:
Tor: Julien Darui (Frankreich)
Abwehr: Poul Petersen (Dänemark), Carlo Parola (Italien), Willi Steffen (Schweiz)
Mittelfeld: Johnny Carey (Irland), Josef Ludl (Tschechoslowakei)
Sturm: Victor Lemberechts (Belgien), Gunnar Gren (Schweden), Gunnar Nordahl (Schweden), Faas Wilkes (Niederlande), Karl Aage Præst (Dänemark)
Ihnen gegenüber stand eine mehrheitlich englisch geprägte Mannschaft, trainiert vom Coach der englischen Nationalmannschaft, Walter Winterbottom:
Tor: Frank Swift (England)
Abwehr: George Hardwick (England), Jackie Vernon (Irland), Billy Hughes (Wales)
Mittelfeld: Archie Macaulay (Schottland), Ron Burgess (Wales)
Sturm: Stanley Matthews (England), Wilf Mannion (England), Tommy Lawton (England), Billy Steel (Schottland), Billy Liddell (Schottland)
War im Vorfeld der als „Spiel des Jahrhunderts“ betitelten Partie noch eine ausgeglichene Partie erwartet worden, wurde es stattdessen zu einer Machtdemonstration der britischen Auswahl. Zwar konnte Gunnar Nordahl die 1:0-Führung der Briten durch Mannion schnell ausgleichen, aber danach konnten weder Nordahl, noch Lemberechts, noch die restliche Mannschaft dem Offensivfeuerwerk der Briten etwas entgegensetzen. Am Ende der Partie stand daher eine 6:1 Demütigung der Kontinentalauswahl:
Obwohl er ebenso wie seine Mannschaftskollegen nicht ansatzweise überzeugt hatte, wurde Lemberechts bei seiner Rückkehr nach Belgien begeistert empfangen und erhielt als Anerkennung für seine Leistung den Spitznamen „Held von Glasgow“.
Leben nach dem Fußball
Diese Erfahrung, die Victor Lemberechts 1947 in Glasgow machen durfte, sollte ihn sein Leben lang begleiten. Es war daher wenig überraschend, dass er dem Café am Marktplatz in Mechelen, das er nach seinem Karriereende eröffnete, den Namen „Glasgow“ gab. Lemberechts betrieb das Café gemeinsam mit seiner Frau bis zu seinem Tode im Jahr 1992, danach übernahm sie den Betrieb. Bis heute befindet sich das Café in Familienbesitz, wodurch auch die Erinnerung an „Torreke“ Lemberechts weiterhin aufrechterhalten wird.
Als der KV Mechelen 2004 seine Fans dazu aufrief, die besten Spieler der Vereinsgeschichte zu wählen, landete Victor Lemberechts auf Platz zwei. Er musste sich nur der Torwartlegende Michel Preud’Homme geschlagen geben und das zwölf Jahre nach seinem Tod und fast fünfzig Jahre nach seinem Karriereende.
Das Ergebnis der Abstimmung verdeutlichte erneut die Bedeutung und Qualität von Lemberechts: zwar werden die FIFA-Auswahl von 1947 und das Ergebnis jenes Spiels in Glasgow in Vergessenheit geraten – der „Held von Glasgow“ wird zumindest in Mechelen niemals vergessen werden.
Marcel Grün, abseits.at
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