Es ist mittlerweile Teil des täglichen internationalen Fußballgeschäfts, dass Vereine finanzielle Unterstützung von Geldgebern, vornehmlich aus dem arabischen und osteuropäischen Raum, erfahren. Was sich... Vergesst Stronach & Co.: Bei Neuchatel Xamax ist dank eines tschetschenischen Oligarchen die Hölle los!

Es ist mittlerweile Teil des täglichen internationalen Fußballgeschäfts, dass Vereine finanzielle Unterstützung von Geldgebern, vornehmlich aus dem arabischen und osteuropäischen Raum, erfahren. Was sich jedoch beim Schweizer Traditionsverein Neuchâtel Xamax (deutsch: Neuenburg) dieser Tage abspielt, kann keinesfalls als Regelfall eingestuft werden, zu ungewöhnlich sind die Vorgänge, seit der Club vom tschetschenischen Industriellen Bulat Tschagajew übernommen wurden.

Erste Übernahmegerüchte im April

Alles begann im April des laufenden Jahres, als erstmals Übernahmegerüchte aufkamen, der Name Bulat Tschagajew wurde immer wieder mit dem Verein aus der Romandie in Verbindung gebracht. Tschagajew ist ein russischer Milliardär tschetschenischer Herkunft, der seit dem Ende der 1980er in der Schweiz tätig ist und derzeit über vier Firmen mit Sitz in Genf verfügt. Seinen Reichtum soll er Medienberichten zufolge mit dem Handel von Öl und Gas gemacht haben, schon zu Sowjetzeiten war seine Firma Sovamericantrade führender Olproduzent für die Luftfahrt. Nach dem Fall des eisernen Vorhangs war sie die erste private Firma Tschetscheniens und brachte ihrem Besitzer weitere hohe Einkünfte ein. Tschagajew selbst behauptet jedoch, er habe in seinem gesamten Leben weder einen Liter Öl noch einen Kubikmeter Gas verkauft.

Machtübernahme und Ergänzungen im Vereinswappen

Am 12. Mai kam es schließlich zur Machtübernahme, bei einer außerordentlichen Generalversammlung votierte die überwältigende Mehrheit der Aktienbesitzer des Vereins für Tschagajew, was jedoch wenig überraschend war, da der ehemalige Vereinspräsident Sylvio Bernasconi den Großteil der Anteile besaß. Tschagajew soll ein Budget von rund 14 Millionen Franken garantieren, welches jedoch noch deutlich aufgestockt werden könnte, als Richtwert gilt hier der FC Basel mit 50 bis 60 Millionen. Gleichzeitig verließen nahezu alle bisherigen Sponsoren den Verein, Geldgeber wie der Uhrenhersteller Tissot zogen sich zurück, da man ein Engagement unter diesen Umständen nicht mehr verantworten konnte.
Als Präsident wurde Andreï Rudakow, ehemaliger Spieler von Spartak Moskau und Tschagajew-Intimus, eingesetzt. Das Vereinswappen wurde um tschetschenische Nationalsymbole ergänzt und auch der Clubname sollte den Zusatz „Wainach“ erhalten, was ein in Tschetschenien allgegenwärtiger und patriotisch stark beladener Begriff ist. Dieser Plan wurde jedoch wieder verworfen, da die Schweizer Fußballliga ohnehin keine Zustimmung zu einem politisch motivierten Namenszusatz erteilt hätte.

Personalkarussell und eine gefährliche Drohung

Sportlich war Xamax lange Zeit in akuter Abstiegsgefahr, so dass im Mai nach einer Niederlage gegen Thun der bisherige Trainer Didier Ollé-Nicolle entlassen wurde. Ihm folgte Bernard Challandes nach, nachdem sogar Diego Maradona einige Zeit im Gespräch gewesen sein soll. Er konnte mit dem achten Tabellenplatz den Klassenerhalt sichern und zog durch einen Sieg im Elfmeterschießen gegen den FC Zürich auch in das Cupfinale ein, wo es jedoch gegen Sion eine herbe Niederlage setze und Xamax bereits nach wenigen Minuten mit 0:2 im Rückstand lag. Dies erzürnte Tschagajew dermaßen, dass er in der Halbzeitpause in die Kabine stürmte und seine Spieler mit den Worten „I will kill you all!“ bedrohte.

Einen Tag nach dem verlorenen Finale musste Challandes auch bereits wieder seinen Hut nehmen (er ist derzeit erfolgreich beim FC Thun tätig, der nach vier Runden die Schweizer Meisterschaft anführt und Palermo in der Europa League Qualifikation bezwingen konnte), als sein Nachfolger wurde Sonny Anderson, ehemals als Spieler unter anderem beim FC Barcelona tätig, vorgestellt. Wiederum nur einen Tag später stellte sich jedoch heraus, dass Anderson nicht über die nötige UEFA Pro-Lizenz verfügte, die für einen Trainer in der höchsten Spielklasse vorgeschrieben ist. Aufgrund dessen wurde Anderson kurzer Hand zum technischen Direktor ernannt, das Traineramt übernahm François Ciccolini, der zuletzt die U19 des AS Monaco betreute. Als Reaktion auf Tschagajews autoritären Führungsstil legten dieser Tage auch Sportdirektor, Geschäftsführer und Marketingleiter ihre Ämter nieder und verließen den Club.

Zahlreiche Transfergerüchte und Neuverpflichtungen

Die nächsten Tage und Wochen waren von zahlreichen Transfergerüchten prominenter Spieler wie Frédéric Kanouté, El-Hadji Diouf und Gabriel Heinze geprägt, russische Medien brachten zudem Ruud Gullit als neuen Trainer ins Spiel, der kurz zuvor beim tschetschenischen Club Terek Grozny entlassen wurde. Tatsächlich wurden Torhüter Logan Bailly von Mönchengladbach, Ex-Barça-Spieler Victor Sanchez sowie David Navarro vom FC Valencia verpflichtet, dazu kamen noch die Zuzüge einiger unbekannterer ausländischer Spieler. Gleichzeitig wurde Raphael Nuzzolo per Post mitgeteilt, dass er den Club nach elf Jahren zu verlassen habe. Seine Dienste sicherten sich die Young Boys Bern – kostenlos.

Missglückter Saisonauftakt mit weit reichenden Konsequenzen

Der Saisonauftakt gestaltete sich für das neu zusammengestellte Team alles andere als erfolgreich, Xamax musste eine 0:3-Heimiederlage gegen den FC Luzern hinnehmen. Auch der Zuschauerzuspruch war mehr als enttäuschend, trotz freiem Eintritt verirrten sich keine 5.000 Besucher ins Stade de la Maladière. Nach der Pleite wütete Tschagajew erneut, Schweizer Medien zitierten ihn mit „Ich mache alles für euch. Ich erwarte, dass ihr auch alles für mich tut. Ich will Champions League spielen und ihr zeigt eine solche Vorstellung“. Eine ungewöhnliche Darbietung zeigte sich den wenigen Zuschauern auch in der Halbzeitpause, via Anzeigetafel (die Informationen ab sofort nicht nur mehr auf Französisch sondern nun auch in kyrillischer Schrift mitteilt) wurden russische Volkstänze präsentiert.
Für Tormann Rodrigo Galatto hatte die Niederlage weit reichende Folgen, der Vertrag mit dem gerade erst verpflichteten Schlussmann wurde wieder aufgelöst – nach gerade einmal absolvierten 90 Minuten. Auch Nachwuchschef Adrian Ursea verließ den Verein.

Nachdem auch in der zweiten Runde kein Erfolgserlebnis gefeiert werden konnte und Xamax bei Meister Basel unterlag, riss Tschagajew erneut der Geduldsfaden. Er feuerte den gesamten Trainerstab inklusive dem technischen Direktor Sonny Anderson. Weiters wurde den Spielern Carlão und Augustin Gilles Binya nahe gelegt, sich einen neuen Verein zu suchen. Tschagajew hatte die Auswechslung beider Spieler in der Halbzeit angeordnet. Auch Andrej Rudakow, vor wenigen Wochen von Tschagajew erst als Präsident eingesetzt, musste seinen Hut nehmen, bleibt jedoch weiterhin für Transfers zuständig. Ihm folgte Islam Satujew, die rechte Hand des Oligarchen, nach, der bereits beim Spiel gegen Basel taktische Anweisungen seines Chefs an Trainer und Sportdirektor übermittelte.
Von all diesem Chaos waren die Spieler dermaßen gezeichnet, dass am darauf folgenden Montag das Training ausfiel, ein namentlich nicht genannter Akteur sagte zum Boulevardblatt Blick „Alle haben Angst, es ist schwierig zu verstehen, was der Klubboss vorhat.“

Neuer Trainer, neues Glück

Als nächster nahm Joaquin Caparros auf dem heißen Trainerstuhl in Neuchâtel Platz, wobei anzumerken ist, dass der ehemalige Übungsleiter von Athletic Bilbao derzeit noch immer im Amt ist. Ex-Präsident Rudakow erklärte seine Verpflichtung mit dem Argument, dass Spanien derzeit das Land sei, das den besten Fußball spiele. Das erste Training unter Caparros fand nahezu unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt, Journalisten wurden nur zwei Minuten gewährt um Fotos zu machen.
Das erste Spiel unter dem neuen spanischen Trainer ging ebenfalls verloren, man unterlag Sion zuhause vor 4.600 Zuschauern glatt mit 0:3. Eine übertriebene Reaktion blieb diesmal jedoch aus, lediglich die Verpflichtung zweier Stürmer wurde angekündigt, die in Person von U17-Weltmeister Haris Seferovic und Kalu Uche auch realisiert wurde.
Im vierten Saisonspiel gab es dann für Xamax endlich den ersten Punktegewinn zu feiern, trotz numerischer Unterlegenheit konnte in Thun ein torloses Remis erreicht werden.

Sich regender Widerstand und die Frage nach dem Warum

Es bleibt die Frage, was Tschagajews Intention hinter diesem Engagement ist. Immer wieder wird in Schweizer Medien der Vorwurf der Geldwäsche angeführt, bisher jedoch ohne einen erbrachten Beweis. Ein zentrales Motiv dürfte hingegen sein, dass Tschagajew um die Zuneigung des tschetschenischen Volks buhlt, was die Aufnahme von Symbolen, die sich auch im tschetschenischen Wappen finden, in das Vereinslogo erklärt. Zudem wurde das Cupfinale gegen Sion live im tschetschenischen Fernsehen übertragen und hatte somit wesentlich mehr Bedeutung für Tschagajew, als auf den ersten Blick ersichtlich war. Dies führte auch zu seinem Ausraster in der Halbzeitpause vor versammelter Mannschaft.

Mittlerweile hat sich in Gesellschaft und Widerstand formiert, vom Neuenburger Literaturprofessor Patrick Vincent wurde eine Initiative gegen Tschagajew ins Leben gerufen und auch seitens der Politik werden die Töne rauer. SVP-Vizepräsident Adrian Amstutz wird mit „Tschagajew richtet Schaden an. Der Sport hat Auswirkungen auf die Gesellschaft“ zitiert und sein Parteigenosse, der Nationalrat Toni Bortoluzzi, meint „Früher oder später muss er seine Sachen zusammenpacken. Der Tschetschene ist eine Schande für den Schweizer Fußball“. Diese Kritik ließ der Oligarch wenig überraschend nicht auf sich sitzen und feuerte im Gespräch mit der Sportinformation zurück: „Ich bin der Hooligan? Dabei unternehmen verschiedene Politiker alles dafür, dass ich hier scheitere. Ich dachte, ich kenne die Schweiz, ein Land, das ich liebe. Offenbar hätte ich, um den Schweizern zu gefallen, alles so belassen müssen wie es war, als niemand sich um den Klub kümmerte. Aber ich wollte die gesamte Struktur reorganisieren.“

Zudem beschuldigte er Sonny Anderson, der in erster Linie danach getrachtet haben soll, an den vielen Transfers zu verdienen, für die schlechten sportlichen Leistungen. Den ehemaligen Torhütertrainer bezichtigte er, Logan Bailly mit einem Lauf von 15 Kilometern Länge absichtlich verletzt zu haben und Mittelfeldspieler Gilles Binya soll von Anderson die Order erhalten haben, den Georgier Schirikaschwili zu verletzen. Weiters zeigte Tschagajew sich von den vielen negativen Medienberichten tief getroffen: „Die Leute glauben, dass ich ein Kind bin, das sich mit einem Spielzeug amüsiert. Ich habe Familie hier, die es nicht verstehen könnte, wenn ich aufgeben würde. Ich müsste mir sogar den Vorwurf gefallen lassen, dass ich Tschetschenien entehre.“

Man darf mit Spannung erwarten, wie sich die Dinge im beschaulichen Neuchâtel weiter entwickeln, denn im Interview mit der Berner Zeitung sagte Tschagajew auch: „Ich werde Xamax nicht verlassen wegen ein paar verlorener Spiele. Ich will aus Xamax einen guten Schweizer Verein machen und, wenn es möglich ist, auch einen guten Verein in Europa. Nur zwei Dinge können mich zum Rückzug bewegen: wenn die Neuenburger mir sagen, dass sie mich nicht mehr brauchen, oder wenn absolut nichts so funktioniert, wie ich es mir vorstelle. Ich versichere Ihnen, dass ich das, was ich gekauft habe, also Xamax, enorm respektiere.“

OoK_PS, abseits.at

Daniel Mandl Chefredakteur

Gründer von abseits.at und austriansoccerboard.at | Geboren 1984 in Wien | Liebt Fußball seit dem Kindesalter, lernte schon als "Gschropp" sämtliche Kicker und ihre Statistiken auswendig | Steht auf ausgefallene Reisen und lernt in seiner Freizeit neue Sprachen

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