In dieser Serie gehen wir auf einzelne Weltklassetalente ein, die auf dem Sprung standen – und ihn nicht schafften. Zumeist waren es persönliche Tragödien,... Verlorene Weltklassespieler (11) – Kaszimierz Deyna

Polen FlaggeIn dieser Serie gehen wir auf einzelne Weltklassetalente ein, die auf dem Sprung standen – und ihn nicht schafften. Zumeist waren es persönliche Tragödien, Verletzungen oder einfach die Umstände ihrer Karriere: Die Aussage „Zur falschen Zeit am falschen Ort“ kann manchmal schmerzhaft wahr sein.

Wir lassen die Karrieren diverser Akteure Revue passieren, spekulieren über die mögliche Auswirkung ihres fehlenden Durchbruchs in der Geschichte des Fußballs und ein kleines „was wäre, wenn…?“ darf natürlich auch nicht fehlen. Immerhin besitzt nahezu jeder Fußballfan noch eine schöne Erinnerung an solche Spieler und jene fragende Wehmut, welche Erinnerungen man nicht verpasst hat.

In diesem Teil widmen wir uns …

Kaszimierz Deyna

Bei der Weltmeisterschaft 1974 kreierte statistisch gesehen nur Johan Cruyff mehr Chancen pro Spiel als er. Für einige war er gar der beste Spieler des Turniers, denn nahezu jeder Angriff der sensationell Drittplatzierten Polen wurde von ihm eingeleitet. Zusätzlich bestach er auch durch eine hervorragende Beteiligung am Defensivspiel: Immer wieder rieb er sich in Zweikämpfen auf oder konnte dank seiner Spielintelligenz Pässe des Gegner abfangen, nur um sofort den folgenden Konter seiner Mannschaft selbst einzuleiten. Die Rede ist von Kaszimierz Deyna, einem der besten Mittelfeldspieler der 70er.

Von der Großfamilie in die erste Liga

Deyna wurde als eines von neun Kindern geboren – er wuchs mit sechs Schwestern und zwei Brüdern auf, die Letzteren wurden wie er ebenfalls Profifußballer. Beim Lokalverein  Włókniarz Starogard Gdański begann er seine Karriere und wechselte im Alter von 18 Jahren zu Legia Warschau in die höchste polnische Spielklasse. In den ersten zwei Saisons holten sie auch die einzigen zwei Meisterschaften in den 12 Jahren, in denen Deyna bei Legia aktiv war.

Übrigens war Deyna trotz seiner Vereinstreue nicht ganz freiwillig bei Legia. Im kommunistischen Polen wurden zu jener Zeit die Fußballmannschaften vom Staat bzw. dem Militär und seinen jeweiligen Abteilungen gesponsert, wodurch diese sich junge Fußballer problemlos holen konnten. Deyna wechselte somit nicht als freier Fußballer zu Legia Warschau, sondern wurde von diesen während seiner Zeit bei der Armee in die Mannschaft geholt.

Bei Legia Warschau war er der Star der Mannschaft – und blieb dennoch weitestgehend in Europa unbeachtet. Aufgrund mangelnder Meistertitel konnte er sich nur selten auf der größten Bühne Europas beweisen. Zumeist fiel er immer nur im Zwei-Jahres-Takt in Europa auf, nämlich bei den großen Turnieren.

Wechselverbot für einen potenziellen Weltstar

1972 gewann die polnische Nationalmannschaft die Goldmedaille bei den Olympischen Spielen, 1976 holten sie Silber. Unmittelbar nach diesen Turnieren gingen jedes Mal Angebote von größeren Vereinen Europas ein, doch diese wurden abgelehnt. Doch das größte Angebot gab es nach der WM 1974.

Deyna führte eine polnische Nationalmannschaft mit herausragenden Leistungen bis ins Halbfinale, wo man knapp gegen den späteren Weltmeister und Gastgeber Deutschland ausschied. In einem System mit einer Mischung aus 1-3-4-2 und 1-3-3-3 spielte Deyna gar zentral im defensiven Mittelfeld vor Vorstopper Zmuda. Aus dieser tiefen Position startete er immer wieder Sololäufe in die Spitze oder spielte intelligente Pässe in offene Räume. Nach der Weltmeisterschaft gab es dann das Angebot seiner Karriere: Real Madrid wollte sich die Dienste von Deyna sichern.

Dies wurde allerdings von der polnischen Regierung verboten, weil Legia Warschau ein Militärklub ist. Und weil sie quasi dem Staat gehören und Deyna als Staatsfußballer eigentlich ein Offizier war (ähnlich wie Ferenc Puskas bei Ungarn ein Major), wurde ihm der Wechsel verboten. Erst nach Erfüllung seines dreißigsten Lebensjahres durfte er ins Ausland gehen und wurde bei Manchester City bei einem englischen Abstiegskandidaten zur Kultfigur.

Das schaffte er trotz vieler Verletzungen. In nur drei Jahren konnte er lediglich 39 Spiele bestreiten, erzielte aber immerhin 13 Tore – sieben davon erzielte er alleine 1978/79 in den letzten acht Spielen und konnte damit den Abstieg von Manchester City fast im Alleingang abwenden. Trotz der extremen Beliebtheit, die er bei City in seinen drei Jahren genoss, wechselte er schließlich in die USA. Für Deyna war es die ideale Möglichkeit sich ein neues Leben aufzubauen, gegen Ende seiner Karriere bei weniger körperlicher Beanspruchung viel Geld zu verdienen und sich eine solide Existenz aufzubauen.

Drei weitere Jahre spielte er bei den San Diego Sockers und konnte im Schnitt in jedem zweiten Spiel ein Tor erzielten. 1984 beendete er seine Karriere und spielte nur noch Hallenfußball, doch 1989 kam der Schock: Bei einem Autounfall in San Diego starb Kaszimierz Deyna. Die Nummer 10 wird seitdem bei Legia Warschau nicht mehr verliehen, 1994 wurde er zum besten polnischen Fußballer aller Zeiten gewählt (vor Spielern wie Lubanski, Boniek, …) und im Juni 2012 wurde sein Leichnam in einen Warschauer Militärfriedhof verlegt.

Seiner Zeit voraus

Deyna war – wie auch der Niederländer Johan Cruyff oder der Jugoslawe Branko Oblak – seiner Zeit voraus, weil er als zentraler offensiver Akteur seine Rolle enorm weitreichend definierte. Cruyff spielte dies als Mittelstürmer bzw. als falsche Neun, Oblak und Deyna taten dies eher im zentralen Mittelfeld.

Natürlich definierten sich auch diese beiden über die klassischen Tugenden eines Zehners: Sie waren ungemein dribbelstark und bestachen durch spektakuläre Pässe und Vorlagen. Aber Oblak und ganz besonders Deyna machten nicht im Offensivspiel und dem Einleiten von Chancen Halt. Sie arbeiteten defensiv hervorragend mit und waren nicht nur Techniker, sondern auch Fußballdenker. Ihr Bewegungen waren strategisch intelligent, sie öffneten Räume oder bespielten bestimmte Räume intuitiv, weil dort Löcher oder Problemzonen des Gegners erkannt wurden.

Bei Deyna kam diese Fähigkeit noch stärker zum Tragen, weil er deutlich weniger Athlet war, als Oblak und Cruyff. Auf fast schon übernatürliche Weise antizipierte er gegnerische Bewegungen und konnte dann Pässe in Löcher spielen, die noch gar nicht offen waren, sondern erst in dieser Sekunde entstanden. Dadurch konnte er auch mit seinem kongenialen Partner, Mittelstürmer Lubanski, die Positionen in perfektem Timing wechseln. Der zentrale Mittelfeldspieler Deyna stieß ins Sturmzentrum, infiltrierte Räume und kam auch deswegen auf seine so hohe Torausbeute.

Im modernen Fußball gibt es mehr solcher Fußballer. Sie werden geschult und angeleitet. Das selbstständige Denken und das Erkennen von Räumen und taktischen Begebenheiten werden gefördert. Doch vor gerade mal 20 Jahren gab es kaum noch solche Fußballer. Spieler wie Deyna wurden immer weniger, die meisten dieser raren Brut wurden entweder wegen ihrer Schlampigkeit oder ihrer mangelnden Athletik gar aus dem Profifußball getilgt.

Dabei sind sie, wie auch Deyna, Spieler, die sich trotz körperlicher Unterlegenheit früher oder später durchsetzen würden. Die mangelnde Athletik würden sie mit Technik und Intelligenz kompensieren. Nicht umsonst befand sich Deyna 1974 bei der Wahl zum Ballon D’Or nur hinter den Megastars Cruyff und Beckenbauer.

Letzterer sagte vermutlich auch das wohl schönste Kompliment, dass Deyna posthum erhalten hatte:

„Spieler wie Kaszimierz Deyna existieren nicht mehr“ – Franz Beckenbauer

Rene Maric, abseits.at

Rene Maric

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert