Jeden Sonntag wollen wir in dieser neuen Serie einen Blick in die Vergangenheit werfen: Wir spielen sozusagen einen Zuckerpass in den Rückraum und widmen uns kurz und bündig legendären Toren, Spielen, Fußballpersönlichkeiten, Ereignissen auf oder neben dem Platz und vielem mehr. Wir wollen Momente, Begebenheiten, Biografien im Stile von Zeitlupenwiederholungen aus dem TV nochmals Revue passieren lassen. Gedanken machen wir uns dabei über Vergangenes, das in der abgelaufenen Kalenderwoche stattgefunden hat. Nachdem wir schon letzte Woche ein ernstes Thema behandelt haben, wollen wir heute daran anschließen und erinnern uns an den kolumbianischen Abwehrspieler Andrés Escobar, der 27‑jährig erschossen wurde…
Eine tödliche Grätsche
Am 2. Juli 1994 ging Andrés Escobar mit Freunden essen und danach in eine Bar. Dort sollte ihn sein Mörder abpassen. Escobar verabschiedete sich in den frühen Morgenstunden, um zu seinem Auto zu gehen. Doch dort kam er nie an. Um 3:30 Uhr fielen die Schüsse. Der kolumbianische Abwehrspieler wurde vor dem Lokal „El Indio“ regelrecht hingerichtet. Warum? Escobar – der tragischerweise den gleichen Nachnamen wie der bekannte Drogenboss Pablo Escobar trug – hatte wenige Tage zuvor, am 22. Juni, ein Eigentor im Spiel gegen die USA erzielt. Der Gastgeber der WM 1994 gewann mit 2:1 und Kolumbien musste nach der Gruppenphase die Koffer packen. Escobars Mörder Humberto Muñoz Castro tötete ihn aus Rache, denn die Drogenkartelle hatten durch das frühe Ausscheiden der Cafeteros viel Geld verloren.
Geboren wurde Andres Escobar – wie sein Namensvetter – in Medellín, der zweitgrößten Stadt Kolumbiens. Eine Stadt berüchtigt für Armut, Gewalt und Kriminalität. Andres hatte Glück und wurde in eine bürgerliche Familie hineingeboren: Sein Vater war Banker, er wurde katholisch erzogen. Als 18-jähriger kam er zu Atlético Nacional und wurde dort Profi. Er gewann 1989 mit Nacional die Copa Libertadores und wechselte zu Young Boys Bern mit dem Ziel sich in Europa zu etablieren und als Stammspieler zur WM-Endrunde in Italien zu fahren. Escobar war ein guter Techniker, der seine Position als Libero offensiv interpretierte. Doch er sollte nur acht Spiele für die Schweizer machen und kehrte danach zu seinem Stammklub nach Südamerika zurück. Bei der WM 1990 in Italien stand Escobar tatsächlich bei allen Spielen in der Startelf, Kolumbien verlor im Achtelfinale knapp gegen Kamerun. Doch die Südamerikaner hatten erstmals seit 28 Jahren wieder bei einer Weltmeisterschaftsendrunde gespielt und dem späteren Weltmeister Deutschland ein achtbares 1:1 abgerungen. Stars des Teams waren der spätere Rekordnationalspieler Carlos Valderrama oder „El Loco“ René Higuita – man erinnere sich an seine „Scopion-Kick“-Abwehr gegen England.
Vier Jahre später erwartete das ganze Land bei der WM in den USA viel von seiner Nationalmannschaft. Die Presse und die Fans waren sich einig, dass die Gruppenphase sicher überstanden werde. Doch Valderrama und Co. verloren das erste Match gegen Rumänien, im Spiel gegen den Gastgeber ging es demnach um alles. Doch in der 34. Minuten wollte die Nummer 2 Kolumbiens einen weiten Stanglpass klären, grätschte diesen jedoch unhaltbar für den Tormann – der in die andere Ecke unterwegs war – ins Tor ab. Stewart erhöhte nach der Halbzeitpause auf 2:0, den Kolumbianern gelang in der Schlussminute der regulären Spielzeit nur mehr der Ehrentreffer. „Ich habe das überhaupt nicht erwartet.“, erzählte Escobar wenige Tage später zurück in seiner Heimat einem Reporter. Es sollte sein erstes und sein letztes Eigentor sein. „El Caballero del Fútbol“, wie der sportlich-faire Escobar genannt wurde, und seine Teamkameraden erhielten Todesdrohungen, die sie allerdings nicht sonderlich ernst nahmen. Escobar wollte eigentlich noch Verwandte in Las Vegas besuchen, ließ sich aber von seinen Mitspielern überreden schnell in den Alltag zurückzukehren. Einer Zeitung sagte er in Anspielung auf die Endrunde: „Wir sehen uns bald wieder, das Leben hört hier nicht auf.“ Doch das tat es für ihn. Seine Freundin Pamela Cascardo war mit dem Gedanken zu Bett gegangen, dass sie in zehn oder zwölf Tagen verheiratet sei, gegen 4 Uhr früh wurde sie jedoch mit den schlimmsten Neuigkeiten ihres Lebens geweckt.
Marie Samstag, abseits.at
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