Die sprichwörtlichen Spatzen pfeifen es bereits seit Tagen von den sprichwörtlichen Dächern: Thomas Tuchel wird im Sommer wohl den französisch–katarischen Spitzenklub Paris Saint-Germain übernehmen. Geht das gut?
Ein Jahr ist im Fußball eine gefühlte Ewigkeit. Ein Trainer, der über den Zeitraum von 365 Tagen keiner Arbeit nachgeht, hat es schwer, wieder auf das Hamsterrad Profifußball aufzuspringen – außer man heißt Pep Guardiola. Der deutsche Trainer Thomas Tuchel nahm sich nun bereits zweimal ein so genanntes Sabbatical gegönnt. Und jedes Mal schien sein Marktwert nochmals gestiegen zu sein. Es muss also irgendetwas besonders an diesem dünnen Mann mit dem schütteren Haar dran sein. Denn Tuchel wurde mittlerweile bei so ziemlich jedem europäischen Topteam gehandelt – und hat nun wohl einen Vertrag beim französischen Serienmeister Paris Saint-Germain unterschrieben.
Eine beeindruckende Titelsammlung kann Tuchel definitiv nicht vorweisen. Bisher steht nur der Gewinn des DFB-Pokals 2017 mit Borussia Dortmund in seiner Vita. Außerdem gilt Tuchel als menschlich schwierig. In Mainz – seiner ersten Profitrainerstation – stieß er Manager Christian Heidel einst vor den Kopf, mit der Forderung seinen Vertrag vorzeitig aufzulösen. Die Folge war Sabbatical Nummer eins. Tuchel hatte die graue Maus Mainz zuvor in eine der taktisch spannendsten Mannschaften der Bundesliga verwandelt, und führte die Rheinhessen gleich zweimal in die Europa League.
Da Borussia Dortmund bereits gute Erfahrungen mit Ex-Mainzern auf der Trainerbank gemacht hatte (Jürgen Klopp), sicherte man sich die Dienste, des zu diesem Zeitpunkt wohl fähigsten deutschen Jungtrainers. Tuchel ließ zwar sportlich keine Wünsche offen, brachte aber die Dortmunder Führung und einen Teil der Mannschaft gegen sich auf. Schenkte man diversen Boulevard-Medien vor der Entlassung von Tuchel Glauben, handelte es sich bei dem gebürtigen Schwaben um einen vom Ehrgeiz zerfressenen Menschenfeind, der keine Rücksicht auf die Befindlichkeiten der Spieler nimmt und in einem Akt schierer Unmenschlichkeit Pizza vom Speiseplan gestrichen hatte.
Ein kleines bisschen Wahrheit steckt in dieser Überzeichnung jedoch drin: Tuchels Ehrgeiz, seine Mannschaft bei jedem Training ein Stück weit auf ein höheres Niveau zu heben, steht dem seines Vorbilds Pep Guardiola in nichts nach. Er macht aus seinem Herzen keine Mördergrube, wenn er etwas sieht, dass den Erfolg gefährden könnte. Damit eckt er gerne an. Sieht man sich den Dortmunder Kader und dessen Leistungen in dieser Saison an, liegt es durchaus im Bereich des Möglichen, dass er bereits in der letzten Saison eine Generalüberholung des Kaders eingefordert hatte, worauf sich die BVB-Granden offensichtlich nicht einlassen wollten. Tuchels Systemfußball hatte jedoch viele Schwächen kaschiert, wie in dieser Spielzeit sichtbar wurde.
Tuchels Ehrgeiz ist es auch wohl, der ihn zu PSG treibt. Einen Verein, der dank der katarischen Besitzer über unbegrenzte finanzielle Möglichkeiten und mit Neymar und Kylian Mbappe über zwei der besten Fußballer der Welt verfügt. Ein Kaliber also, welches Tuchel in seiner bisherigen Laufbahn so noch nicht unter gekommen ist. Tuchel möchte solche Spieler unbedingt trainieren, keine Frage.
Doch das Engagement birgt auch Risiken. So war PSG in den letzten Jahren eine echte Trainer – Vernichtungsmaschine. Vor allem in der Champions League hatte es kein Coach bislang geschafft, den Ansprüchen der katarischen Besitzer zu genügen. Tuchel soll das nun ändern. Und ist dazu – aufgrund seiner unbestrittenen großen Fähigkeiten – sicherlich in der Lage. Er könnte es durchaus schaffen, der Mannschaft, die im Sommer sicherlich nochmal ordentlich verstärkt wird, eine nachhaltige Spielidee zu vermitteln; was unter Trainern wie Laurent Blanc, Carlo Ancelotti oder aktuell Unai Emery so nicht gelang.
Laut diversen Gerüchten, war es bei PSG vor allem der Statthalter der Kataris, Präsident Nasser Al-Khelaifi, der sich für Tuchel ausgesprochen hatte. Der portugiesische Sportdirektor Antero Henrique soll seinen Landsmann Sergio Conceicao bevorzugt haben. Tuchel beeindruckte die katarische Führung jedoch mit seinem Vortrag über seine Spielphilosophie, den er in fließendem Französisch hielt. Die große französische Sportzeitung LÈquipe bezeichnete Tuchel schon als „Maitre du Jeu“, als Meister des Spiels.
Viel Zeit wird Tuchel bei Paris jedoch nicht bekommen, um nachzuweisen, dass es sich bei ihm wirklich um einen Maitre du Jeu handelt. Der Erfolg muss schnell her – weniger als der Einzug in das Halbfinale der Champions League darf es wohl nicht sein. Dazu muss Tuchel zuerst einmal die als besonders schwierig geltende Kabine in den Griff bekommen, die sich in dieser Saison eher durch persönliche Eitelkeiten, als durch konstruktive sportliche Zusammenarbeit ausgezeichnet hatte.
Vor allem Neymar gilt es für Tuchel schnell von sich zu überzeugen. Denn der brasilianische Superstar soll angeblich alles andere als begeistert vom Deutschen sein; er bevorzugt einen größeren Namen. Doch große Namen garantieren eben keinen Erfolg; das musste PSG in den letzten Jahren oft schmerzvoll feststellen. Ob Tuchel mit Paris die Champions League letztendlich gewinnen kann, ist natürlich alles andere als gewiss. Seine Fähigkeiten könnten den Klub jedoch einen Schritt näher an das große Ziel bringen.
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