Jeden Sonntag wollen wir in dieser Serie Spieler beleuchten, die ungewöhnliche Wege eingeschlagen haben. Wir möchten Geschichten von Sportlern erzählen, deren Karriere entweder im... (Wo)Men to (re)watch (22) –  Alexia Putellas (KW 22)

Jeden Sonntag wollen wir in dieser Serie Spieler beleuchten, die ungewöhnliche Wege eingeschlagen haben. Wir möchten Geschichten von Sportlern erzählen, deren Karriere entweder im Konjunktiv stecken blieb, die sich zu einem gegebenen Zeitpunkt radikal verändert haben oder sonst außergewöhnlich waren und sind: Sei es, dass sie sich nach dem Fußball für ein völlig anderes Leben entschieden haben, schon während ihre Profizeit nicht dem gängigen Kickerklischee entsprachen oder aus unterschiedlichen Gründen ihr Potenzial nicht ausschöpften. Auf jeden Fall wollen wir über (Ex)-Fußballer reden, die es sich lohnt auf dem Radar zu haben oder diese (wieder) in den Fokus zu rücken. Wir analysieren die Umstände, stellen Fragen und regen zum Nachdenken an. Heute sprechen wir über jene Spielerin, die als weiblicher Xavi gilt…

Ende März war das Camp Nou gut besetzt, schließlich stand das „El Clásico“ auf dem Programm und wenn Barça gegen die Königlichen antritt, ist Spannung garantiert. „Das morgige Match wird viele Menschen inspirieren!“, wusste Alexia Putellas schon vor dem Anpfiff. Sie sollte Recht behalten, denn mit 91.553 Zuschauer:innen wurde ein neuer Weltrekord aufgestellt. Fußballkenner:innen ist natürlich bekannt, dass ein nicht ausverkauftes Camp Nou beim legendärsten spanischen Spiel eher ungewöhnlich ist (Corona sagt Servus!). Beim CL-Halbfinale am 30. März trafen jedoch die Frauenabteilungen der beiden Klubs aufeinander und begründeten mit dem annähernd gefüllten Stadion einen weiteren Meilenstein in der Entwicklung des Damenfußballs. Alexia Putellas war eine der Protagonistinnen dieses Abends. Nach jenem Match, bei dem sie sich auch in die Torschützinnenliste eingetragen hatte, erklärte sie, ein Traum sei wahrgeworden. Es war jedoch bei weitem nicht der erste, den sie realisiert hat.

„Sie fühlt den Fußball mit jedem Atom ihres Körpers.“

Geboren wurde Putellas im Februar 1994 nördlich von Barcelona. Zwar stammt sie aus einer Familie, die sich eigentlich für Basketball begeistert, ihr Herz schlug aber schon als kleines Mädchen für den Fußball. Bereits als Siebenjährige begann sie auf Vereinsebene mit dem Kicken und spielte damals ‑ unter falschem Spielerinnenpass ‑ gegen mindestens fünf Jahre ältere Mädchen. Heute erzählt die Ballon d’or-Gewinnerin von 2021, dass ihre sportlichen Ambitionen zuhause stets gefördert wurden: „Ich hatte Glück, dass meine Familie mich unterstützt hat. Das war nicht bei allen Teamkolleginnen so. Sie sind für mich die wahren Heldinnen: Die Frauen, die weitermachen, weiter an sich glauben, egal, was die anderen sagen.“ Schon als Kind fuhr sie mit ihrem Vater in dem vom FCB‑Fanclub ihrer Heimatstadt Mollet del Vallès organisierten Bus zu den Heimspielen der Blaugranas und verliebte sich in den Spielstil der Katalanen.

2005 kam Alexia Putellas in die FC Barcelona-Akademie, musste jedoch später zu Stadtrivale Espanyol wechseln, da es damals noch zu wenig Förderung für Mädchenfußball beim FCB gab. 2010 debütierte sie für Espanyols Kampfmannschaft, ein Jahr später trug sie erstmals das spanische Nationaltrikot. In Fachkreisen galt sie als kommender Superstar. Ihre ehemalige Trainerin attestierte ihr schon in jungen Jahren, den Fußball mit jedem Atom ihres Körpers zu fühlen. Außerdem bescheinigte sie Alexia – wie auch ihr Trikotname lautet – bereits früh großes Interesse an Taktik. Anfangs agierte die Offensivspielerin vorwiegend auf dem Flügel, ehe sie zur Spielgestalterin in der Mitte reifte. Tiki-Taka – das ist Alexias System. Nach einer Saison bei Levante und dem erstmaligen Gewinn der Copa de la Reina, ist sie seit 2012 (wieder) beim FC Barcelona angestellt. Erst kürzlich verlängerte sie ihren Vertrag bei den Blau-Roten und begründete dies damit, das Team sei das beste Projekt der Frauenfußballwelt.

Bisher hat Barcelonas Nummer Elf unglaubliche 117 Tore in 271 Spielen für die Blaugranes erzielt – Tendenz: steigend. Putellas ist eine außergewöhnliche Mittelfeldspielerin mit feinster Technik, überragender Antizipation und Überblick. Sie ist eine erstklassige Vorbereiterin, die oft selbst trifft. Die 1,73 Meter große Sportlerin überspielt zwei, drei Gegenspielerinnen, setzt mit Zuckerpässen ihre Kolleginnen ein oder nagelt Freistöße ins Goal. Darüber hinaus ist sie eine Leaderin, die schon mit 23 Jahren den katalanischen Kultklub aufs Feld führen durfte. Aktuell listet sie eine englische Tageszeitung als beste Kickerin der Welt, man vergleicht sie mit Xavi. Die Offensivakteurin selbst bewundert dagegen Andrés Iniesta – dessen Sommercamps sie als Kind besuchte -, Rivaldo und Ronaldinho.

Putellas spielt seit ihrem Engagement konstant für Barça, konnte schon in ihrer ersten Saison bei den Katalaninnen Meisterin werden und wurde zur wertvollsten Spielerin der Copa de la Reina 2013 gewählt. Sie sammelt Titel wie andere Frauen Schuhe sammeln. Insbesondere die Saison 2020/21 wird zu ihrer Spielzeit: Alexia wird (zum fünften Mal) spanische Meisterin, (zum siebenten Mal) Cup-Siegerin, (zum zweiten Mal) Supercup-Siegerin und triumphiert (zum ersten Mal) in der Champions League. Im Finale, dass sie trotz Muskelproblemen bestreitet, verwandelt sie einen Elfmeter und bereitet das letzte Tor gegen Chelsea vor: Der ersehnte Henkelpott ist in katalanischer Hand!

Barça-Fan & Baller(in)

2021 holt die Spielerin außerdem sämtliche individuelle Auszeichnungen: Angefangen von der „Katalanischen Spielerin des Jahres“ bis zur FIFA- bzw. UEFA-Fußballerin des Jahres. Sie wird auch ins CL-Team 2020/21 gewählt. Am 26. Oktober 2021 bricht sie ‑ mit ihrem 91. Teameinsatz für Spanien – den zuvor von Marta Torrejón gehaltenen Rekord und hat zurzeit die meisten Länderspiele für die Roja absolviert. Vermutlich wird sie auch Barcelonas Rekordspielerin bzw. Torschützin werden. In ihrer Dankesrede anlässlich der Verleihung des Creu de Sant Jordi, der höchsten Auszeichnung Kataloniens, fordert die Fußballerin Buben wie Mädchen auf, für ihre Ziele zu kämpfen und schließt mit den Worten, dass der wahre Sieg erst gekommen sein wird, wenn im Sport und in der Welt 100% Gleichberechtigung herrscht.

Alexia ist Anhängerin ihres Arbeitgebers: Schon als Kind saß sie im Camp Nou, heute spielt sie regelmäßig im Estadi Johan Cruyff, dem Heimstadion der Blaugranes, in welchem sie 2019 auch den Eröffnungstreffer erzielen konnte. Kürzlich wurde ihr zugeschrieben, sie verkörpere den modernen Frauenfußball wie kaum eine andere und das stimmt: Putellas ist für ihre kickenden Geschlechtsgenossinnen nicht nur wegen ihrer hervorragenden Fähigkeiten ein Aushängeschild, die Wirtschaft hat sie auch wegen ihres guten Aussehens entdeckt. So wirbt die Spielerin für einen US‑amerikanischen Sportartikelhersteller und wird von einer Zahlungskartenfirma gesponsert. Leider sind feminine Züge, graziler Laufstil und Co. im Jahre 2022 immer noch Kriterien, die – neben Leistung – zur Vermarktung im Frauensport ausschlaggebend sind. Oder warum gibt es kein bekanntes, weibliches UFC-Pendant zu Conor McGregor?

Während Barças Nummer Elf auf Klubebene schon viel Silberware einheimsen konnte, war ihre Nationalteamlaufbahn noch nicht von Erfolg gekrönt. Zwar sorgte die Offensivspielerin schon in Spaniens U 17 und U 19 für Furore und zog beispielsweise ins U 19-WM-Finale ein. Weitere Erfolge blieben mit dem A-Nationalteam allerdings bis jetzt aus. Europas Fußballerin des Jahres 2021 hat zudem drei Spiele für die katalanische Nationalauswahl bestritten.

Privat gibt sich Alexia Putellas relativ verschlossen, manche Tore widmet sie mit symbolischem Fingerzeig ihrem 2012 verstorbenem Vater Jaume. Ihr Vater, der ihre Karriere von Kindesbeinen an stark förderte, wurde krank, als die damals 17-jährige allein in Valencia lebte und für Levante kickte. Seine letzten Monate verbrachte er in einem hiesigen Spital, damit ihn Alexia regelmäßig sehen konnte. Nach dem Tod des geliebten Papas wollte die Spielerin nicht länger an der Südostküste Spaniens bleiben. Schicksalshaft flatterte ein Angebot Barcelonas ins Postfach und ihre Karriere nahm nahe ihres Heimatortes erneut Fahrt auf. Mittlerweile trägt sie ein feingestochenes, silhouettenhaftes Tattoo eines Kinderfotos auf ihrem Rücken. Es zeigt Jaume mit ihr als Kleinkind auf dem Schoß. In der Hand hält die spätere Champions League-Siegerin einen Ball mit Barcelona-Logo. Als wäre alles vorherbestimmt gewesen…

Marie Samstag, abseits.at

Marie Samstag

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