Jeden Sonntag wollen wir in dieser Serie Spieler beleuchten, die ungewöhnliche Wege eingeschlagen haben. Wir möchten Geschichten von Sportlern erzählen, deren Karriere entweder im Konjunktiv stecken blieb, die sich zu einem gegebenen Zeitpunkt radikal verändert haben oder sonst außergewöhnlich waren und sind: Sei es, dass sie sich nach dem Fußball für ein völlig anderes Leben entschieden haben, schon während ihre Profizeit nicht dem gängigen Kickerklischee entsprachen oder aus unterschiedlichen Gründen ihr Potenzial nicht ausschöpften. Auf jeden Fall wollen wir über (Ex)-Fußballer reden, die es sich lohnt auf dem Radar zu haben oder diese (wieder) in den Fokus rücken. Wir analysieren die Umstände, stellen Fragen und regen zum Nachdenken an. Diesen Sonntag ist es Zeit für ein Porträt der sechsfachen Weltfußballerin Marta…
Sie hat einen besonderen Fan. „Glückwunsch, du bist so viel mehr als eine Fußballspielerin.“, schrieb Pelé auf seinem Instagram-Profil und meinte weiter: „Du hilfst mit deinem Talent, eine bessere Welt zu schaffen, in der Frauen mehr Platz bekommen.“ Gerichtet waren diese Worte eines der größten Fußballer aller Zeiten an seine Landsfrau Marta, als diese mit ihrem Treffer im fünften Spiel eines Olympischen Sommerturniers in Folge einen Rekord brach. Mit siebzehn Toren ist die brasilianische Angreiferin auch FIFA-Weltmeisterschaftsendrundenrekordtorschützin und hat damit einen Treffer mehr als Miroslav Klose erzielt. Die heute 36-jährige gilt als eine der besten und erfolgreichsten Fußballerinnen ihrer Zeit, doch neben ihrem sportlichen Ehrgeiz ist sie heute bestrebt ihre Prominenz zu nutzen, um sich gegen Kinderarmut und für die Rechte der LGBTQ-Community stark zu machen. „Gebt eure Träume nicht auf! Egal, wie schwierig der Weg ist.“, predigt sie dabei.
Bus nach Rio
Martas Geschichte begann im tiefsten Brasilien, im ländlichen Bundesstaat Alagoas, wo sie am 19. Februar 1986 geboren wurde. Ihr Vater verließ die Familie als sie nur ein Jahr alt war; Marta und ihre Geschwister wurden von Mutter und Großmutter aufgezogen. Armut und Hunger waren keine Unbekannten. Statt regelmäßig in die Schule zu gehen, verkaufte die spätere Profifußballerin Obst auf dem lokalen Markt oder Kleidung in den Straßen ihres Heimatortes. „Ich habe nie meinen Antrieb zu gewinnen und meine Träume zu verfolgen verloren.“, erzählt sie über ihre harte Jugend. Obwohl sie als Mädchen weder bei ihren Brüdern mitkicken durfte noch eigene Fußballschuhe besaß, biss sich Marta durch. Als 14-jährige bestieg sie alleine einen Bus nach Rio de Janeiro – nur von dem Gedanken beseelt bei CR Vasco da Gama im Probetraining zu überzeugen. Die Fahrt dauerte drei Tage und markiert den Beginn einer Weltkarriere.
Die Trainerin Helena Pacheco entdeckte ihr Talent und Marta blieb zwei Jahre lang bei Vasco. 2002 feierte sie außerdem ihr Debüt im brasilianischen Nationalteam. Heute trägt sie das gelbe Trikot mit der legendären Nummer 10 – wie Pelé. Von São Martins wechselte die Stürmerin als 18‑jährige zum schwedischen Fußballverein Umeå IK, wo sie sich mit insgesamt drei Treffern in den UEFA‑Cup‑Finalspielen gleich unsterblich machte. Ihre erfolgreichsten Jahre begannen: Marta schoss Tor um Tor und avancierte zur besten Fußballerin der Welt. Umeå blieb zeitweise ohne Niederlage in der Liga, die Brasilianerin wurde 2006 das erste Mal zur FIFA-Spielerin des Jahres gewählt. Nach vier Saisonen und vier Meistertiteln in Nordeuropa verabschiedete sich die damals fast 23-jährige in die USA, da sich die dortige Liga bemühte die besten Fußballerinnen der Welt zu vereinen.
Fußballexperten sehen in Marta das weibliche alter ego Pelés: Schnell, technisch brillant und torhungrig. Oft lässt sie ihre Gegnerinnen wie ein Stück Holz stehen oder verlädt Torfrauen mit einer schnellen Bewegung, um dann beinahe lässig an ihnen vorbeizuschießen. Zwar begann sie ihre Laufbahn als Spielmacherin, wird aufgrund ihrer überragenden Scorer-Fähigkeiten aber bis heute sowohl als Mittelstürmerin als auch am Flügel eingesetzt. Marta kann alles. Sie ist kreativ, zielstrebig und zeigt Führungsqualitäten.
Marta, Marta
Obwohl ihr Erfolgsrun auch in der nordamerikanischen Frauenliga weiterging – so wurde sie beispielsweise Torschützenkönigin und Vizemeisterin – konnte die 154-fache Nationalspielerin aufgrund finanzieller Schwierigkeiten zweimal ihren Vertrag nicht erfüllen. Nachdem die US-Profiliga die Saison 2012 abgesagt hatte, packte Marta schließlich ihre Koffer und zog wieder nach Schweden, wo sie sich Tyresö FF anschloss. Es schien jedoch als hätte sie das (finanzielle) Pech über den großen Teich mitgenommen, denn nach zwei Jahren war auch ihr damaliger Arbeitgeber insolvent und die Brasilianerin wechselte zum FC Rosengård. Seit 2017 ist sie bei Orlando Pride in der National Women’s Soccer League engagiert und bekleidet das Kapitänsamt. Ihre Teamkolleginnen bezeichnen sie als nahbar und bescheiden. Marta gilt als lebende Legende und Aushängeschild des Frauenfußballs, trotzdem ist über ihr Privatleben nur wenig bekannt.
Ihre internationale Karriere hatte 2007 ihren tragischen Höhepunkt: Die Spielerin vergab im Endspiel gegen Deutschland einen Elfmeter, der zu diesem Zeitpunkt den Ausgleich bedeutet hätte. Die DFB‑Frauen wurden schließlich dank eines 2:0-Sieges über Brasilien Weltmeisterinnen und Marta war am Boden zerstört. Ausgerechnet sie, ausgerechnet in diesem Spiel: Marta, Marta! Es schien wie verhext, denn zum großen Coup mit dem Nationalteam sollte es für die USA-Legionärin nicht reichen:
Auch bei den Olympischen Spielen 2004 und 2008 musste sich die Angreiferin mit der Silbermedaille „begnügen“. Gerade weil sie aus Brasilien stammt, sei das für sie besonders schwer zu akzeptieren, erzählt die Fußballerin heute: Als Sambakicker/in müsse man ein Finale einfach gewinnen. Heute sei ihr Antrieb jedoch mehr denn je, dass der Frauenfußball durch ihre Leistung mehr Wertschätzung erfahre; die 36-jährige ist mit ihrer überragenden Karriere zufrieden. Schließlich träumte sie schon früher nicht nur von Pokalen und Geldprämien, sondern vor allem von Respekt vor ihrem Können: „Wenn die Leute geredet haben, dass Fußball kein Mädchensport ist und ich lieber mit Puppen spielen soll, dachte ich immer: ‚Ich werde es ihnen auf dem Platz zeigen.‘ Deswegen liebe ich das Spiel.“
Marie Samstag, abseits.at
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