Jeden Sonntag wollen wir in dieser neuen Serie einen Blick in die Vergangenheit werfen: Wir spielen sozusagen einen Zuckerpass in den Rückraum und widmen... Wiederholung in Zeitlupe (20) – Bye-bye, Wankdorfstadion (KW 31)

Jeden Sonntag wollen wir in dieser neuen Serie einen Blick in die Vergangenheit werfen: Wir spielen sozusagen einen Zuckerpass in den Rückraum und widmen uns kurz und bündig legendären Toren, Spielen, Fußballpersönlichkeiten, Ereignissen auf oder neben dem Platz und vielem mehr. Wir wollen Momente, Begebenheiten, Biografien im Stile von Zeitlupenwiederholungen aus dem TV nochmals Revue passieren lassen. Gedanken machen wir uns dabei über Vergangenes, das in der abgelaufenen Kalenderwoche stattgefunden hat: Heute reisen wir zwanzig Jahre zurück, zum 3. August 2001, als das Berner Wankdorfstadion gesprengt wurde und erinnern uns an das wohl legendärste Fußballspiel, das darin stattgefunden hat…

Ein Stadion wie ein Schweizer Uhrwerk

Seinen Namen bekam es von jenem Viertel, in dem es liegt – dem Wankdorffeld, ein sogenanntes Quartier der Stadt Bern. Kein schöner Ort zum Wohnen, eher einer für Industrie, Gewerbe und eben Sport: Es gibt dort neben einer Leichtathletikhalle und Sporthalle auch das berühmte Stadion Wankdorf an der Papiermühlestraße. Doch die 2005 erbaute Sportstätte ist nur der Nachfolger des legendären Schauplatzes des WM-Finales 1954. Heute wie damals ist es Heimat der Young Boys Bern.

Der 1898 gegründete Klub spielte ab 1924 am Berner Wankdorffeld und eröffnete im Oktober 1925 dort das erste Stadion mit insgesamt 22.000 Plätzen. Die Gelb-Schwarzen setzten so ein Ausrufezeichen gegenüber dem Stadtrivalen FC Bern und ließen ihre neue Heimstätte in den kommenden 30er-Jahren schrittweise ausbauen. Für die Endrunde der Fußball-Weltmeisterschaft 1954 wurde dieses stückweise verbesserte Stadion jedoch komplett abgerissen und vom Architekten-Duo Haemmig und Muzzulini neu erbaut. Es fasste dreimal so viele Plätze wie die erste Version des Wankdorfstadions.

Am 4. Juli 1954 war es Schauplatz des berühmten 3:2-Sieges der BRD-Elf über die Ungarn, das zum Gründungsmythos des deutschen Fußballs gehört. Das Stadion war zum Bersten gefüllt, die Zuschauer saßen knapp an der Seitenoutlinie. Es war ein unglaubliches Match: Puskás und Co. stürmten los und führten schnell mit 2:0. Deutschland fand aber in der zehnten Minute mit dem Anschlusstreffer wieder ins Spiel. Es folgte ein Schlagabtausch: Lattentreffer, Abseits, Dramatik pur. Helmut Rahns Schuss in die linke untere Ecke sollte jedoch in der 84. Minute den Siegestreffer markieren. Die von Longines gesponserte Stadionuhr zeigte 2 (Ungarn) : 3 (Deutschland) als Kapitän Fritz Walter den Pokal von FIFA-Präsident Jules Rimet entgegennahm. Für die Deutschen war es das „Wunder von Bern“, für die Ungarn die verpasste Krönung der „Goldenen Elf“. Das Wankendorfstadion spielte drei Jahre nach seiner Sprengung in der Kontroverse um den damaligen Titelgewinn noch einmal eine Hauptrolle, als der ehemalige Berner Platzwart einem Journalisten beichtete, er habe damals Spritzbesteck in den Waschräumen der Kabinen gefunden. Gerüchte um Doping machten nämlich seit dem Triumph der Deutschen die Runde.

Trotzdem blieb dieses WM-Finale das berühmteste Spiel des Wankendorfstadions, wenn auch das Endspiel im Europapokal der Landesmeister 1961 und das Finale des Europacups der Pokalsieger 1989 auf seinem Rasen ausgetragen wurden. Später konnte die Berner Spielstätte aus Sicherheitsgründen nicht mehr voll ausverkauft werden: Das Wankendorfstadion war zwar Kult aber mit seinen vielen Stehplätzen, nicht-überdachten Holzbänken und zum Teil durchgesackten Betonstufen schon längst nicht mehr zeitgemäß. Am 3. August 2001 erfolgte die Sprengung. Deutschland sicherte sich zuvor noch ein Stück Rasen für den Garten des Bundeskanzleramts in Berlin, die legendäre Uhr wurde mit der Endstandanzeige vom 4. Juli 1954 restauriert vor dem neuen Stadion platziert. Seit 2005 gibt es das Stadion Wankdorf II. Fraglich, ob diese jemals ein ähnlich bedeutsames Endspiel wie das WM-Finale 1954 sehen wird.

Marie Samstag, abseits.at

Marie Samstag