Schritt für Schritt nähern wir uns dem großen WM-Finale in Moskau, welches bereits am Sonntag ausgetragen wird. Vier Mannschaften sind von insgesamt 32... Analyse: Defensivbollwerk schlägt Offensivpower

 

Schritt für Schritt nähern wir uns dem großen WM-Finale in Moskau, welches bereits am Sonntag ausgetragen wird. Vier Mannschaften sind von insgesamt 32 Teams übrig geblieben und träumen vom ganz großen Coup, dem sie alle so nahe sind. Das erste Duell lieferten sich dabei die beiden Turnierfavoriten Frankreich und Belgien, die man auch vor dem Start dick auf dem Zettel hatte. Dabei kam es auch zu einer Begegnung zweier verschiedener Teams mit unterschiedlicher Ausrichtung – einmal  Frankreich, das sehr strikt auf die defensive Ordnung achtet und wenig zulässt und auf der Gegenseite die Belgier, die vor allem mit ihrer taktischen Variabilität punkten können und in der Offensive meist überzeugten. Daher fieberte man auch zurecht dieser Partie entgegen und die Frage war nun, welche Spielanlage würde sich letztlich durchsetzen?

Frankreich und die Defensive als Trumpf

Dass die Franzosen ins Halbfinale vorgestoßen sind, ist für die wenigsten eine Überraschung. Doch trotz einer hochkarätigen Mannschaft, sind die Leistungen der Mannschaft alles andere als berauschend. Geradezu frustrierend mitanzusehen ist es teilweise eine so individuell herausragende Mannschaft so verhalten spielen zu sehen. Dieser pragmatische Ansatz ist für das Auge zwar nicht unbedingt schön anzusehen, wie erst unlängst die Viertelfinalbegegnung gegen Uruguay dies trefflich offenbarte, doch in dieser Phase geht es letztendlich nur um das Gewinnen und den Turniersieg. So bekam man auch gegen die Belgier von den Franzosen das übliche Vorgehen zu sehen. Die „Les-Bleus“ agierten aus einer 4-4-2/4-4-1-1-Grundformation heraus, mit klarem Fokus auf das Spiel gegen den Ball, wo vor allem ein diszipliniertes Verhalten von den Spielern gefragt ist. So beteiligen sich alle Spieler an der Defensivarbeit und auch die Stürmer mussten weite Wege gehen, um die gesamte Stabilität der Formation zu wahren. Gegen die Belgier lautete das klare Ziel dabei: Zentrum dichtmachen.

Um das zu bewerkstelligen, hat man natürlich das belgische Spiel analysiert und versucht, die Stärke des Gegners einzudämmen. Um das Zentrum zu verschließen, fängt das Verteidigen natürlich an vorderster Front an. Interessant war dabei zu sehen, dass die beiden Stürmer die gegnerische Innenverteidigung  im Spielaufbau weitestgehend gewähren ließ und sich stattdessen lieber an den beiden Sechsern der Belgier orientierten, um sie nicht ins Spiel kommen zu lassen und den Ball möglicherweise in höhere Zonen zu tragen. In der nächsten Linie sollten sich vor allem die eigenen beiden Sechser Kante und Pogba an unmittelbare Gegenspieler im Zentrum orientieren und diese abdecken, um auch diese Anspielstationen zu versperren oder zumindest sie in den Deckungsschatten zu nehmen. Das Ganze sah dann ungefähr so aus:

Belgien im Spielaufbau, Frankreich formiert sich gegen den Ball zu einem 4-4-2, wobei sich die beiden Stürmer und Sechser an ihrem jeweiligen Gegenspieler im Zentrum orientieren und sie im Auge behalten.

Die Sechser mussten allerdings aufpassen, nicht zu weit voneinander zu stehen und sich mitziehen zu lassen, um dadurch den Passweg zu Lukaku zu öffnen. Die beiden Flügelspieler daneben agierten dabei zunächst recht raumorientiert und hielten ihre Position neben den beiden Sechsern, wobei Rechtsaußen Mbappe auf Vertonghen herausrücken sollte, wenn dieser an den Ball kam. Man zog das zu Beginn recht konsequent durch und verzichtete dabei auch auf ein höheres Attackieren, weshalb man von Anfang an relativ viel Zeit in der eigenen Hälfte verbrachte. Nach Ballgewinn sollte dafür die Post abgehen und speziell der sprintstarke Jungstar Mbappe gesucht werden, um dem Gegner dahingehend wehzutun und eine mögliche Schwäche in der Defensive der Belgier ausnutzen, da auf der Seite der sehr offensiv ausgerichtete Hazard zumeist aktiv ist.

Man versuchte aber auch gelegentlich etwas länger den Ball in den eigenen Reihen zirkulieren zu lassen, wobei man dies in der bekannten 2-1-4-3-Struktur praktizierte, in der Ankerspieler Kante eine wichtige Rolle einnahm und die Verbindungen zu seinen Mitspielern gewährleisten sollte. In den Halbräumen davor rückten von links Matuidi und Pogba ein, während ganz vorne der Dreierangriff Giroud, Griezmann und Mbappe für die besonderen Momente sorgen sollte. Hier gab es jedoch auch bereits unterschiedliche Rollen zu sehen, da Mbappe wesentlich breiter stand, während Griezmann sehr invers agierte und überall auftauchte, also die Position am linken Flügel nur sehr selten einnahm. Dabei baute man die Angriffe meist über den Flügel auf, da die Belgier das Zentrum gut verdichteten, weshalb Kante immer wieder zwischen den beiden Innenverteidigern abkippte, um zu Ballkontakten zu kommen und die eigene Formation im Spielaufbau breiter zu machen – um das Feld zu strecken. Die Belgier reagierten darauf allerdings passend, weshalb man in der Hinsicht wenig glänzen konnte und öfter zum langen Ball griff. Der Fokus blieb daher ganz klar auf das schnelle Umschaltspiel nach Ballgewinn. Die Franzosen agierten also wie gewohnt, dafür konnten die Belgier mal wieder überraschen.

Martinez verändert erneut die Grundordnung

Der Trainer der Belgier Roberto Martinez wurde speziell nach diesem Turnier seinem Ruf als „Taktikfuchs“ mal wieder gerecht. Er bewies nicht nur, dass er ein attraktives Spiel imstande ist zu orchestrieren, sondern zeigte auch seine taktische Flexibilität und Anpassungsfähigkeit. Auch gegen die Franzosen veränderte er einige Dinge, um sich auf den Gegner besser einzustellen. Zunächst einmal wurde die Grundformation neuerlich verändert und die Belgier traten in einem 4-2-3-1 auf, in dem Chadli den gesperrten Meunier auf der rechten Seite ersetze, Dembele neben Witsel auf die Sechs rutschte und Fellaini nominell hinter der einzigen Spitze Lukaku aufgestellt wurde, der zusätzlich von Hazard und De Bruyne flankiert wurde. Gegen den Ball verzichtete man wie die Franzosen auf ein höheres Attackieren und fokussierte sich darauf, die Passwege in die eigene Hälfte zuzustellen. Um dies zu bewerkstelligen, ließ man die Innenverteidiger zwar in Ruhe, jedoch orientierte sich Lukaku an Sechser Kante, während sich Hazard und De Bruyne an den beiden Innenverteidigern orientierten und versuchten, ihnen mittels Deckungsschatten die Passwege ins Mittelfeld zu versperren, wodurch die Formation auch mal kurzzeitig zu einem 4-3-3 wurde. Dies kann man im nächsten Bild gut sehen:

Frankreich im Spielaufbau, Belgien erwartet sie in einem kompakten 4-2-3-1/4-3-3, wobei sich die vorderste Reihe an den Gegner direkt orientiert und Fellaini im Mittelfeld die Bewegungen von Pogba verfolgt.

Interessant war dabei aber speziell die Rolle von Fellaini. Nachdem er gegen Brasilien vor allem gegen den Ball eine starke Leistung ablieferte und die mit Abstand meisten Zweikämpfe führte, bekam er gegen die Franzosen einen neuen Auftrag. Seine Rolle bestand darin, seinen Gegenüber Pogba in eine klassische Manndeckung zu nehmen. Egal in welchen Räumen oder in welcher Position Pogba auftauchte, Fellaini musste ihm folgen, sei es ganz hinten oder ganz vorne. Damit wollte man den wichtigen Verbindungsspieler der Franzosen aus dem Spiel nehmen und damit das Offensivspiel des Gegners hemmen.

Interessant war aber auch die Struktur in der Offensive der Belgier. Trainer Martinez zeigte mal wieder, dass die gern geführte „Systemdiskussion“ relativ ist und die Formation im Spiel oft variiert. So veränderte sich im Ballbesitz die Struktur von einem 4-2-3-1 zu einem 3-4-3/3-2-4-1, was man von den Belgiern zumeist sieht. Dabei rückte Vertonghen von links nach innen neben die beiden Innenverteidiger Kompany und Alderweireld, während auf rechts Chadli nach vorne schob und Breite gab. Spannend war dabei, wie man dies auf der linke Seite gestaltete. So spielte Kapitän Hazard quasi den linken „Wing-Back“ und stand draußen auf der Linie, während Fellaini den linken Halbraum besetze, wie sein Pendant De Bruyne auf rechts. Die Struktur im Ballbesitz kann man beim nächsten Bild gut sehen:

Belgien im Spielaufbau, die Formation wird zu einem 3-4-3/3-2-4-1, wobei Hazard nach Linksaußen rückt, während De Bruyne im rechten Halbraum agiert.

Gelegentlich zog es Hazard auch in die Mitte, weshalb von Fellaini viel Aufmerksamkeit gefragt war, um in dem Fall dessen Position einzunehmen und auf den Flügel zu gehen. Durch diese Struktur wollte man gewährleisten, dass im Positionsspiel alle relevanten Räume besetzt waren und dadurch auch stabile Verbindungen in der Ballzirkulation möglich sind. Dies klappte zu Beginn auch recht gut, Belgien übernahm die Kontrolle über das Spiel und kam auf relativ lange Ballbesitzphasen. Speziell horizontal/diagonal konnte man den Ball gut in den Reihen halten und den gegnerischen Block in Bewegung bringen, wobei man es vor allem über rechts mit schnelle Verlagerungen auf Chadli versuchte, der dann entweder ins Dribbling oder Flanken in den Strafraum bringen sollte. Speziell bis zu der 20. Minute hatten die Belgier dadurch eine gute Phase, kamen da auf einige gute Szenen im Gegenpressing und konnten sich auch einige gute Chancen erarbeiten, die man jedoch nicht im Tor unterbrachte.

Die Franzosen arbeiteten sich jedoch nach und nach in diese Spiel hinein und fanden nach dieser Phase einen besseren Zugriff auf die Partie, da man sich besser auf Chadli einstellte und dadurch zu mehr Ballgewinnen kam. Dadurch konnte man die Ballzirkulation der Belgier zum Stocken bringen und sie zu einigen einfachen Ballverlusten zwingen, um dann selber offensiv tätig zu werden und zu kontern. Dabei ging vor allem viel über den rechten Flügel und den starken Mbappe, der auch die Vorarbeit zur besten Chance in der ersten Hälfte leistete, als Pavard alleine vor dem Tor stand und Courtois zu einer Glanzparade zwang. Dadurch ging es mit einem torlosen Remis in die Kabinen.

Frankreich geht in Führung und verbarrikadiert sich

Nach Wiederanpfiff bekam man bei den Franzosen gleich direkt eine interessante Anpassung zu sehen. Nachdem die Belgier in der Regel speziell über die eigene linke Seite weit in die eigene Hälfte vorstoßen konnten, adaptierte man die Rolle von Matuidi etwas. Der sollte nun die Wege von Chadli besser kontrollieren und sich mehr an ihm orientieren, wodurch er auch mal in die Verteidigung zurückging und kurzzeitig eine Fünferkette entstand. Auch wenn Linksverteidiger Hernandez auf Chadli herausrückte, musste Matuidi dessen Bewegung ausbalancieren und in die Abwehr rücken, gleichzeitig aber auch De Bruyne im Auge behalten. Eine sehr umfangreiche und komplexe Aufgabe also für den Mittelfeldspieler. Dadurch kam es zu einer Asymmetrie bei den Franzosen, da sein Gegenüber Mbappe stattdessen sehr hoch blieb, um die Räume hinter Hazard zu attackieren, wodurch das System mehr zu einem 4-3-3 wurde.

Nachdem die Belgier gut aus der Kabine kamen und zwei gefährliche Flanken in den Strafraum beförderten, schlugen die Franzosen plötzlich zu. Nach einem Eckball köpfte Innenverteidiger Umtiti am kurzen Pfosten den Ball ins Tor und brachte seine Mannschaft damit in Führung. Dadurch veränderte sich die Charakteristik des Spiels noch deutlicher. Frankreich zog sich nun noch etwas weiter zurück und überließ den Belgiern das Spiel komplett, wobei selbst die Stürmer der „Les Bleus“ sehr tief verteidigten und weit zurückarbeiteten. Man lauerte nun ausschließlich auf Konter und verzichtete nach Ballgewinn auf längere Ballbesitzphasen.

Für die Belgier bedeutete dies, dass man nun gezwungen war, diesen tiefen, engmaschigen Abwehrblock der Franzosen zu durchbrechen. Martinez brachte Mertens für Chadli, um im letzten Drittel noch mehr Durchschlagskraft zu generieren. Doch die Belgier taten sich schwer, Lösungen zu finden und Durchbrüche zu kreieren. Das hing in erster Linie an den Franzosen, deren Defensive oft so aussah:

Belgien im Ballbesitz, jedoch stehen die Franzosen in einer 6-4-0 (!) Anordnung, da Matuidi zurückfällt und Pogba Fellaini in die Abwehr verfolgt, und machen dadurch die relevanten Räume in der eigenen Hälfte völlig dicht.

Durch die gute Defensivarbeit der Franzosen, war es für die Belgier unheimlich schwer, in höhere Zonen vorzustoßen und konstanten Druck aufzubauen, trotz knapp 65 Prozent Ballbesitz. Bisweilen lag es daran, dass man sich zu sehr auf Einzelaktionen und Dribblings von Hazard und De Bruyne verließ, diese jedoch nicht passend strukturell einband und es daher recht wild und unbeholfen wirkte. Dadurch verfing man sich meist im Netz der Franzosen und verzweifelte regelrecht an der Kompaktheit des Gegners. Belgiens Trainer Martinez versuchte von der Bank noch Impulse zu setzen, zog De Bruyne weiter zurück um das Spiel anzukurbeln, brachte mit Carrasco einen weiteren Flügeldribbler ins Spiel und ging volles Risiko ein. Doch egal was die Belgier auch probierten, gegen die massive französische Defensive gab es einfach kein Vorbeikommen mehr und auch die verzweifelten Flankenversuche wurden meist problemlos von den Franzosen geklärt.  Frankreich spielte das dann auch vor allem in der Schlussphase souverän runter, ließ sich mit ihren Aktionen viel Zeit und stellten die Belgier bei Outeinwürfen in der eigenen Hälfte vorne zu, wodurch die Belgier die letzen Minuten den gegnerischen Strafraum überhaupt nicht mehr zu Gesicht bekamen. Durch diese Abgebrüdheit vergingen die Minuten wie im Flug und es kam zu keinem letzen Aufbäumen der Belgier, wodurch es beim 1:0 Sieg der Franzosen blieb.

Fazit

In diesem Spitzenspiel zweier bärenstarker Mannschaften setze sich also letztendlich Frankreich durch. Die „Les-Bleus“ agierten dabei weitestgehend im Stile einer Turniermannschaft, pragmatisch und wenig spektakulär, allerdings angeführt von einem überragenden Raphael Varane mit einer starken Defensivleistung aufzeigen konnten, in der alle zehn Feldspieler diszipliniert nach hinten arbeiteten und sich für keinen Schritt zu schade waren. In der Offensive nutze man vor allem die individuelle Klasse von Mbappe und Griezmann aus, die immer wieder für besondere Momente verantwortlich waren, wobei vor allem der Jungstar Mbappe glänzen konnte. Dass der Sieg letztlich verdient zwar, zeigt auch die „Expected Goals“-Statistik, in der Frankreich mit knapp 2:0,5 deutlich die Nase vorne hatte. Die Spielweise der Franzosen mag dabei zwar kein Augenschmaus sein, allerdings ist sie ziemlich effektiv und brachte sie so ins Finale, wo man nur noch einen letzen Schritt von dem ganz großen Coup entfernt ist.

Die Belgier hingegen müssen durch diese Niederlage den Traum den goldenen Pokal nach Hause zu holen endgültig begraben. Dabei kann man recht gut in die Partie hinein und zeigte wieder einige interessante taktische Varianten, mit denen man aufwarten konnte und dem Gegner Probleme bereitete. Jedoch machte sich vor allem in Sachen Durchschlagskraft die Abwesenheit von Meunier bemerkbar und auch De Bruyne band man nicht wirklich passend in das Spiel hinein, weshalb die Offensive nicht so durchschlagskräftig wie gewöhnlich agierte. Mit dem Rückstand wurde die Aufgabe noch schwerer und man fand gegen die sattelfeste Defensive des Gegners keine Lösungen, weshalb man letztendlich auch verdient eine Niederlage einstecken musste. Nichtsdestotrotz können die Belgier Stolz auf ihre Leistung sein, denn sie spielten erfrischenden Offensivfußball und zeigten, dass sie im Vorfeld zu Recht von vielen Experten so hoch eingeschätzt wurden.

Dalibor Babic, abseits.at

Dalibor Babic

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