Jeden Sonntag wollen wir an dieser Stelle Briefe aus aktuellem Anlass versenden. Mit Gruß und Kuss direkt aus der Redaktion – Zeilen zum Schmunzeln, Schnäuzen und Nachdenken an Fußballprotagonisten aus allen Ligen. Diesen Sonntag adressieren wir unseren Brief an den nicht mehr amtierenden Weltmeister, Deutschland.
Liebe Ex-Weltmeister!
Es ist jetzt ziemlich genau fünf Jahre her, dass ihr euch in Brasilien zum Fußballweltmeister gekrönt und den vierten Stern für Deutschland geholt habt. Ich kann mich noch gut an diese Zeit erinnern. Ich denke, ihr habt es damals wirklich verdient gehabt ganz oben zu stehen, obwohl ihr zuvor in Südafrika eigentlich den besseren Fußball gespielt habt. Damals fand ich so bemerkenswert, dass man eure Entwicklung gut beobachten konnte: Die unglaubliche Euphorie um die Heim-WM 2006, das knappte Scheitern im Halbfinale gegen den späteren Turniersieger Spanien 2010 bis zu jenem Abend in Rio, als euch Mario Götze ins Glück schoss. Der bittere Beigeschmack ist, dass es so scheint, als habe dieses Tor dem heute 27-Jährigen nicht wirklich Glück gebracht. Auch sein weiterer Werdegang hat damit zu tun, warum ich diesen Brief schreibe.
Als ihr in Russland in der Vorrunde gescheitert seid, ist die Öffentlichkeit über euch hergefallen: Bequemlichkeit war noch das Harmloseste, was sie euch vorgeworfen haben. Überheblich und arrogant sollt ihr gewesen sein, zudem sportlich weit über dem Zenit. Von einer peinlichen und historischen Schmach war die Rede.
Keine Frage, es ist nicht der Anspruch eines Weltmeisters in der Gruppenphase auszuscheiden, so ist aber der Sport. Fußball ist keine Wissenschaft. Qualität ist schwer an etwas fest zu machen. Welche Mannschaft die beste der Welt sein soll, kann man unmöglich eindeutig bestimmen. Die Tabelle nach einer WM und die Reihung der 100 besten Beatles-Songs, die irgendein Musikjournalist erfunden hat, haben nur auf den ersten Blick nichts gemeinsam. Wo auf der einen Seite Spielglück und Tagesverfassung entscheiden, ist auf der anderen Seite der Geschmack und nicht nur das Fachwissen einer Person ausschlaggebend.
In unserer Gesellschaft gibt es keine Kultur des Verlierens. Man schwankt zwischen Triumph und Versagen. Ich fand es wirklich schade, wie letztes Jahr mit euch umgegangen wurde. Mario Götze hat es schon früher erwischt: Sein großes Talent ausgenommen, aber nur, wer einmal ein wichtiges Tor erzielt, muss nicht bei jedem zukünftigen Kick, das Spiel seines Lebens abliefern. Selbst bei seriösen Kollegen hatte ich den Eindruck, man wolle dem Burschen mit der Frage, wie man sich denn fühle, wenn man das Größte im Leben schon hinter sich habe, sein Jahrhunderttor madigmachen.
Später wurden Hummels, Boateng und Müller auf unfeine Art verabschiedet. Es macht mich traurig, wie respektlos viele verdiente Spieler behandelt wurden. Klar, es ist die Aufgabe der Medien zu berichten und es ist die Pflicht der Entscheidungsträger Entscheidungen zu treffen. Dennoch hoffe ich für Griezmann und Co., dass sie nicht von „Hero to Zero“ abgestempelt werden, sollte es bei der kommenden Endrunde schlecht laufen. Denn so ist das Leben, es geht bergauf und dann wieder bergab. Und dann fängt es wieder von vorne an.
Mögt ihr eure Leistung in Brasilien trotz allem nie vergessen!
Alles Gute für die Zukunft wüscht euch
Marie Samstag, abseits.at
Marie Samstag
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