Sehr defensiv, sehr pragmatisch – so holte Frankeich den Titel bei der diesjährigen Weltmeisterschaft. Das ungeheure Potenzial in der Offensive blitzte dabei nur selten... Kommentar: Ist Frankreich ein verdienter Weltmeister?

Sehr defensiv, sehr pragmatisch – so holte Frankeich den Titel bei der diesjährigen Weltmeisterschaft. Das ungeheure Potenzial in der Offensive blitzte dabei nur selten auf. Trainer Didier Deschamps ging es eher darum stabil zu stehen; und vor allem: zu gewinnen. Darf man das? Ist Frankreich wirklich der verdiente Weltmeister?

Um Frage gleich zu Beginn dieses Kommentars zu beantworten: Ja. Kein Team konnte sich am Ende so gut den Bedingungen eines Mammut-Turniers anpassen, wie die Weltmeisterschaft nun einmal eines ist. Trainer Didier Deschamps gelang es dabei, im Verlaufe des Turniers die optimale Herangehensweise zu finden: defensiv stabil stehen und auf Konter sowie Standards setzen.

Eigentlich eine Taktik, die vorwiegend Außenseiter anwenden, wenn sie auf spielerisch bessere Teams treffen. Viele hat das irritiert. Auch ich habe Frankreich in diversen Power Rankings weit hinten platziert, was vor allem an ihrer Spielweise lag. Bei mir machte sich schnell Enttäuschung darüber breit, dass die Franzosen ihr gewaltiges spielerisches Potenzial offensichtlich gar nicht ausschöpfen wollen. Ich fühlte mich betrogen, wollte ich doch Zauberfußball von den Les Bleus sehen.

Aber mal ehrlich: Teams und Trainer treten nicht bei einer WM an, um Leute wie mich zu unterhalten – sondern um zu gewinnen. Denn darum geht es im Fußball nun mal zu aller erst, davon hängen viel Geld und viel Ruhm und ganze Karrieren ab. Auch die Menschen im eigenen Land wollen doch zu aller erst Siege feiern.

In Schönheit gestorben sind bei Weltmeisterschaften schon viele Teams. Als erstes kommt einem dabei natürlich die großen niederländischen Teams von 1974 und 1978 in den Sinn, die mit ihrem „Voetbal total“ zwar die Massen begeisterten, am Ende aber jeweils ohne die Krönung dastanden. Auch die große ungarische Mannschaft der 50er Jahre gehören in diese Kategorie.

Ich kann mich an wenige Weltmeister in den vergangenen Jahren erinnern, die auf dem Weg zum Titel fußballerisch begeistert haben. Aber was ist mit Spanien 2010? Haben die nicht mit ihrem Tiki-Taka begeistert? Als Mensch neigt man ja dazu, die Vergangenheit zu verklären. Denn auch die Spanier damals wählten in der K.o.-Phase einen höchst pragmatischen und defensiven Ansatz, gewannen jedes Spiel ab dem Achtelfinale mit 1:0.

Vielleicht ist es wirklich nur so möglich, einen Weltmeisterschaft zu gewinnen. Zumindest bei einer Teilnehmerzahl von 32 Mannschaften. Und besser wird es nicht, wird das Feld doch ab 2026 auf 48 Teams erhöht.

Daher ist Frankreich auch der verdiente Weltmeister 2018. Jeder Spieler stellte sich in den Dienst der  Mannschaft. Ein Paul Pogba erfüllte seine Aufgaben in der Defensive vorbildlich, ein Stürmer wie Oliver Giroud war nicht auf Tore aus, sondern riss Lücken im Angriff und diente als Anspielstation im letzten Drittel – also dort, wo die Spiele am Ende entschieden werden. Und einem defensiven Genie, wie N`Golo Kante eines ist, bei der Arbeit zuzusehen, hat eben auch etwas für sich.

Doch bei aller Stabilität – ohne Tore geht es nun einmal nicht. Und dafür sorgten die Weltklassespieler Antoine Griezmann – der für mich eigentlich der beste Spieler des Turniers war, mit Luka Modric kann ich aber auch leben – sowie Kylian Mbappe, auf die Deschamps sich in den entscheidenden Momenten vor dem Tor verlassen konnte.

Frankreich ist der verdiente Weltmeister. Weil Deschamps den Zugang zu seinen Spielern gefunden hat, sie ihre Egos hintenanstellten, für die Mannschaft arbeiteten und das taten was nötig war, um zu gewinnen. Großer Fußball ist eben nicht gleichbedeutend mit schönem Fußball. Das hat diese Weltmeisterschaft wieder gezeigt.

Wobei Schönheit natürlich relativ ist. Fußball ist eben ein Mannschaftssport. Und es liegt auch eine gewisse Schönheit darin, einer perfekt funktionierenden Mannschaft zuzuschauen. Daher ist Frankreich der verdiente Weltmeister.

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