Bonucci, Motta, De Rossi, Balotelli – Arbeloa, Sergio Ramos, Xabi Alonso. Was nach einem Best-of-Team der EURO 2012 klingt, sind tatsächlich jene Spieler, die... Ablasshandel vs. Fair-Play 1:0?

Bonucci, Motta, De Rossi, Balotelli – Arbeloa, Sergio Ramos, Xabi Alonso. Was nach einem Best-of-Team der EURO 2012 klingt, sind tatsächlich jene Spieler, die aufgrund ihrer zweiten gelben Karte im Finale gesperrt wären, würde die UEFA (bei Weltmeisterschaften die FIFA) nicht zu einem Taschenspielertrick greifen, der da lautet: nach dem Viertelfinale werden alle bisherigen gelben Karten gestrichen, die Spieler gehen somit unbelastet ins Halbfinale. Wenn man nicht mit Gelb-Rot oder Rot vom Platz fliegt, steht einer etwaigen Finalteilnahme also nichts im Weg.

„Lex Ballack“

Das oft zitierte Hauptargument lautet, dass im Finale einer Welt- oder Europameisterschaft die besten Spieler der beiden Finalisten auflaufen sollen, die Fans wollen die Stars im entscheidenden Spiel auf dem Rasen und nicht auf der Tribüne sehen. Unter dem Namen „Lex Ballack“ wurde dies nach der WM 2002 in Japan und Südkorea bekannt. Ein kurzer Rückblick: das deutsche Team wird im wahrsten Sinne des Wortes von Starmittelfeldspieler Michael Ballack ins Finale getragen. Er erzielt die 1:0-Siegtore im Viertelfinale gegen die USA und im Halbfinale gegen Südkorea. Vier Minuten vor seinem entscheidenden Treffer gegen die Asiaten sah er allerdings für ein Foul an der eigenen Strafraumgrenze Gelb, es war seine Zweite im Turnier nach einer Verwarnung in der 92. Minute im Achtelfinale gegen Paraguay. Die Folge: Sperre im Finale, Brasilien gewinnt durch zwei Ronaldo-Tore und holt sich den fünften Titel.

Champions League Finale ohne Stars

Das Argument klingt schlüssig und nachvollziehbar, die Kritik daran stützt sich auf die beiden folgenden Bereiche: mangelnde Konsequenz seitens der Verantwortlichen auf der einen Seite und die Verwässerung des Fair-Play-Gedankens auf der Anderen.

Zuerst zur Konsequenz: die UEFA ist nicht nur Veranstalter der Europameisterschaft, sondern auch von Champions League und Europe League. In diesen Bewerben gibt es keine spezifische Gelbsperrenregelung, nach der dritten gelben Karte heißt es: für ein Spiel auf die Tribüne. Das fällt lange Zeit nicht auf, beim diesjährigen Finale waren allerdings gleich sechs Stammspieler der Finalisten gesperrt: Alaba, Badstuber und Luiz Gustavo bei Bayern, Ramires, Meireles und Ivanovic bei Chelsea (das liest sich übrigens auch wie ein Best-of-Team), Terry mit Rot wäre so oder so gesperrt gewesen. Groß war der Aufschrei von Medien und Verantwortlichen: Bayern Sportdirektor Christian Nerlinger regte eine Regeländerung ebenso an wie „Kaiser“ Franz Beckenbauer, die Facebookinitiative „JA zu Alaba“ hat aktuell mehr als 14.000 Unterstützer – allein, es nützte alles nichts, die sechs gesperrten Spieler durften das Spiel von der Tribüne aus verfolgen.

Dieselben Spieler zweiter Klasse?

Haben die Millionen Fans hier also nicht das Recht, die besten Spieler im Finale zu sehen? Sind die Klubbewerbe Champions League und Europe League für die UEFA nicht so wichtig wie die Europameisterschaft, gleichsam Stiefkinder, mit denen man sich jedes Jahr nur rumärgern muss, während man sich jedes vierte Jahr auf das Treffen der Nationalteams freut? Sind die Profis in den Klubbewerben im Vergleich zu den Nationalspielern nur Spieler zweiter Klasse, obwohl es sich großteils um dieselben Spieler handelt?

Die UEFA-Fair-Play-Wertung

Wem das an Argumentation noch nicht reicht – zum Fairplay: seit 1995 gibt es die UEFA-Fair-Play-Wertung. In einem umfangreichen Rechenwerk wird aus allen von der UEFA veranstalteten Bewerben eines Jahres aus den gelben und roten Karten, Respekt vor Gegner und Schiedsrichtern und dem Verhalten von Offiziellen und Fans ein Koeffizient für jeden Landesverband ermittelt. Drei zusätzliche Startplätze im Europacup werden alljährlich so vergeben, Norwegen mit sieben Erfolgen und Schweden mit sechs führen das Ranking an. Fair-Play soll sich also auszahlen und zahlt sich auch aus. Weiters gibt es die UEFA-Respekt-Kampagne, die gerade jetzt bei der EURO groß propagiert wird.

Freibrief im Halbfinale

Wo bleibt allerdings das Fair-Play, wenn Spieler, die im Halbfinale etwas verhaltener agieren müssten, um eine Sperre zu vermeiden, wieder munter drauf losholzen können, kann ja nichts passieren. Im Halbfinale war das eine oder andere unnötige, teils überharte Einsteigen, von Spielern zu beobachten, die genau mit so einer Haltung spielen dürften. Fouls an der Mittellinie, wo man keinen Konter des Gegners unterbindet, sondern nur gegen den Mann geht. Wie ist das mit dem Respekt zu vereinbaren, den die UEFA fordert? Vielleicht würden die Trainer im Halbfinale bei der Aufstellung mehr taktieren, wenn die gelben Karten weiter zählen würden. Vielleicht gäbe es mehr Torszenen und Tore – also attraktivere Spiele, weil vorbelastete Verteidiger anders in Zweikämpfe gehen müssten als nicht Vorbelastete. Wo bleibt das Fair-Play, wenn Mannschaften mit wenigen Fouls und gelben Karten im Verhältnis zu den anderen bestraft werden? Wo ist der Anreiz, sauber zu tacklen, wenn die „Bad Boys“ im Halbfinale wieder relativ ungestraft die Blutgrätsche auspacken können? Werden wir irgendwann eine Mannschaft im Halbfinale sehen, die bei 2:0 in der Nachspielzeit kollektiv die Trikots auszieht, sich die gelben Karten abholt und zum Schiedsrichter noch sagt: „Kann uns eh nichts passieren. Ätsch.“? Hätte sich ein vorbelasteter Balotelli nach dem 2:0 das Trikot ausgezogen (ok, schlechtes Beispiel)? Sind das die Vorbilder, die die UEFA für die Jugendlichen sehen will?

Fair-Play-Gedanke wird verwässert

Im Mittelalter wurden die Sünden mittels Ablasshandel von der Kirche vergeben. Reiche Leute mit viel Geld konnten dies öfter machen als Arme. Was war die Folge? Die Reichen konnten munter weiter sündigen, sie konnten sich ja jederzeit wieder freikaufen.

Die Regeln in einem Turnier sollen konsequent durchgezogen werden. Gelbe Karten und Gelbsperren sind Teil dieser Regeln. Jeder Spieler hat die Möglichkeit, den Ball ins Tor zu schießen und jeder Spieler hat die Möglichkeit, so zu verteidigen und in Zweikämpfe zu gehen, dass er Fouls und gelbe Karten tunlichst vermeidet. Ausnahmen wie jetzt regen nur zum Missbrauch an: der Fair-Play-Gedanke wird verwässert und es wird nicht konsequent in allen Bewerben nach denselben Standards agiert. Man sollte jene Spieler und Mannschaften belohnen, die sich konsequent an die Regeln halten und nicht jene, die öfters mit Fouls und Verwarnungen gegen die Regeln verstoßen. Derzeit heißt es leider: Ablasshandel vs. Fair-Play 1:0.

Provo Kant, abseits.at

Provo Kant

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