Ernst Stojaspal stand schon einmal im Mittelpunkt dieser Anekdotenserie. Und auch in dieser Geschichte dreht sich alles um die Austria-Wien-Legende. Besser gesagt: Dieses Mal... Anekdote zum Sonntag (17) – Solotanz in London

Österreich - FlaggeErnst Stojaspal stand schon einmal im Mittelpunkt dieser Anekdotenserie. Und auch in dieser Geschichte dreht sich alles um die Austria-Wien-Legende. Besser gesagt: Dieses Mal drehte und wendete sich „Stoissi“, als hätte ihn eine harmonische Form des Veitstanzes befallen. Der Schauplatz seiner rhythmischen Einlage hätte aber unpassender nicht sein können, dennoch tat der Stürmer eigentlich nur wie ihm geheißen. Auch wenn er die Anweisung „von oben“ extensiv ausgelegt hatte… Zeit seines Lebens schwor der Kultspieler, der heuer seinen 90. Geburtstag gefeiert hätte, zum Tatbegehungszeitpunkt jedenfalls so nüchtern wie der bravste Muslim während des Ramadans gewesen zu sein.

Der Zweite Weltkrieg lag gerade erst drei Jahre zurück, da wollte sich die Welt wieder mit Spielen vergnügen. Die Sommerolympiade 1948 sollte in London ausgetragen werden. Die Kriegstreiber Deutschland und Japan erhielten zu dieser Veranstaltung allerdings keine Einladungen. Österreich, erstes Opfer des Naziregimes – eh scho‘ wissen – dagegen, durfte mit seinen Athleten anreisen. Eine willkommene Abwechslung für viele Sportler, die besonders noch an den seelischen Platzwunden ob der Grausamkeit der vergangenen Erlebnisse zu leiden hatten. „Als wir in England im Zug umgestiegen sind, waren wir in einer anderen Welt“, erinnert sich die österreichische Turnerin Gertrude Benesch-Fesl. Und das obwohl diese Olympiade nicht als rauschendes Fest in die Geschichtsbücher eingehen sollte, denn das Budget war knapp und der schwelende Ost-West-Konflikt bedrohte friedliche Sportskameraderie.

Schlagzeilen machte in diesem Sommer vor allem die niederländische Hürdensprinterin Fanny Blankers-Koen: Die Hausfrau aus Baarn holte sich überraschenderweise vier Mal Gold, wobei sie den Start zu ihrem Siegeslauf in der der 4-mal-100-Meter-Staffel beinahe aufgrund eines Einkaufsbummels verpasst hätte. Auch auf österreichischer Seite machte eine Frau der Nation alle Ehre: Die goldene Herma (Bauma) stand nach dem Speerwerfen ganz oben auf dem Treppchen. Dazu wurden drei Bronzemedaillen im Fechten, Kanu und Kugelstoßen errungen, ebenso wie Preise in den letztmals ausgetragenen Kunstwettbewerben. Hoffnungsträger auf eine Medaille war auch die rot-weiß-rote Mannschaft des Fußballturnieres. Die Elf von Edi Frühwirth zählte zum engeren Favoritenkreis und fürchtete nur Angstgegner Schweden. Zu Recht, wie sich später herausstellte.

Die österreichischen Olympioniken waren vom Gastgeberland größtenteils positiv überrascht. So kurz nach dem Kriegstreiben und der schrecklichen Bombenangriffe auf London, die an die 30.000 Opfer gefordert hatte, war der Gedanke als ehemaliger Staatsbürger des Kriegstreibers in die Hauptstadt Großbritanniens zu kommen anfangs nicht besonders angenehm gewesen. Die Beziehungen waren – gelinde gesagt – angespannt. Jeder Deutschsprechende in Hackney, Kensington oder Islington war für die Briten einfach nur ein „Kraut“. Um Konflikten vorzubeugen wies das österreichische Komitee seine Sportler an sich besonders unauffällig und ruhig verhalten. Die Athleten sollten als friedliebende Gäste einen guten Eindruck machen. Der Einzug der Nationen zu Marschmusik anlässlich der Eröffnungsfeier bereitete dem Komitee hartnäckig Kopfzerbrechen. Ein geordnetes Marschieren der Österreicher würde sofort Bilder der deutschen Wehrmacht in die Köpfe der Zuschauer zaubern und mittlerweile wusste jeder, welchen Schrecken diese symbolisierten. Das ÖOC bat seine Sportler also sich anlässlich der Eröffnungsparade möglichst locker und frei zu bewegen. Auf zackigen Gleichschritt und markante Ellbogenbewegungen sollte tunlichst verzichtet und jegliche soldatische Haltung vermieden werden, um der Welt zu zeigen, dass Felix Austria nunmehr wieder undeutsch und entmilitarisiert sei.

An einem hochsommerlichen Tag Ende Juli wurden die Teilnehmer der vierzehnten Olympischen Spiele in einem gut gefüllten Wembley-Stadion erwartet. Seine Majestät König George VI begrüßte die Teilnehmer – in Uniform und salutierend. Sämtliche Nationen demonstrierten Einheit in dem sie in Reih und Glied daherstolzierten. Die Österreicher, die Australien folgten, erinnerten im Vergleich dazu an eine dahinschaukelnde, vollbesetzte Riesengondel. Die Anweisungen des Komitees waren eindeutig, in der Praxis jedoch nicht so recht umsetzbar: Sich locker zu Marschmusik zu bewegen und dabei doch nicht wie beim Sonntagsspaziergang zu schlendern, grenzt an einen Widerspruch in sich. Keiner wusste so recht, was er tun sollte. Die meisten hofften, dass diese peinliche Situation bald zu Ende gehen würde. Einer witterte jedoch die große Chance auf eine legendäre Tanzbäreneinlage: Ernst Stojaspal gab den angetrunkenen Gondoliere der rot-weiß-roten Schunkelpartie. Der Wiener wiegte sich in einen ansprechenden Solotanz, der erst vor der Ehrentribüne sein Ende fand. Er brach aus der schwankenden Truppe aus, zog den Hut (Salutieren wäre ein wirklicher Eklat gewesen!) und rief in Richtung ÖOC-Präsident: „Habe die Ehre, Herr von Mautner-Markhof!“. Mautner-Markhof, der an der Seite IOC-Präsident Sigfrid Edström, Platz genommen hatte, erblasste. „Stoissi“ verschwand wie der Blitz erneut unter den Sportlern, versprühte aber weiter mobile Fröhlichkeit. Da jedoch alles ein Ende hat, war auch diese blamable Bewegungsübung irgendwann vorbei.

Schneller als gedacht waren leider auch die Hoffnungen auf eine Topplatzierung der österreichischen Fußballmannschaft verebbt. Das Schicksal loste Frühwirths Buam schon in der ersten Runde die gefürchteten Schweden zu. Eine klare 0:3-Niederlage gegen den späteren Turniersieger zeigte den ÖFB-Spielern ihre Grenzen auf. Am Ende stand der vierzehnte Rang von achtzehn Teilnehmern – Stojaspal selbst blieb übrigens ohne Einsatz.

Marie Samstag, abseits.at

Marie Samstag

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