Anekdote zum Sonntag (249) – „Wudle“ on tour
Fankurve 17.November.2024 Marie Samstag
Wolfgang W., genannt „Wudle“, gilt als violette Fanlegende; er gehört zu den längstdienensten Allesfahrern der österreichischen Fußballszene. Unumstritten ist der korpulente Wiener allerdings selbst in Austria-Fankreisen nicht: So ist bekannt, dass „Wudle“ zumindest in seiner Jugendzeit zu den Erlebnisorientierten der Veilchen-Anhänger zählte, außerdem wird ihm von einigen eine rechtsextreme Gesinnung nachgesagt.
Seine Fankarriere startete „Wudle“ im Alter von 11 Jahren, als ihn sein Vater 1968 erstmals auf ein FAK-Heimspiel mitnahm. Mit dem Virus infiziert, begann er schon ein Jahr später der Austria auf eigene Faust hinterher zu fahren. Damals noch mit dem Zug, später stieg „Wudle“ aufs Auto um. Als Vorsitzender des bis heute existierenden Fanklubs „Atzgersdorf“ hatte er es 2015 auf 3.000 Austria‑Matches gebracht und wurde dafür vom Verein geehrt. Geschätzt eine Million Kilometer – also mehrmals um den Erdball – absolvierte der Hardcorefan für seine Veilchen in diversen ausrangierten Fahrzeugen: Egal, ob es ein Freundschaftsspiel im Trainingscamp, Ligaalltag oder ein Europapokalmatch war – „Wudle“ und seine „Atzgersdorfer waren immer dabei. Ende der 70er-Jahre begannen sie auch zu vielen Auswärtsspielen des Nationalteams zu fahren. Die Anreise auf vier Rädern war dabei nicht nur der Flugangst des Edel-Anhängers geschuldet, sondern auch der Tatsache, dass Reisen im Kleinbus richtige Abenteuer waren: Bei vielen seiner Gebrauchtwagen konnte Wolfgang den Zigarettenstummel durch die Bodenplatte direkt auf die Autobahn werfen. Der „,Wudle‘-Bus“ war beim Austria-Anhang berühmt-berüchtigt.
Richtig intensiv wurde „Wudles“ Leidenschaft für seine spezielle Art des Groundhoppings bei der WM‑Endrunde 1978 in Argentinien: Nachdem Österreich aufgestiegen war, beschloss der Wiener damals ohne seine Freunde, die nachhause mussten, zu bleiben: „Wudle“ ließ den Flieger (mit dem er ausnahmsweise angereist war) sausen und schlug sich ohne ein Wort Spanisch zu sprechen in der Militärjunta durch. Als in seinem Geldbörsl Leere herrschte, drang er irgendwie zum österreichischen Botschafter vor und ließ sich von seiner Mutter Geld aus Wien überweisen. Vier Jahre später hing bei der WM in Spanien erstmals der legendäre „Atzgersdorfer“-Fetzen am Stadionzaun; nachdem der schandhafte „Nicht-Angriffspakt von Gijón“ abgepfiffen war, musste sich „Wudle“ vor aufgebrachten Algerien-Fans in einen vorbeifahrenden Campingbus flüchten. Erinnerungen, die kaum verblasst sind.
Auch an viele Konfrontationen kann sich der violette Allesfahrer noch gut erinnern: So wie an das legendäre 1:1 der Austria 1983 in Mailand, dass für die Veilchen zwar den Aufstieg im UEFA-Cup bedeutete, aber einen FAK-Anhänger beinahe das Leben kostete: Die Interisti lieferten sich mit den Wiener Fans nach Abpfiff ein blutiges Scharmützel, dessen Hintergrund wiederum eine Attacke der Austrianer beim Heimspiel in Wien war. Ein Mailänder zückte ein Messer und stach Austria-Fan Wanninger brutal nieder. „Wudle“: „Am nächsten Tag, als ich meinen Kumpel im Spital besuchte, warteten immer noch Interisti mit ihren Vespas auf uns, ein Wahnsinn!“ Über zwanzig Jahre später als die Austria in Bilbao zu Gast war, warnte eine baskische Sportzeitung vor der schwergewichtigen Fanlegende mittels Doppelseite und Ganzkörperfoto. 1995 wurde „Wudle“ vor einem Österreich‑Ländermatch in Dublin von einem Polizeihund in den Arm gebissen, dieser Zwischenfall hinderte ihn selbstverständlich nicht daran nach Versorgung der Wunde im Stadion zugegen zu sein.
Ausgerechnet die Reiseerleichterungen, die die Expansion der EU mit sich brachte, störten „Wudle“ und seine Freunde allerdings: Ihre Abenteuersucht wurde ohne Warterei an der Grenze, Geldwechseln oder mit Händen-und-Füßen-Reden nicht ausreichend befriedigt. Trotzdem ist der mittlerweile End‑60-jährige bis heute seiner Leidenschaft treu geblieben: Um derAustria mit dem Kleinbus hinterher zu reisen, opferte „Wudle“ in all den Jahren sogar seine Ehe und steckte jeden Groschen in seine Fahrerei. Zurück bekam er, was in Geld nicht aufzuwiegen ist – außergewöhnliche Erlebnisse, an die man gern zurückdenkt.
Marie Samstag, abseits.at
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