Anekdote zum Sonntag (40) – Immer wieder sonntags!
Fankurve 20.September.2015 Marie Samstag 0
Es war wie im Rausch. „Seit jenem Tag“, erzählte Torwart Rudi Hiden Anfang der Siebziger, „als der WAC-Manager bei meiner Mutter in Graz erschien, war mir, als würde mein Leben von einer Dampfwalze überrollt.“ Das Engagement beim WAC ist der Startschuss für Hidens schrilles Leben als Wunderteamtorhüter, Starlegionär, Playboy und Nationalheld. Dabei sah es zu Beginn nicht danach aus, dass der junge Grazer einmal zur Tormannlegende reifen sollte: In seiner ersten Partie war der 18-Jährige so nervös, dass er einen besonders ungeschickten Fehlgriff landete und von Verteidiger Karl „der Blade“ Sesta verbal eine gerieben bekam: Das Steirertor war geboren. Der fesche Grazer fing sich jedoch bald. Seine Glanzzeiten begannen als ihm Hugo Meisl in der Nationalmannschaft das Vertrauen schenkte: Beim 6:0-Sieg in Berlin gegen Deutschland 1931 beklatschte Arsenal-Manager Chapman nicht etwa die österreichischen Feldspieler Sindelar, Gschweidl oder Schall sondern die Großkatze zwischen den Pfosten. So jemand müsse auf die Insel, soll er gesagt haben. Der amtierende Cupsieger WAC konnten sich mit den „Gunners“ auch einigen, dennoch sollte der Wechsel nicht klappen: Rudi Hiden erhielt keine englische Arbeitsbewilligung und durfte deshalb in keinem Pflichtspiel der Briten auf dem Platz stehen. Von seinem Quartier in Ostende reiste er über den Kanal um mit den Londonern zu trainieren oder in Freundschaftsspielen das Tor zu hüten. Mehr war nicht drinnen. Die englische Spielergewerkschaft protestierte gegen die Anstellung eines Ausländers und verhinderte so Hidens offizielle Aufnahme. Bei der legendären 3:4-Niederlage des Wunderteams gegen England im Dezember 1932 atmete der Österreicher ein letztes Mal Inselluft. Danach wurden die Karten neu gemischt und er heuerte nach einem Intermezzo in Montevideo bei Racing Club Paris an.
Besonders das französische savoir-vivre und die Pariserinnen lockten den (verheirateten) Lebemann an die Seine. Sportlich erfüllte er die Erwartungen und wurde zum sicheren Rückhalt für den nur mittelmäßigen RC. Bereits in seiner zweite Saison beendeten die Pariser die Meisterschaft auf Platz drei. 1936 holten sie erstmals in der Klubgeschichte den Titel und dazu auch noch den Cupsieg. Ein Jahr später beantragte „Merlin“ – wie die Fans Hiden aufgrund seiner vermeintlichen Zauberkräfte liebevoll nannten – die französische Staatsbürgerschaft: Aus dem Steirer Rudi wurde ein Mann von Welt namens „Rodolphe“. Gerade noch rechtzeitig, denn ein Jahr später wäre der – nach dem Anschluss – Deutsche interniert worden. So absolvierte der Tormann als Franzose noch vier Länderspiele für die Grande Nation (gegen England, Portugal und – zwei Mal – gegen Belgien). Bei seinen letzten Einsätzen war er bereits eingezogen worden und arbeitete als Sportlehrer für die Kraftfahrer der französischen Armee. Wie so viele wurde Hiden 1940 an die Maginot-Linie versetzt, jene wallartige Bunkerlinie, die die französische Grenze von Dünkirchen bis ans Dreiländereck bei Basel gegen Deutschland abschließt. Dort belauerten sich die Konfliktparteien zunächst und die aufgebotenen Soldaten waren arbeitslos. Übungsleiter Hiden veranstalte Fußballspiele mit seinen Schützlingen und lebte ein recht lustiges Leben – sofern man im Krieg von einem lustigen Leben sprechen kann. Der Grazer Beau trommelte seine Kraftfahrer gerne für Spiele zusammen, wobei er selbst natürlich auf seiner angestammten Position als Goalie kickte.
Jahre später erzählte der Austro-Franzose eine Geschichte, die wie die Faust aufs Auge zu seiner Persönlichkeit passt: Kurz nach dem Ende eines dieser zahlreichen Fußballspiele wurden Hiden und seine Mannen von einer ortsansässigen Familie zum Mittagessen eingeladen. Bei der Plauderei rund um den Esstisch wurde der Tormann von der Dame des Hauses nach seinem Zivilberuf gefragt. „Ich arbeite nur sonntags, Madame!“, antwortete der gebürtige Österreicher. Die Augen der Madame begannen plötzlich zu leuchten, schilderte Hiden die Situation. Ehrfurchtsvoll raunte sie: „Ich habe es Ihnen gar nicht angesehen, dass Sie Pfarrer sind.“ Der Sportler brach in schallendes Gelächter aus, ehe er seine Gesprächspartnerin über seine wahre Beschäftigung aufklärte. Wenig später war ihm jedoch nicht mehr zu lachen, als er im Mai 1940 nach der Westoffensive der Wehrmacht gefangen genommen und über ein Jahr lang in Trier und Köln interniert wurde. Die Gestapo verdächtigte Hiden aus politischen Gründen nach Frankreich geflohen zu sein und hielt ihn über ein Jahr fest. Als endlich die Bestätigung eintraf, dass Hiden bereits ein Jahr vor dem Anschluss Österreichs Franzose geworden war, dürfte er in seine Grazer Heimat zurückkehren, von wo er umgehend wieder zurück nach Paris ging. Leider sollte dieses schreckliche Zwischenspiel nicht der Tiefpunkt in seinem Leben sein.
Marie Samstag, abseits.at
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